Warum? „My Private Jesus“ im Düsseldorfer Schauspielhaus
Lea Ruckpaul (36) ist Schauspielerin, zierlich, lebhaft, leidenschaftlich. Das genügt ihr nicht. Sie will mehr. Selber schreiben. Große Themen bewältigen: Tod, Trauer, Schuld, Verdrängung und die Macht des Internets. Ihr verstörendes Psychodrama „My Private Jesus“ wurde, im zweiten Anlauf, jetzt im Schauspielhaus Düsseldorf uraufgeführt – unter der Regie von Bernadette Sonnenbichler. Der Premierenapplaus im mit vielen Kolleg*innen gefüllten Kleinen Haus war mal wieder enthusiastisch. Die erste Nachtkritik auch. Dabei wird da völlig krauses Zeug auf die Bühne gebracht.
Warum? Keine Ahnung. Warum will sich die junge und gesunde Heldin „Pi“ umbringen? Sie hat erklärtermaßen keine unheilbare Krankheit, keine Depression, steht nicht allein in der Welt. Sie will einfach so „nichts mehr sein müssen“. Da das dem Menschen doch wesensfremd ist, lässt die Regisseurin die seltsame Person eher wie einen leicht kitschigen Engel erscheinen: Blanka Winkler steht da im hellen Anzug, mit rosa Locken, abgerückt. Sie spricht und schaut bei ihren Verkündigungen in eine ungewisse Ferne. Die Anderen hingegen wirken wie eine Truppe grotesker Clowns, in schmuddeligen Klamotten, ausgepolstert mit Fat-Suits, die ihren Wesenskern verbergen.
Kampf in der Arena
Wesentlich ungeschickter als die geschmeidige Pi turnen sie über eine Art Arena aus brüchigen Brettern, die auseinanderkrachen wie die Lebensordnung (Bühne und Kostüme: Anna Brandstätter). Dabei spielt sich das Ensemble ohne Rücksicht auf blaue Flecken die Seele aus dem Leib. Minna Wündrich schreit ihre Wut heraus als daueraufgeregte Feministin und Aktivistin Hanna, die mit Tüllröcken drapiert ist, weil sie in Wahrheit ihre Schönheit feiert. Ihr Freund Ali (Sebastian Tessenow) vermisst jedenfalls Leidenstiefe, wie er sie kennt, seit sein Kind starb (weshalb er gruselige Stoffärmchen als Stola trägt). Wolfgang Michalek als Pis Vater verbirgt hinter einem dicken Wanst weinerlich seine pädophilen Neigungen. Friederike Wagner als Mutter kreischt, weil sie sich aufgefressen fühlt von hausfraulichen Pflichten. Und Pis Bruder Thomas (Florian Claudius Steffens), heult als schlotternde Kreatur mit nassen Hosen über die Millionenpleite seines unseriösen StartUps.
Die Polster fallen
Der „private Jesus“ Pi will allen helfen und Wunder tun. Auf alptraumhafte Weise. Denn wer bald stirbt, hat jede Freiheit. Berichtet wird zum Beispiel, dass Pi den Internet-Feind der wütenden Hanna, einen alten weißen Hasskommentator, mit einer Latte zusammengeprügelt hat, bevor sie der Freundin selbst mit Säure das Gesicht zerstört, damit Hanna endlich mehr Tiefe entwickelt. Was sich Ali gewünscht hatte. Die Sache mit den Wünschen, versteht der leicht gepeinigte Betrachter, dient der Entlarvung von Lebenslügen. Das Verschwiegene tritt zutage, die Polster-Hüllen fallen, man steht in Unterhosen da. Es gibt Mord und Totschlag und leicht ekligen Slapstick. „Oh, Oh, Ohhh“ klagt aus dem Off ein Chor kindlicher Stimmen.
Ein gewisser finsterer Humor ist manchen Szenen nicht abzusprechen. Es geht der Autorin aber vor allem um den gesellschaftlichen Rundumschlag. Auch die ökologische Frage wird deshalb noch gestreift. Pis einst missbrauchte Freundin Ewa (Cennet Rüya Voß) sieht noch Zukunft und hält einen ökologisch einwandfreien Schlussmonolog über Geothermie in Reykjavik. Das ist gründlich, macht das Drama aber noch konfuser. Und der im Titel erwähnte Jesus kann nichts dafür.
Weitere Vorstellungen
„My Private Jesus“ von Lea Ruckpaul nach einer Idee von Eike Weinreich wurde im Kleinen Haus des Düsseldorfer Schauspielhauses uraufgeführt. Weitere Vorstellungen am 31. Mai sowie am 6., 15. und 21. Juni. Jeweils 20 Uhr. Zwei Stunden ohne Pause. Infos und Tickets: www.dhaus.de