Die Dichterin malt: K20 Düsseldorf feiert die Farbenlust von Etel Adnan
Sie lebte zwischen den Welten. Etel Adnan (1925-2021), Tochter einer Griechin und eines osmanischen Offiziers aus Syrien, wurde in Beirut geboren. Schon als Kind sprach sie Türkisch, Griechisch, Französisch und Arabisch. Sie studierte Philosophie und Literatur, war Stipendiatin in Paris, Dozentin für Kunstphilosophie in Kalifornien, Kulturjournalistin im Libanon. Sie dachte und dichtete ihr Leben lang und befreite sich von der Sprache in einer schwerelosen Malerei. Ihre „Poesie der Farben“ wird jetzt von der Kunstsammlung NRW im K20 gefeiert. Eine überraschende, eine hinreißende Ausstellung.
Nein, Etel Adnan ist nicht so berühmt wie die alten weißen Herren der Moderne. Ja, ihre Bilder erinnern stark an Kandinsky und Klee und auch an Nicolas de Staël und Serge Poliakoff. Aber es sind keine Kopien, sondern Verbindungen, die sie schuf. „Bridges and new dialogues“, Brücken und neue Dialoge, sieht der französische Kurator Sébastian Delot, der die Ausstellung zuvor für das Münchner Lenbachhaus konzipiert hat. Friedlich fügen sich in die Schau ein paar Prachtstücke aus der Sammlung, Kandinskys Abstraktion „Im Blau“, Klees kleiner „Bunter Blitz“ zum Beispiel. Es ist eben doch gut, wenn Direktorin Susanne Gaensheimer den Blick auf die lang vernachlässigten Frauen der Moderne lenkt.
Gewebe des Lebens
Von einer monumentalen, farbenglühenden Fliesenkeramik, die im letzten Jahr nach einem Entwurf der Künstlerin gefertigt wurde, wird das Publikum hineingezogen in die Ausstellung. An getönten Wänden schweben geometrische Farbfelder und tanzende Linien auf Ölbildern oder Tapisserien. Wie viele Frauen hatte Etel Adnan keine Angst vor kunsthandwerklichen Umsetzungen. Besonders in Ägypten bewunderte sie die traditionelle Teppichweberei und freute sich, dass sie die teuren Aufträge als reife Künstlerin in einer französischen Manufaktur umsetzen lassen konnte: „Das Leben ist ein Gewebe“, sagte sie dazu.
Außerdem: Ein Teppichbild kann man jederzeit zusammenfalten und mitnehmen. Es passt zu einer nicht ganz sesshaften Seele genau wie die japanisch anmutenden Leporellos, meterlange Skizzenbücher voller Schriften und Zeichnungen, die sich ebenfalls leicht verpacken lassen. Man weiß ja nie … Schon Etel Adnans Eltern hatten ihre gefühlte Heimat verloren, als sie nach dem Untergang des Osmanischen Reichs aus Smyrna, dem heutigen Izmir, fliehen mussten. Die nie gesehene Stadt spielte immer eine Rolle in der Familie. In einem Film von Joana Hadjithomas sinniert die alte Etel Adnan über das Gefühl von Verlust, das an die Kinder weitergegeben wird.
Liebe zu einem Berg
Sie selbst löste sich und fand neue Verankerungen. Im kalifornischen Sausalito, einer kleinen Stadt im Norden von San Francisco, wohnt sie mit Aussicht auf den Mount Tamalpais, den sie viele Jahre lang im wechselnden Licht betrachtet, malt und in den 1980er-Jahren in der „Reise zum Mount Tamalpais“ besingt. Es ist ihr philosophischer Ort, dessen Linien und Farben sie auch zum Entwurf einer Tapisserie inspirierte, die jetzt für die Kunstsammlung erworben wurde („Sommeraufenthalt“).
Der Berg war Etel Adnan auch ein Trost, als sie von den Verheerungen des algerischen Bürgerkriegs hörte – nur eines der Gewaltereignisse aus einer Kette von Schlachten, über die sie später eine „Arabische Apokalypse“ dichtete und den Roman „Sitt Marie-Rose“ schrieb. Bitter sind ihre Erkenntnisse, die leider auch in die Gegenwart passen: „Das Licht in den Augen derer zum Erlöschen bringen, die die Welt lieben, das ist Krieg.“
Schön und spontan
Nach dem Algerien-Konflikt war der Sprachgewandten das Französische der Kolonialmacht vorübergehend zuwider: „Ich malte einfach auf Arabisch.“ Die wortlose Freiheit der Bildenden Kunst tat ihr gut: „Im Malen drückt sich meine glückliche Seite aus, jene, die mit dem Universum eins ist.“ Dabei spielt sie mit der Abstraktion, setzt lila Vierecke auf Schwarz, Grün, Blau. Ein Orange blitzt hervor, auf Rosarot.
Doch letztendlich waren es doch die Erscheinungen, die Berge, das Meer, schwebende Vögel, aber auch die Häuser und Lichter der Großstadt, die sie zeichnerisch und malerisch beflügelten. „Beauty and spontaneity“, Schönheit und Spontaneität, erkennt Kurator Delot in ihrem Werk. Sie selbst, geistig präsent bis zum Schluss, freute sich noch über die große Ausstellung in München und Düsseldorf, starb aber während der Vorbereitungen im November 2021 im Alter von 96 Jahren in ihrer Wahlheimat Paris.
Was, wann und wo?
Die Ausstellung „Etel Adnan – Poesie der Farben“ wird am Donnerstag, 30. März, 19 Uhr, im Düsseldorfer K20 am Grabbeplatz eröffnet und ist dann bis zum 16. Juli zu sehen. Neue einheitliche Öffnungszeiten: Di.-So. 11 bis 18 Uhr. Der malerisch gestaltete Katalog ist im Hirmer Verlag erschienen und kostet 34 Euro. Tickets kosten 14 Euro, Kinder und Jugendliche haben freien Eintritt, Studierende und Auszubildende zahlen 5 Euro. Fragt sich nur, wann es in Düsseldorf endlich auch für Rentner*innen reduzierte Eintrittspreise gibt. www.kunstsammlung.de