Gemischte Gefühle: „Die Große“ zeigt Kunstfülle in Düsseldorf
Nur Mut! Der Düsseldorfer Kunstpalast ist zwar eine Baustelle, aber hinter Zäunen und verhüllten Fassaden geht es weiter mit der Bildbetrachtung. Am Samstagabend wird „Die Große“ eröffnet, Schau der vereinten Künstler aus Stadt und Land. Eine Tradition, die sich zäh seit 121 Jahren an Ort und Stelle behauptet. „Gehört zur DNA dieses Hauses“, bemerkt Direktor Felix Krämer und ist „hellauf begeistert“, obwohl die bunte Stilmischung ja keine übergreifende Idee hat. Es wird allerdings stets für Ordnung und Ästhetik gesorgt, und wer Kunst ohne die Rituale des hochnäsigen Handels sammeln möchte, findet hier sicher sein Herzensding. Kleine Formate gibt’s ab 250 Euro. Wer genug Geld hat, kann auch fünfstellig investieren.
Seit 2009 organisiert der Bildhauer und Hoehme-Meisterschüler Michael Kortländer die „Große“ und hat aus den Improvisationen früherer Jahre ein professionelles System entwickelt. Mit sehr viel Engagement. Nicht weniger als 1137 Bewerbungen sind in diesem Jahr eingegangen, mehr als jemals zuvor, und die siebenköpfige Jury musste daraus eine mühselige Auswahl treffen. 153 Künstler*innen haben es geschafft und zeigen rund 300 Werke. Im nächsten Jahr darf Kortländer sich entspannen. Denn der 70-Jährige übergibt den Vereinsjob an einen Theoretiker: den Kunstwissenschaftler Dr. Emmanuel Mir, 1972 im französischen Toulon geboren, Leiter des Landesbüros für Bildende Kunst NRW, auch sonst aktiv als Berater und Vermittler.
Kulturelle Bildung
Der Neue will vor allem „die kulturelle Bildung“ fördern und möglichst viele Schulklassen für die Schau interessieren. Denn ohne nachwachsendes Interesse, das ist absehbar, würde die bürgerliche Kultur langsam aussterben. Dabei gibt es in der jüngeren Künstlergeneration durchaus eine Besinnung auf alte akademische Techniken. Förderpreisträgerin Lara Kaiser, 1996 in Dortmund geborene Absolventin der Akademie Münster, sieht ganz genau hin und malt kleine nüchterne Ansichten von Zimmerecken, Fenstern, Vorhängen – auf der Spur der Linien im Raum und ihrer Veränderung durch Licht und Schatten. Das Motiv ist ihr nicht so wichtig. „Mir geht es nicht so um das Was, sondern um das Wie.“
Auch der Träger des Kunstpreises der Künstler, Jan Kolata, ist leidenschaftlicher Maler. Allerdings von ganz anderer Art. Er schöpft er aus dem Vollen, feiert die Freiheit der Abstraktion. In seinem Lierenfelder Atelier arbeitet der gebürtige Allgäuer mit expressiver Geste und der Fülle der Farben, nutzt große Pinsel, Schrubber und die Macht des Zufalls. Es ist eine Pracht! Mit einem über acht Meter hohen Riesenformat, das im ersten Stock eine ganze Saalwand bedeckt, sorgt Kolata für den Wow-Effekt der Ausstellung und macht klar: Er ist mit seinen 74 Jahren noch voller Saft und Kraft.
Landschaften und Stillleben
Auch sonst wird wieder gemalt – es gibt pastos aufgetragene dunkle Köpfe von Veit-Johannes Stratmann, Frauen auf der Straße von Holger Bunk, romantische Wälder von Michael Handt. Gesine Kikol erinnert mit surreal angeordneten Kadavern an die „Vanitas“, die eitle Vergänglichkeit. Marc von Criegern hat Herren in rätselhafte Szenen gesetzt (Neo Rauch lässt grüßen). Bei Markus Vater erschrecken sich Katzen im Großformat mit gruseliger Lust. Mitten drin steht das teuerste Stück der Schau, eine Skulptur von Ulrike Buhl („Implosion 20“), die an ein schick schwarz lackiertes Riesengedärm erinnert und 65.000 Euro kosten soll.
So viele Namen. So viele Werke. Was immer man erwähnt, kann nur ungerecht sein gegenüber dem Verschwiegenen. Gleich am Eingang, hinter der Galerie des beliebten „Kleinen Formats“ (zu kaufen für ein paar hundert Euro), ist vor allem die Fotografie ausgebreitet. Stillleben, Landschaften, Himmel hängen da, kaum etwas Garstiges. Am irritierendsten ist noch die vom Kunstpalast angekaufte Arbeit von Gursky-Schülerin Lucia Sotnikova, die im mannshohen Format die Fotografie einer mit abgeplatzter Tapete verklebten Steckdose zeigt („Die Haut“). Daneben schweigen fein drei abgewandte Porträts von Frauen in Trachten, die Corina Gertz seit vielen Jahren in Serien fotografiert. Vor dunklem Hintergrund erreichen die schönen Rücken eine unwiderstehliche Präsenz.
Sonntagsbraten in Öl
Aber wir sind noch nicht fertig. Den zweiten Teil der „Großen“ gibt es im NRW-Forum. Draußen vor der Tür auf der Wiese schwächelt das Thema Außenskulptur mit einer aus Bauband in die Wiese gelegten „Grenzfläche“ von Birgit Feike und ein paar eisernen „Wächtern“ von Sybille Berke, die eher wie verlassene Starenkästen wirken. Doch die Wahrnehmung ist nicht mehr ganz frisch, besonders, wenn man versucht, Informationen zu den einzelnen Künstler*innen nebenher zu googeln. Der systematisch bebilderte Katalog erklärt leider nichts, sondern verweist auf die Webseiten der Beteiligten.
Das artet auch fürs Publikum in Arbeit aus. Leicht erschöpft erreicht man die hinteren Gemächer des Forums, wo, hinter zahlreichen Objekten, Julia Bünnagel eine Licht-Klang-Installation mit Plattenspielern, Spiegelungen und rauschend-krachenden Geräuschen eingerichtet hat. Irgendwo in der Mitte läuft ein Video, auf dem Emma Schmieding in Bikini und grüner Perücke die versiffte Henry-Moore-Plastik im Hofgarten abwäscht. Wohl nötig. Auch auf der anderen Seite des Forums geht es weiter – mit 52 „Sonntagsbraten“ in Öl (Elke Seppmann), Objekten und Installationen. Milena Milosavljevic hat die allzeit auf dem Handy präsenten Emojis als „40kg Stories“ in Beton gegossen. 15 Smileys, lachend, weinend, verärgert, erstaunt, gelangweilt. Gemischte Gefühle erzeugt auch die Große. Soll ja so sein.
Was, wann und wo?
Die „Große 2023“ im Düsseldorfer Kunstpalast und im NRW-Forum am Ehrenhof 2-5 wird am Samstag, 2. Juni, um 18 Uhr eröffnet. Die Ausstellung mit Kunst aus Nordrhein-Westfalen ist danach bis zum 9. Juli zu sehen. Di.-So. 11 bis 18 Uhr, Do. bis 21 Uhr. Eintritt: 10 Euro. Katalog: 10 Euro. Die Teilnahme an Führungen Sa. 16 Uhr und So. 15 Uhr kostet acht Euro extra. www.diegrosse.de