Sisis Herzensdichter: Das Heine-Institut Düsseldorf erforscht berühmte Leserschaft
Der Dichter neigte ja zum Spotte. Aber vielleicht hätte es Heinrich Heine (1797-1856) doch gerührt, wie sehr die traurige Kaiserin Elisabeth von Österreich für ihn schwärmte: „Ich eil’ ins Reich der Träume, / Mein Meister, da bist du,“ reimte die 50-jährige Sisi 1887 wehmütig: „Es jubelt meine Seele / begeistert schon dir zu.“ In ihrem Gemach hing eine Kopie von Gottlieb Gassens Ölporträt des jungen Heine, und auf Reisen trug sie eine Lithografie seines Profils mit sich. Gerahmt in Samt, gehüllt in Leder. Im Heine-Institut kann man das Erinnerungsstück jetzt sehen und einiges lernen über berühmte Fans des Düsseldorfer Idols: „Dichter? Liebe!“
Die Zeiten haben sich geändert. Die Heine-Verehrung hat nichts Wildes, Unkonventionelles mehr wie noch vor 50 Jahren, als konservative Kreise die Benennung der Universität nach dem unangepassten Schriftsteller verhindern wollten. Heute ist er abgesegnet und artige junge Akademiker*innen, die nie ihre gendergerechte Sprache vergessen, arbeiten sich mit Fleiß durch die Quellen und die anschwellende Sekundärliteratur. Die winzige Ausstellung in den zwei Parterre-Zimmern, die für solche Zwecke genutzt werden, hat gleich drei Kurator*innen: den stellvertretenden Direktor Jan-Birger von Holtum, die wissenschaftliche Mitarbeiterin Nora Schön und die Volontärin Lisa-Marie Petry.
Große Verehrer
Auch vom Heine-Publikum wird Textstudium und Geduld erwartet. Denn rein äußerlich hat die Schau außer ein paar Fahnen mit Zitaten und Fotos nicht viel zu bieten. Aber das nähere Hinsehen lohnt sich. Da hängt das Faksimile eines Briefs, den der dänische Märchenerzähler Hans Christian Andersen 1833 schrieb, nachdem er dem verehrten Kollegen in einer Pariser Zeitungsredaktion begegnet war. Er schrieb, mit Hilfe, auf Französisch, und es liest sich fast wie ein Liebesbrief: „J’ai désiré ardemment de vous voir, de vous parler …“, er habe sich glühend gewünscht, Heine zu sehen, ihn zu sprechen.
Derlei Pathos ohne ironische Brechung war ja nicht unbedingt Heines Ding. Aber Andersen sah nicht den politischen Schriftsteller und Journalisten Heine, der seine Heimat verlassen hatte, um freier zu schreiben und zu leben. Er liebte den romantischen Poeten, der die Lorelei besang. So wie zahlreiche Komponisten der Zeit, die Heine-Gedichte vertonten. 10 000 Lieder mit Heine-Texten soll es geben, der Hit mit 400 Vertonungen war ein Stücklein aus dem Bestseller „Buch der Lieder“: „Du bist wie eine Blume, / so hold und schön und rein; / Ich schau dich an / und Wehmut / schleicht mir ins Herz hinein.“ Über Kopfhörer kommt die Version von Franz Liszt.
Ein neues Lied
Mal was Anderes sind die modernen Vertonungen, die Christian Bruhn für die keineswegs nur dem Schlager zugetane Sängerin Katja Ebstein schrieb. Auf einem großen Touch-Screen kann man ihren Kopf anklicken und hören, mit welcher Kraft und Härte sie 1999 „Die schlesischen Weber“ zum Song machte: „Ein Fluch dem König, dem König der Reichen, / den unser Elend nicht konnte erweichen, / der den letzten Groschen von uns erpresst / und uns wie Hunde erschießen lässt. / Wir weben, wir weben.“ Ja, das ist der harte, politische Heine ohne das, was er „das Eiapopeia vom Himmel“ nannte. Als ihren „Kompass“ bezeichnet die Ebstein den lang verstorbenen und immer aktuellen Dichter.
Ähnlich dachten und denken etliche andere Heine-Verehrer, die sich von Heine inspiriert fühl(t)en – die Lyrikerin Rose Ausländer zum Beispiel, die eine „Lorelei unter dem Rhein“ singen ließ („Fische verschweigen das Lied“) oder der chinesische Kunststar Ai Wei Wei, der von Heine lernte, „dass kein Staat der Welt dem menschlichen Geist etwas anhaben kann.“
Kein Zuckerjahr
Auf jeden Fall hat man mehr von der Ausstellung, wenn man seinen Heine gut kennt. Ansonsten sieht man immerhin mit Verblüffung, dass Marilyn Monroe, die blondeste Hollywood-Diva, auf einem Foto von 1951 auf ihrer Schlafcouch sitzt und in eine englischsprachigen Ausgabe der „Poetry and Prose of Heinrich Heine“ blättert – angeblich aus ihrer eigenen Bibliothek. Eine bewusste Pose. Wie man weiß, war die unglückliche Schöne viele Jahre lang bemüht, das Image des Dummchens loszuwerden.
Weniger glamourös, aber umso berührender ist die Geschichte einer Babypuppe namens Michel, die in einer Vitrine sitzt. In ihrem hohlen Bauch wurde 1940 der große Schatz der Schriftstellerin Anna Seghers, ein zärtlich-besorgter Original-Brief von Heine an seine Düsseldorfer Mutter, aus dem von Nazi-Deutschland besetzten Paris ins freie Südfrankreich geschmuggelt. Von einem Kind, Nadine Stern, das die Katastrophe überlebt und die Puppe bis heute aufbewahrt hat. Anna Seghers nahm den Brief mit ins Exil und zurück und hatte ihn bis zu ihrem Tod 1983 in ihrem Arbeitszimmer hängen: „Dieses Jahr ist kein Zuckerjahr, und es geht der ganzen Welt sehr bitter.“
Was, wann und wo?
Die Ausstellung „Dichter? Liebe!“ über Heines berühmte Leserschaft wird am Samstag, 16. September, um 18 Uhr im Heine-Institut Düsseldorf, Bilker Str. 12-18 Uhr, eröffnet. Sie bleibt bis zum 18. Februar nächsten Jahres. Di.-So. 11 bis 17 Uhr, Sa. 13 bis 17 Uhr. Eintritt: vier Euro, Jugendliche frei, sonntags frei. Weitere Informationen hier.