Schöner Schmerz: Filmkunst von Isaac Julien im K21 Düsseldorf
Lustlos liest man den Text am Eingang. „Radikal politisch“ sei das Werk von Isaac Julien und drücke seine „aktivistische Auseinandersetzung mit dekolonialer Ästhetik“ aus. Ach je, Übungen auf dem Feld der Belehrungskultur? Bloß nicht abschrecken lassen! Denn im Souterrain des Düsseldorfer K21 öffnet sich eine berückend schöne Welt aus bewegten Bildern, Geschichten und Gedanken, voller Jazz und Poesie. Der 63-jährige Julien, britischer Kunstfilmer und ehemaliger Professor der Karlsruher Hochschule für Gestaltung, zaubert unwiderstehliche Video-Installationen, die von der Freiheit handeln. „What Freedom Is To Me“, heißt es im Untertitel.
Halbe Tage könnte man da unten bleiben, in samtig ausgestatteten Sälen, und diese Art von Kino genießen. Gleich vorne links, in einem nachtblauen Saal mit drei Projektionsflächen schwebt eine asiatische Fee in weißen Gewändern über einer Flusslandschaft. Auf einem anderen Bild liegen junge Männer still an einem Strand. Schläfer? Tote? Tatsächlich bezieht sich Julien mit „Ten Thousand Waves“ auf eine Tragödie in der Morecambe Bay vor der Küste Nordwestenglands, wo 23 chinesische Muschelpflücker im Winter 2004 bei der Arbeit ertranken. Was haben sie empfunden in ihren letzten Momenten? „O home, a foam on the wild wild sea“ raunt eine Männerstimme, „oh Heimat, ein Schaum in der wilden wilden See“. Worte, Trommeln, ein Meister der Kaligraphie schreibt Zeichen an eine Glaswand.
Bilder und Gefühle
Die Fee, lernt man, ist die daoistische Seefahrergöttin Mazu, die als „Maiden of Silence“ über den Wassern und zwischen den Zweigen erscheint. Isaac Julien scheut pathetische Bilder nicht, er zelebriert das große Gefühl. Zwischendurch zeigt er allerdings, wie die Schauspielerin in einem Studio an Sicherungsseilen vor einem Green Screen hängt. Der technische Trick wird also verraten – doch auch das wirkt wie ein wunderbares Luftballett. Juliens Werke haben keine Handlung wie gewöhnliche Filme. Sie vermitteln das Gefühl für eine Figur, ein Schicksal, eine Zeit. In „Lessons of the Hour“ (Lektionen der Stunde) geht es um den schwarzen Freiheitskämpfer Frederick Douglass (1818-1895), der aus der Sklaverei entflohen war und durch Großbritannien reiste, um in glühenden Reden für die Abschaffung des Menschenhandels zu werben.
Zehn Filme, angeordnet wie Bilder in einem rotplüschigen viktorianischen Salon, erzählen in ruhigem, fein abgestimmtem Rhythmus von diesem Mann, dargestellt von einem imponierenden Schauspieler. Man sieht ihn als Herrn im leuchtend blauen Rock, im Zug, unterwegs in schottischen Landschaften, hört ihn vor bestürzten Europäern sprechen, seinen durchgepeitschten Rücken voller Narben zeigen, feststellen, dass die Feier des amerikanischen Unabhängigkeitstages am 4. Juli für einen Schwarzen der reinste Hohn wäre. Still sitzt derweil „The Lady of the Lake“, Douglas’ Ehefrau Anna, die draußen auch noch mit einer Fotografie gewürdigt wird.
Mit Filmen malen
So perfekt wie dieses differenzierte Kunstwerk von 2019 waren die Anfänge des Künstlers nicht. Eine Fotocollage und ein bescheidenes Video weisen auf sein erstes Filmprojekt hin: In „Who killed Colin Roach?“ befasste sich Julien 1983 mit dem Tod eines 21-Jährigen, der am Eingang einer Polizeistation in London erschossen wurde – was Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt auslöste. Der junge Isaac Julien, damals noch Student an der Londoner Saint Martins School of Art, Sohn schwarzer Einwanderer aus der Karibik, beschloss, fortan mit filmischen Mitteln zu arbeiten und so seine Botschaft in den Raum zu malen.
An die Ästhetik des Stummfilms, nur mit Musik und Klang, erinnert sein Schwarzweiß-Film „Looking for Langston“ von 1984, in dem er dem Dichter Langston Hughes (1902-1967) hinterhersinnt und gut aussehende schwarze Herren in einer Blues-Bar im Harlem der 1920er-Jahre miteinander tanzen und flirten lässt. Mit Würde und Eleganz. Heute ein Kultstück des „New Queer Cinema“.
Wo der Schnee fällt
Aber man muss sich losreißen – denn ganz hinten im letzten, mit Spiegeln magisch vergrößerten Saal wartet ein ganz besonderes Erlebnis, Isaac Juliens neuestes Werk: „Once Again … Statues Never Die“ (Wieder einmal, Statuen sterben nie). Zwischen fünf doppelt belichteten Leinwänden, die wie durchlässige Portale im Raum stehen, wandeln die Betrachter durch wechselnde Szenerien. Schnee fällt auf eine Parklandschaft. Winter-Melancholie. Ein schwarzer Mann, der den Philosophen Alain Locke (1855-1954) darstellt, und ein Weißer, der den Kunstsammler Albert C. Barnes (1872-1951) spielt, reflektieren über den Wert und die Entwurzelung afrikanischer Artefakte in westlichen Museen. Nebenbei geht es um die Liebe Alain Lockes zu einem jungen Bildhauer, Richmond Barthé, dessen 1961 entstandene Bronze-Büste „Schwarze Madonna“ nicht nur im Film, sondern auch in Wirklichkeit zu sehen ist, als Teil der Installation.
Eine schwarze Frau der Gegenwart fordert einen Neubeginn, eine gemeinsame Kreativität der gegenwärtigen Kulturen, aber nicht im Stil einer politisch motivierten Dokumentation. Man spürt die Botschaft mehr als man sie versteht, genießt die Performance. Ein Song schwebt schwerelos, und da schwingen Sätze wie: „In der Traumwelt der Kunst bin ich alles, was ich sein will.“
Was, wann und wo?
„Isaac Julien: What Freedom Is To Me“: bis 14. Januar 2024 in der Kunstsammlung NRW, K21, Düsseldorf, Ständehausstr. 1. Geöffnet Di.-So. 11 bis 18 Uhr. Eintritt: 14 Euro (5 Euro für Studenten und Azubis). Der Katalog ist im Hirmer Verlag erschienen und kostet 46 Euro. www.kunstsammlung.de