Düsseldorf Rath: Ausführliche Bestandsaufnahme des Rechtsextremismus
Dominieren auch in Düsseldorf Hass und Hetze? Oder genießen wir weiterhin Demokratie und Vielfalt? Einen Nachmittag lang nahmen sich rund 40 Pädagogen, Politiker, Mitglieder von Initiativen im Familienzentrum am Rather Kreuzweg 43 Zeit für eine Bestandsaufnahme von Rechtspopulismus und Rechtsextremismus. Die Veranstaltung gehörte zum Bundesprogramm „Demokratie leben“. Die Teilnehmer sprachen mit zwei Aussteigern aus der Naziszene. Sie sahen Akteure von AFD bis NPD, Hooligans und braunen Bruderschaften in Düsseldorf. Und sie hörten vom Leiter der Verwaltungsstelle 6, wie sich vor allem der Stadtteil Düsseldorf Rath in den kommenden Jahren entwickeln wird. Das Ergebnis: Auf die Einstiegsfragen gibt es keine eindeutigen Antworten, aber beunruhigende Tendenzen.
Schwache Strukturen
Einerseits sind die Akteure der Düsseldorfer Rechtsextremen deutlich schwächer als anderswo, wie Jürgen Peters vom Antirassistischen Bildungsforum Rheinland in seinem ausführlichen Vortrag aufzeigte. Ob NPD, Republikaner oder Die Rechte – keine dieser Rotten konnte bislang nennenswert in Düsseldorf punkten. Weil rechtsextreme Strukturen in Düsseldorf so schwach ausgeprägt sind, müssen die wenigen Neu-Nazis aus anderen Städten, zum Beispiel aus Wuppertal, mitverwaltet werden.
Schwerpunkt: Düsseldorf Garath
Wenn Peters derzeit einen geographischen Schwerpunkt der Rechtsextreme in Düsseldorf aufzeigen sollte, würde er das Fähnchen in den Stadtteil Düsseldorf Garath stecken. Dort halten sich die anderswo längst pulverisierten Republikaner und es gibt eine Bruderschaft, die offen Nazisymbolik zeigt, mit der Hooligan-Szene verwoben ist und Kontakte zu ähnlichen Gruppierungen, beispielsweise in Essen Steele pflegt. „Rath ist mir in den vergangenen Jahren nicht aufgefallen“, sagte Peters gegenüber report-D.
Dügida blieb trotz zahlreicher Versuche ohne Zulauf.
Der Experte warnte die Landeshauptstadt allerdings ausdrücklich davor, sich selbstzufrieden zurückzulehnen. 2017 verzeichnete die Polizeistatistik in Dortmund und Düsseldorf mit jeweils 14 aktenkundig gewordene "PMK rechts", das sind vor allem Körperverletzungen mit "fremdenfeindlichem Hintergrund". Also: gleich viel extremistisch motivierte Straftaten in Dortmund und Düsseldorf. Zwar blieben die Rechtspopulisten der AFD in Düsseldorf bislang extrem blass; selbst um die eine Zeit lang lautstarke Campus-Alternative in der Heinrich-Heine-Universität sei es nach dem Weggang eines ihrer Hauptakteure nach Berlin still geworden. Doch bei den Kommunalwahlen 2020 rechnet Peters damit, dass es die AFD auf rund 10 Prozent der Stimmen bringt und mit mehreren Vertretern in den Stadtrat einrückt. Das würde die bislang tolerante Stimmung in der Stadt gründlich verändern. Zudem versuchten derzeit die Neo-Nazi-Partei "Der III.Weg" und die "Identitäre Bewegung" in Düsseldorf Fuß zu fassen.
Schulterschluss
Denn in Düsseldorfs Partnerstadt Chemnitz gab es bereits den offenen Schulterschluss der AFD-Vorstände mit gewaltbereiten Rechtsradikalen. Und auch hier am Rhein haben die Populisten längst die Wertebalance der Gesellschaft verschoben. „Wenn ich sehe, dass heute konservative Politiker und Rechtsanwälte wie selbstverständlich Dinge sagen, die für uns grobe Provokationen waren, wird mir bange“, sagte Nazi-Aussteiger S. Gemeinsam mit der Aussteigerin N. und einem Mitarbeiter des NRW-Verfassungsschutzes schilderte er seinen sieben Jahre währenden Weg in die prügelnde, rechtsradikale Skinheadszene. Es war eine Radikalisierung in vielen, kleinen Schritten.
Der besondere Kick
Beide schilderten, wie sie zu Beginn ihrer Pubertät Anerkennung und „den besonderen Kick“ suchten. Bei den Rechtsradikalen fühlten sie sich angenommen. Plötzlich wurde man auf dem Schulhof nicht mehr verprügelt, sondern verprügelte selbst. Dass Eltern, Freunde, Lehrer vor dem Weg in die Rechtsextreme warnten, bestärkte eher, als dass es zum Nachdenken anregte. „Die Klassenkameraden machten Radtouren mit ihren Eltern, wir fuhren nach Belgien und schossen mit einem A47-Sturmgewehr auf ein Autowrack – das war geil“, sagte S. „Ich wollte mehr davon.“ Nach und nach zogen sich alte Freunde und Bekannte zurück.
Kameradschaft Ost
Nach dem Mauerfall sei Ostdeutschland für junge Nazis wie ein „Freizeitpark“ gewesen. Faschistische Kameradschaften gab es dort längst, aber alle Autoritäten waren zerbröselt. „Einmal hat uns die örtliche Polizei ermuntert, ein von Linken besetztes Haus frei zu prügeln.“ Die Schlagstöcke hätten die ostdeutschen Polizeibeamten dieser Schilderung zufolge aus alten DDR-Beständen mitgebracht – und nach erfolgreicher Räumung in Bierkästen umgetauscht. Fascho-Party – Fascho-Gruppendynamik. „Um Politik ist es uns – zumindest am Anfang – nicht gegangen.“ Hinterher gab es fein ausgearbeitete Sprechzettel für die Diskussion mit Kritikern.
Einen Masterplan gegen das Abrutschen in die rechtsradikale Szene hatten die Aussteiger nicht anzubieten. Zuhören. Nicht abwenden. Gegen rechtsradikale Sprüchen angehen, aber diese Kritik von der Person trennen – waren einige Hinweise für Freunde, Familie und Lehrer.
2015 stand auch die bürgerliche Mitte auf gegen Neo-Nazis. Doch mittlerweile hat die AfD die Rechtsextremen und ihre Propaganda bis in die Mitte der Gesellschaft getragen.
Ralf Hagelücken, Leiter der Bezirksverwaltungsstelle 6, zeigte anhand von ausführlich ausgewerteten Sozialdaten auf, wo in Rath sogenannte Problemviertel mit einer hohen Arbeitslosigkeit und zahlreichen Hartz IV-Empfängern liegen. Der Stadtteil im Düsseldorfer Norden werde bis 2023 einen überproportionalen Bevölkerungszuwachs erleben – vor allem auch von jungen Menschen, so Hagelücken. Es gäbe – je nach Quartgier – doppelt so viele Arbeitslose wie im Stadtdurchschnitt und dreimal so viele Empfänger staatlicher Sozialleistungen.
Daraus lasse sich nicht in gerader Linie auf eine Bereitschaft schließen, radikalen Richtungen anzuhängen. Doch das Erlebnis von Ausgrenzung und des „Abgehängt-seins“ werde durch ein solches Umfeld begünstigt.
Veranstalter des Nachmittags waren der Verein "Düsseldorfer Wegweiser" und die Abteilung Jugendförderung der Stadt Düsseldorf.