Düsseldorf: „Krise braucht mehr Demokratie“ – Vorstellung der aktuellen “Mitte-Studie”
Der Klimawandel, der Ukraine-Krieg, die Energiekrise, die Migration und die Digitalisierung – das sind viele Entwicklungen, die als Chance oder als Bedrohung wahrgenommen werden können. Sich zuspitzende Veränderungen werden als Krise gewertet und in Krisenzeiten ist die Bevölkerung besonders empfänglich für antidemokratische Phänomene.
Prof. Dr. Beate Küpper ist Professorin für Soziale Arbeit in Gruppen und Konfliktsituationen an der Hochschule Niederrhein und Mitherausgeberin der aktuellen Mitte-Studie. Die Studie wirft einen Blick auf die Wahrnehmung von Krisen und die Folgen für die politischen Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft sowie eine mögliche Radikalisierung. Im Bachsaal im Bürgerhaus Bilk erläuterte Küpper am Mittwoch (27.9.) vor rund 80 interessierten Bürger*innen die Studienergebnisse und gab anschließend Raum für Diskussionen.
Die Mitte-Studie
Etwas mehr als 2000 Menschen ab 18 Jahren wurden im Rahmen der Studie Anfang 2023 telefonisch interviewt. Durchschnittlich 30 Minuten nahmen sich die Teilnehmer*innen Zeit, ich Einstellung zu 18 Aussagen zu nennen.
Dazu gehörten beispielsweise diese Thesen:
- „Im nationalen Interesse ist unter bestimmten Umständen eine Diktatur die bessere Staatsform“
- „Was unser Land heute braucht, ist ein hartes und energisches Durchsetzen deutscher Interessen gegenüber dem Ausland“
- „Der Nationalsozialismus hatte auch seine guten Seiten“
- „Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen“
- „Es gibt wertvolles und unwertes Leben“
Mehr Menschen mit rechtsextremer Einstellung
Bei 8,3 Prozent der Befragten war ein deutlich rechtsextremes Weltbild zu erkennen, in der vorherigen Studie aus den Jahr 2020/2021 lag der Anteil bei nur 1,7 Prozent. 71,6 Prozenten sprachen sich deutlich gegen ein rechtsextremes Weltbild aus, 86,2 Prozent waren es in der Vorgängerstudie.
Diesen Trend erkenne man nicht nur in der Mitte-Studie, auch andere Untersuchung bestätigten diese Entwicklung, führte Küpper aus. Dabei sei auffallend, dass bei jungen Menschen die antidemokratischen Ansichten anstiegen. Die professorin sieht dies in der geringen politischen Bildung begründet, die vermittelt werden. „Demokratische ist man ja sowieso“ sei eine falsche Annahme. Informationen, die vielfach nur noch über die sozialen Medien aufgenommen würden und Hass und Hetze, die dort an der Tagesordnung sind, vermittele keine demokratische Kultur oder Einblicke in komplexe Prozesse.
Hinzu käme bei vielen Menschen das Gefühl der politischen Machtlosigkeit – ein Einfallstor für politische Propaganda. So sei Rechtsextremismus laut und selbstbewusst geworden.
Gefühle zählen mehr als Fakten
Nach der persönlichen Krisen-Betroffenheit gefragt, geben 30,8 Prozent der Menschen an, stark oder sehr stark betroffen zu sein. Erweitert man die Frage auf wieviele „Menschen wie Sie“ betroffen seien, liegt der Wert schon bei 39,1 Prozent und auf ganz Deutschland bezogen seien es nach Einschätzung der Befragten sogar 55 Prozent. Damit zeigt die Studie auf, dass es bei der Einstellung der Menschen weniger um Fakten geht, sondern mehr um ein Gefühl. Was aber im Gegenzug bedeutet, dass eine Änderung der realen Politik kaum einen Einfluss auf die menschen haben wird, da es um Gefühle geht.
In der anschließenden Diskussion mit den Gästen im Bachsaal machte Küpper aber auch deutlich, dass der alleinige Abbau von sozialen Ungerechtigkeiten nicht dafür sorge, dass weniger nach rechts abgewandert werde, beziehungsweise die antidemokratischen Einstellungen sich reduzieren. Zusammenhalt in der Gesellschaft sei wichtig, eine gute Bildung und ein gerechtes Einkommen. Nur an einer Stellschraube zu drehen, verspreche wenig Erfolg. „Krise brauche mehr Demokratie“, betonte Küpper. Dafür sei es wichtig miteinander zu sprechen, dabei aber deutlich das Spielfeld abzugrenzen, auf dem die demokratischen Regeln unverzichtbar seien.
Die Veranstaltung fand in Kooperation mit dem Düsseldorfer Netzwerk Respekt und Mut statt und wurde im Rahmen von KOMM-AN NRW aus Mitteln des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert.
Die Mitte-Studien
Seit 2006 gibt die Friedrich-Ebert-Stiftung „Mitte-Studien“ heraus, in denen die Verbreitung, Entwicklung und Hintergründe rechtsextremer, menschenfeindlicher und antidemokratischer Einstellungen in Deutschland untersucht werden. Dazu wird eine repräsentative Bevölkerungsumfrage am Telefon durchgeführt, jeweils zur Häfte bei Festnetz- und Mobilfunkteilnehmer*innen. Durch die persönlichen Interviews wird das Ergebnis eher als konservative Schätzung gesehen, da die Hemmung offen zu antworten, unter Umständen etwas höher als bei einer schriftlichen Befragung ist. Die Ergebnisse aus der aktuellen Studie 2022/23 beziehen sich auf die gesamte Wohnbevölkerung, also nicht nur auf Menschen mit deutschem Pass. In den Mitte-Studien geht es nicht vorrangig um rechtsextreme Strukturen, Gruppierungen und deren Mitglieder. Es werden alle Teile der Bevölkerung betrachtet, die theoretisch eine vermittelnde und auch stabilisierende Kraft in der Demokratie sein können. Die Studie finden sie hier.