Die kunstseidene Dame: Stücke über Irmgard Keun im Schauspiel Düsseldorf
Leerer Zuschauer-Saal im Großen Haus? Das Publikum sitzt da oben? Auf der Drehbühne, auf Drehstühlen, in unsicherer Position? Scharf beleuchtet? Muss das sein? Nein – aber es ist ein tolles Theatererlebnis! Witzig, schnell und mutig wie das Werk der Titelheldin setzte Mina Salehpour das neue Stück von Lutz Hübner und Sarah Nemitz in Szene: „Die fünf Leben der Irmgard Keun“. Im Anschluss gab es im Foyer des Düsseldorfer Schauspielhauses noch eine nächtliche Show mit Pauline Kästner und Irmgard Keuns berühmtestem Roman „Das kunstseidene Mädchen“. Ein langer, niemals langweiliger Abend.
Der Seiteneingang
Mit einem gewissen Unbehagen fängt es an. Die Türen zum vertrauten Saal bleiben verschlossen. Die Zuschauer, dicht gedrängt, werden durch den Seiteneingang gelotst, quer durch die Hinterwelt des Theaters, wo sich zwischen gestapelten Kulissen die Maschinerie der Illusionen verbirgt. Zur Drehscheibe geht es, wo man sich selbst einen Platz sucht – auf nicht nummerierten, ebenfalls rundum drehbaren Stühlen. Schon klar: Man befindet sich auf schwankendem Boden. Es gibt kein Vorne und Hinten. Nichts steht hier fest. Das Spiel ist überall.
Verloren im Exil
Das passt zu Irmgard Keun (1905-1982) und ihrem Schicksal. Die in Berlin geborene Kölnerin, gelernte Stenotypistin, zeitweilige Schauspielerin, schrieb in den letzten Jahren der Weimarer Republik zwei geistreich konstruierte, offenherzige Romane, die vom Lebensgefühl junger Frauen in einer wirtschaftlich und politisch aufgewühlten Gesellschaft schildern: „Gilgi, eine von uns“ und „Das kunstseidene Mädchen“. Die Leserschaft liebte sie. Die Nazis hassten sie. Irmgard Keuns Bücher wurden beschlagnahmt und verboten. Im belgischen Exil liebte und unterstützte sie den todtraurigen Kollegen Joseph Roth. Ein Versuch, in Amerika zu leben, scheiterte. Sie ging zurück nach Köln, wo sie den Krieg unter großen Gefahren überstand, zu viel trank und die Leichtigkeit verlor. Nach Jahren in der Psychiatrie wurde sie erst im Alter wieder öffentlich beachtet.
Davon handelt das Stück. Ein WDR-Team will 1977 einen kleinen Dokumentarfilm über Schriftsteller im Exil machen. Nur die Keun lebt noch – und mischt sich ein. Claudia Hübbecker spielt sie mit kronenartiger Pelzmütze und spöttischem Tonfall: „Inspiration ist etwas für Dilettanten. Profis setzen sich hin und arbeiten.“ Natürlich nicht ohne Sekt und Zigaretten. Das Drehbuch wird mal eben zerpflückt: „Lange Sätze sind immer ein Zeichen unscharfer Gedanken.“ Die vorgesehenen Keun-Darstellerinnen sind gestresst, der brave Fernseh-Regisseur (Thiemo Schwarz) will die alte Besserwisserin loswerden.
Geister der Erinnerung
Doch sie bleibt. Überredet den Nachtportier, einen Altnazi-Mitläufer der rheinischen Art (Rainer Philippi), und die ernsthafte Regieassistentin (Gesa Schermuly), ihr zu Diensten zu sein. Und sie begegnet den Geistern der Erinnerung: Joseph Roth, der Kellnerin auf der Terrasse in Oostende und dem amerikanischen Verehrer Dr. Strauß, der Anpassung von ihr fordert. Das Ensemble wechselt die Rollen mit großer Spielfreude, zwängt sich zwischen den Stühlen durch, lässt am Rand neue Szenarien entstehen. Man dreht sich bald hierhin, bald dorthin. Ein schleierhafter Vorhang rund um die Drehscheibe zeigt Meeresblau und Sonnenuntergangsgold, wird aber zwischendurch hochgezogen, um die graue Hinterbühne preiszugeben.
Die Filmmusik zu dem konzentrierten, abwechslungsreichen Spiel, komponiert von Sandro Tajouri, reicht von Sphärenklängen über „Heidewitzka, Herr Kapitän“ bis zum Dröhnen des Ausklangs. Ein Gesamtkunstwerk ist diese eindreiviertel Stunden lange Inszenierung, ein bisschen schwindelerregend und unvergesslich. Es gibt zu Recht standing ovations, besonders für Claudia Hübbecker.
Doris als reife Diva
Pauline Kästner, die eine der Nebenrollen spielt, hat es danach nicht leicht. Sie muss sich umziehen und einstellen auf ihr Solo im Foyer – als Keuns Romanheldin Doris, „Das kunstseidene Mädchen“. Für Zuschauer, die beide Vorstellungen gebucht haben und fast ein Stündchen warten müssen, hat die Bar leider nur trockene Brezeln zu bieten. Müdigkeit macht sich breit. Als Pauline Kästner schließlich erscheint, im glitzernder Robe, reagiert erst mal keiner auf die launige Bitte, ihr ein Glas Sekt zu kaufen. Nun ja, nächstes Mal klappt’s vielleicht besser.
Diese Doris ist nicht süße 18 wie Keuns Ich-Erzählerin, die im Theater einen Pelzmantel klaut und aus der rheinischen Provinz nach Berlin abhaut, um dort „ein Glanz“ zu werden, was an der Realität scheitert. Diese Doris ist älter und eine Art Tingeltangel-Diva, die aus ihrem Leben plaudert. Keine Rezitation soll das sein, sondern eine Solo-Revue. Mit Klavier. So kann Pauline Kästner zwischendurch mit Songs zum Besten geben wie Marilyns „Diamonds“ oder Cohens „I’m your Man“, was nicht so recht passen will. Überhaupt ist zu viel Pathos und Geschrei in der Show, sehr fern von Keuns pointierter Sachlichkeit. Aber manche mögen’s sicher genau so.
Kombiticket buchbar
Das neue Stück „Die fünf Leben der Irmgard Keun“ von Lutz Hübner und Sarah Nemitz wird auf der Drehbühne des Großen Hauses im Schauspiel Düsseldorf gezeigt. Nächste Vorstellungen sind am 27. Januar, am 5., 12. und 23. Februar sowie am 1. März. Die One-Woman-Show „Das kunstseidene Mädchen“ mit Pauline Kästner steht am 27. Januar sowie am 1., 5. und 12. Februar auf dem Programm. Es gibt Kombi-Tickets, die auch an verschiedenen Tagen eingelöst werden können. Infos, Anfangszeiten und Tickets unter www.dhaus.de