Was der Computer träumt: Kunstpalast Düsseldorf zeigt hypnotische KI-Werke
Die aussterbende Spezies des europäischen Museumsbesuchers hat vermutlich noch nie etwas von Refik Anadol gehört. Dabei ist der Mann berühmt, nicht nur auf Instagram. Hat mit seinen virtuellen Werken das Weltwirtschaftsforum dekoriert und die Verleihung der Grammy Awards. Verwandelte Wände und Fassaden in Los Angeles in leuchtende, sich wandelnde Kunstwerke. Jetzt lernen wir ihn kennen. Denn der Düsseldorfer Kunstpalast, unter Felix Krämer immer dem Zeitgeist aufgeschlossen, zeigt die von einer Künstlichen Intelligenz kreierten „Machine Hallucinations“ des Refik Anadol.
Der Künstler erklärt seine Welt höchstpersönlich, virtuell natürlich: runde Brille, schwarzes, kragenloses Hemd, nettes Lächeln. Wie der sympathische Nerd, der im Kino zum Helden wird, legt er die Fingerspitzen aneinander und schwärmt von der Künstlichen Intelligenz (KI), die sich rasant entwickelt und, angeleitet vom Menschen, „größer als wir selbst“ werden kann. Gruselige Vorstellung, aber nicht für Anadol, der, 1985 in Istanbul geboren, heute als optimistischer und dynamischer Vorzeige-Amerikaner in Los Angeles lebt, lehrt, ein Studio leitet und seine Datenskulpturen in repräsentativen Bauwerken installiert.
Alles fließt, zerfließt
Keiner kann sich der Wirkung entziehen: Man sieht ein Wabern und Wogen von Farbwellen, von denen Fans psychedelischer Kunst in der Hippie-Zeit nur auf dem LSD-Trip fantasieren konnten. Heutzutage, weiß Alain Bieber, der Düsseldorfer Mann für Medienkunst, gibt es „diesen magischen Moment, wenn Maschinen ins Träumen geraten“. Dabei können sie, im Gegensatz zum Menschen, mühelos unzählige Daten zugleich verarbeiten. Macht nichts, dass die Ausstellung im ersten Stock des von Baufolien umhüllten Palastes eigentlich nur drei Werke aufweist. Die ändern ständig ihre Formen – eine Flut von Eindrücken.
Dabei ist das Projektions-Triptychon „Wald-Pigmentierungen“ mit seinen kleineren Bildschirmen noch das bescheidenste Stück: Formen, Farben und Muster ergeben sich aus 300 Millionen (!) Naturfotografien, die das Studio Anadol gespeichert hat. Davon erkennt man allerdings nichts mehr. Alles ist im Fluss, wohingegen die „Natur-Träume“ zwei Säle weiter durchaus an Landschaften erinnern: grüne Hügel, dunkle Gipfel, eine Art Himmel, Sonnenuntergangsfarben wurden von der KI aus den Informationen von 1,3 Millionen Fotografien aus Nationalparks zusammengesetzt, gewissermaßen neu erschaffen.
Nichts darf bleiben
Doch nichts bleibt. Alles, was entsteht, verschwimmt augenblicklich wieder. Neue Wellen von Farben branden an das Ufer unserer Wahrnehmung. Das spektakulärste, von sphärischen Klängen eingehüllte Werk sind die acht Meter hohen „Maschinen-Halluzinationen“ aus der Sammlung der Telekom. Wie man ganz old-school an der Wand liest, wurden dafür über zwei Millionen Bilder verwendet, die von amerikanischen Weltraumteleskopen aufgenommen wurden. Anadol hat diese Daten mit GAN-Algorithmen verarbeiten lassen. Als GAN (General Adversarial Network) bezeichnen die Experten „ein Machine-Learning-Modell, das selbständig in der Lage ist, neue Daten zu generieren, weil zwei künstliche neuronale Netzwerke miteinander konkurrieren und voneinander lernen können“. Ach was!
Zum Glück muss man die technischen Vorgänge nicht verstehen, um ihre Ergebnisse betörend zu finden. Ein Meer aus Punkten in wechselnden Farben verwandelt den Saal in einen unwirklichen Kosmos. Man fühlt sich schön hypnotisiert. Nimmersatte Fans können zur Vertiefung des Erlebnisses allen Ernstes auch Yoga-Stunden vor den Projektionen buchen. Es könnte aber sein, dass sich der Geist nach dieser Schau vor allem nach der Ruhe und den Details eines feststehenden Bildes sehnt. Da sei (siehe Kunstkritik vom 7. Februar) die große Ausstellung mit Ölstudien im Erdgeschoss zu empfehlen: „Mehr Licht“.
Was, wann und wo?
„Refik Anadol: Machine Hallucinations“. Bis 7. Mai im Kunstpalast Düsseldorf, Ehrenhof 4-5. Di.-So. 11 bis 18 Uhr, Do. bis 21 Uhr. Das Ticket für 12 Euro (Kinder unter 18 frei) gilt auch für die Gemälde-Ausstellung „Mehr Licht“. Im Begleitprogramm werden auch Yoga-Sessions vor den virtuellen Werken Anadols angeboten. Nähere Informationen unter www.kunstpalast.de