Brecht mit Leidenschaft: „Der gute Mensch von Sezuan“ in Düsseldorf
Dieses Sezuan liegt nicht im realen China, man kann es getrost mit Nicht-Asiaten spielen. Es handelt sich um einen der symbolischen Orte, an denen Bertolt Brecht seine Dramen von Unterdrückung und Moral und der ewigen Unzulänglichkeit des Charakters ansiedelte. „Der gute Mensch von Sezuan“, 1943 im kriegsfreien Zürich uraufgeführt, ist ein von Oberschülern endlos durchinterpretiertes Beispiel für das lehrreiche epische Theater. Niemand will derlei heute noch in strenger Form an der Rampe aufsagen. Im Düsseldorfer Schauspielhaus hat Bernadette Sonnenbichler Brechts Parabel als leidenschaftliches, körperbetontes Spektakel inszeniert.
Schwer wallt mal wieder der Theaternebel, dabei will man eigentlich einen klaren Blick auf die Bühne haben. Die Kunstfiguren dort sind grotesk, Kasperln ihres Schicksals, sie lassen uns jedoch nicht kalt. Die Choreografie des japanischen Butoh-Meisters Tadashi Endo unterstreicht die Worte mit expressiven Gesten, Gängen, Haltungen. Auf der schrägen Plattform, die David Hohmann eingerichtet hat, erscheint zunächst der bitterarme Wang, in Lumpen, mit stummer Grimasse (Sebastian Tessenow). Er fällt aus dem Stand zu Boden, rappelt sich hoch, ächzt gequält die ersten Worte: „I-i-ich bin Was-ssserverkäufer.“ Ein Geächteter, der nie genug hat, und zugleich ein Besonderer. Denn der elende Wasserverkäufer erkennt als einziger die drei Götter, die nach Sezuan gekommen sind, um die Menschen auf die Probe zu stellen.
Die Gier und die Not
Wang müht sich redlich, doch einzig die Prostituierte Shen Te lässt sich überreden, den himmlischen Gästen ein Obdach zu gewähren. Kostümbildnerin Tanja Kramberger hat den Erleuchteten riesige Köpfe aufgesetzt, Schutz und Zeichen ihrer Fremdheit. Durch Augen und Münder der markanten Masken nehmen die Hände der Götter zögernd Kontakt auf zu den Irdischen. Die himmlischen Moralapostel verstehen nicht, dass Feindseligkeit und Gaunerei ihren Ursprung oft in der blanken Not haben. „In das Wirtschaftliche können wir uns nicht einmischen“, bemerken sie – und schenken der verzweifelten Shen Te dann doch einen kleinen Geldsegen, mit dem sie einen Tabakladen kaufen kann.
Prompt stellen sich die Schmarotzer und Gläubiger ein. Jeder will von Shen Tes Gutmütigkeit profitieren – so erfindet sie einen ebenso geschäftstüchtigen wie skrupellosen Vetter, Shui Ta, dessen Rolle sie bei Bedarf übernimmt. Minna Wündrich, groß und kraftvoll, verblüfft das Publikum mit ihrem meisterhaften Wechselspiel. Gerade ist sie noch die mütterlich warmherzige Shen Te, da zieht sie die Männerjacke über, verändert die Gesichtszüge mit einem Band, steckt zwei Knubbel in die Backen und wird zum breitbeinigen Manager Shui Ta. Auch die Stimme verändert sich, wird dunkler, lauter, entschlossener. Gespenstisch gut.
Auch Liebe will Geld
Shui Ta weist sie alle ab – die Schmarotzer, den armseligen Schreiner, auch Yang Sun (Jonas Friedrich Leonhardi), den verlogenen arbeitslosen Flieger, in den sich Shen Te so heftig verliebt hat. Die Hochzeit hat der Nichtsnutz platzen lassen, weil sie ihm kein Geld einbrachte. Und so verwandelt sich die schwangere Shen Te in einen dicker werdenen Shui Ta, macht Geschäfte mit den Reichen, dem gemeinen Barbier, der gierigen Vermieterin. Und hat Erfolg. Aber Shui Ta bleibt nicht ruhig in dieser Inszenierung. Er ist immer auch Shen Te. Minna Wündrich zeigt im männlichen Part eine wachsende, schmerzende Nervosität, das Kind der guten Weiblichkeit im Bauch will hinaus.
Am Ende, vor dem Gericht der unwilligen Götter („Leider können wir nicht bleiben.“), offenbart Shen Te die Wahrheit. Eine Lösung gibt es nicht. Der Himmel – Religionskritik – hält sich raus. Das Geld – Kapitalismuskritik – wird weiter regieren. „Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“ Der Zuschauer soll selbst weiterdenken: „Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluss! Es muss ein guter sein, muss, muss …“ Nun, erst mal fühlt man sich beflügelt von der lustvoll neuen Inszenierung eines Klassikers der Moderne. Der Applaus schwillt an, es gibt Begeisterungsrufe – auch für die fabelhafte Combo von Tobias Vethake, die in der Versenkung neben einer Stehlampe im Stil der Brecht-Zeit für die musikalische Untermalung sorgt. Die Original-Komposition von Paul Dessau wurde sanft bearbeitet, die Songs kommen zu kurz. Aber man kann nicht alles haben.
Weitere Vorstellungen
„Der gute Mensch von Sezuan“ von Bertolt Brecht in der Inszenierung von Bernadette Sonnenbichler steht am 2., 7. und 17. Mai sowie am 20. Juni auf dem Programm des Düsseldorfer Schauspielhauses am Gründgens-Platz, Großes Haus. Knapp drei Stunden, eine Pause. Tickets und Infos unter www.dhaus.de