Das Schrille und das Stille: Dreierlei Fotokunst im NRW-Forum Düsseldorf
Genug gespielt! Nach dem Hype um die „Wonderwalls“ mit Designer-Toys aus der Sammlung des ewigen Knaben und Food-Unternehmers Selim Varol präsentiert das NRW-Forum nun gleich drei renommierte Fotokünstler*innen auf einmal: die Landsberg-Preisträgerin Alex Grein, den Düsseldorfer Andreas Gefeller und die Britin Alison Jackson. Aber was heißt hier ernsthaft? Wie fast immer im zeitgeistig ausgerichteten Teil der städtischen Museen gehört amüsantes Showgeschäft dazu.
Das offenbart sich auf den ersten Blick: Auf einem Großbild zur Linken hockt, hell beleuchtet und von hinten, eine nicht ganz seriöse Brünette mit langem Haar und Strapsen im blauen Wasser eines Pools und reckt den imposanten Hintern. Kim Kardashian, denkt man sofort, denn die Kehrseite der Influencerin bleibt ja niemandem verborgen, der sich je durch die dummen Seiten des Internets und der Reality-Soaps geklickt hat. Aber Irrtum: Das ist nicht Kim, das Originalmodell. Die englische Foto-Satirikerin Alison Jackson, 1960 geboren, führt das Publikum lustvoll in die Irre. Denn, so der Titel ihrer Schau: „Truth is dead“, die Wahrheit ist tot.
Die falsche Queen
„Sie täuscht, sie fälscht und provoziert“, erklärt vergnügt der künstlerische Leiter Alain Bieber, und das ist ein Kompliment. Denn Alison Jackson arbeitet mit Doppelgänger*innen prominenter Persönlichkeiten, um die hohle Sensationsgier zu entlarven – nicht ohne sie selbst zu bedienen. Vermeintliche Paparazzi-Bilder sind sorgfältig inszenierte Fake News von Mrs. Jackson. Ein hartes Stück Arbeit. Wie ein Video zeigt, hatte sie 300 Kerle angesehen, bis sie einen LKW-Fahrer aus Chicago fand, der mit fünf Haarteilen und orangefarbenem Make-Up zum Ebenbild des US-Fieslings Donald Trump wurde, der sich zwischen Girls danebenbenimmt. So ein Trump war und ist ein Prachtmotiv für die kritischen Künste.
Der deutsche Kanzler Olaf Scholz, verrät Jacksons Agentin und Kuratorin Anke Degenhard, ist der Künstlerin hingegen zu unscheinbar. Sie hält sich lieber an die anglo-amerikanischen Promis. Das britische Königshaus ist bei ihr vielleicht ein wenig überrepräsentiert. Man sieht die (falsche) Queen in quicklebendigen Szenen mit Elton John am Klavier, beim Frühstück im Bett, mit ihren Corgi-Hündchen beim Bummel vor einer Buchhandlung. Das letzte Foto war so glaubhaft, das die Daily Mail es als echten Schnappschuss gedruckt hat. Triumph für die Künstlerin, die Ihre nun leider verstorbene Majestät mit wesentlich mehr Respekt dargestellt hat als die Beckhams oder Harry und Meghan, die wir in recht vulgären Zusammenhängen sehen.
Schlacke wird zu Sternenstaub
Vom Schrillen geht’s zum Stillen auf der anderen Seite des Hauses, wo der 1970 geborene Düsseldorfer Fotokünstler Andreas Gefeller ein subtiles Lebenswerk ausbreiten darf. Anders als der Zeitgeist nahelegt, entstehen seine unwirklich wirkenden Aufnahmen nicht am Computer, sondern in mühseliger fotografischer Kleinarbeit, die das Unsichtbare („Out of Sight“) durch besondere Belichtungstechniken sichtbar macht. In der Serie „The Other Side of Light“ werden helle Birkenstämme, Regentropfen auf dem Wasser, das Glitzern des Rheins zu fast abstrakten Kompositionen. Strengere Strukturen hat die Serie „Supervisions“, für die er Tausende einzelner Aufnahmen, von oben aufgenommen, zu visuellen Collagen zusammenfügt. Küken einer Hühnerzucht, Plastikstühle im Stadion, Bäume auf einem Parkplatz werden zur strengen Komposition. Über das Blau eines Swimmingpools darf man laufen. Kuratorin Judith Winterhager hat die Ausstellung mit architektonisch gestalteten Ecken noch reizvoller gemacht.
Und so staunt man: Über romantische Wolkenballungen, die in Wahrheit nur die Abluft aus den Kühltürmen in Grevenbroich-Neurath sind. Über sphärischen „Dust“, der aussieht wie Sternenstaub, aber nur die mit Highspeedblitz fotografierte Schlacke ist, die bei der Verbrennung von Restmüll entsteht. Sehr lang belichtet hatte der junge Gefeller vor über 20 Jahren, als er nachts auf Gran Canaria die verlassenen Sonnenliegen und die grellweißen Bungalows vor schwarzem Nachthimmel fotografierte – und der Wirklichkeit eine seltsame Künstlichkeit gab.
Imaginärer Schmetterlingsflug
Auch die Gursky-Schülerin Alex Grein, 1983 in Köln geboren, verändert den Blick und möchte die „Hyper-Realität“, die durch digitale Techniken erzeugt wird, „in Frage stellen“. Dafür bekam sie den mit 15 000 Euro dotierten Landsberg-Preis. Ganz fein bearbeitete Grein anonyme Fotografien aus der Sammlung des Kunstpalastes und verpasste einer Gruppe von Strandgängern aus den 1920er-Jahren ein zartes rotes Band („Tauziehen“). Ein weißer Flaum erscheint auf einer Stadtansicht und trägt den ironischen Titel „Frau fotografiert Feder“.
Die Frau ist sie, Alex Grein. Und sie hat auch präparierte Schmetterlinge gefilmt, die sie auf ihr Tablet gesetzt hat, über das Google-Earth-Bilder laufen. So entsteht der Eindruck, als flögen die optisch wiederbelebten Falter über die Welt, über Straßen und Gebirge, hoch hinauf, bis der blaue Planet unter ihnen liegt. Sehr schön, fast ein bisschen kitschig. Es gibt viel und Kontrastreiches zu sehen im NRW-Forum. Ein Besuch lohnt sich wieder mal.
Was, wann und wo?
Bis zum 14. Mai zeigt das Düsseldorfer NRW-Forum am Ehrenhof 2 im Erdgeschoss die Fotokunst von Alison Jackson („Truth is Dead“) und Andreas Gefeller („Out of Sight“). Im ersten Stock wird bis zum 10. April eine kleine Schau zum Landsberg-Preis 2022 präsentiert: „Alex Grein. umlauf“. Geöffnet: Di.-So. 11 bis 18 Uhr. Do. bis 21 Uhr. Eintritt: 9 Euro. www.nrw-forum.de