Das unabsichtliche Vermächtnis: Peter Lindbergh im Kunstpalast Düsseldorf
Manchmal kann etwas Schönes zugleich etwas sehr Trauriges sein. Das gilt in hohem Maße für die betörende Ausstellung des Fotografen Peter Lindbergh im Düsseldorfer Kunstpalast. Zwei Jahre lang hatte er sie persönlich vorbereitet und die Bilder mit Hilfe eines Raummodells immer wieder neu arrangiert. Endlich wollte er seine „Untold Stories“, seine nicht erzählten Geschichten, ganz frei in einem Kulturinstitut zeigen – ohne den geringsten Einfluss der Modebranche, mit der er reich und berühmt geworden war. Ende August 2019 schickte er eine SMS aus den Sommerferien, die Schau sei jetzt fertig. Wenige Tage später, am 3. September, starb er plötzlich in Paris. Und wir sehen jetzt sein unabsichtliches Vermächtnis.
Hingebungsvoll: gerahmte Lindbergh-Fotografien. Links: reizvoll verschattete Porträts von Heidi Mount in Paris 2008.
Lindbergh, der in der glamourösen Welt als Daddy der Supermodels gilt, soll ein bodenständiger, ein herzlicher Mann gewesen sein. 1944 als Peter Brodbeck im heute polnischen Lissa geboren, war er in Duisburg aufgewachsen, hatte in Berlin und Krefeld ein bisschen Malerei studiert und sich dann in Düsseldorf als Assistent von Hans Lux für die Fotografie entschieden. In den 1970er-Jahren arbeitete er schon erfolgreich als Werbefotograf und nahm den Künstlernamen Lindbergh an, ja, wie der amerikanische Flugpionier. Schließlich wollte Peter die Welt erobern. Tatsächlich führte ihn ein Auftrag 1978 nach Paris, und die Karriere hob ab.
Die Mode spielt eine Nebenrolle
Lindbergh wurde der vielleicht berühmteste Modefotograf seiner Zeit. Ganze Ausgaben der Vogue hat er bebildert, schwarz-weiß war seine umschwärmte Ästhetik. Die Models liebten ihn, weil er sie nicht als Kleiderpuppen darstellte, sondern als Frauen mit Charakter, die er oft in rätselhaften Szenen zeigte. Aus dem gleichen Grund wussten ihn auch die Verächter des Hochglanz-Milieus zu schätzen, etliche Galerien und Museen haben ihn zu Lebzeiten gewürdigt. Doch im Mittelpunkt des Interesses war immer „The Model as Muse“, das Model als Muse (so titelte 2009 das New Yorker Metropolitan Museum of Art). In der Düsseldorfer Show spielt die Pose für die Mode eine Nebenrolle.
Raumprägend sind die von Lindbergh kombinierten Vergrößerungen an der Wand.
Mit voller Absicht verzichtete Lindbergh als sein eigener Kurator auf einige seiner populärsten Fotografien. Man sieht zum Beispiel keine fröhlichen Gruppenbilder von Cindy, Christy, Linda und den anderen Beautys aus den späten 1980er-Jahren. Der Optimismus jener Epoche ist einer ausdrücklichen Melancholie gewichen. Das 1988 entstandene Katalog-Coverbild von Linda Evangelista, Michaela Bercu und Kirsten Owen mit ernsten Gesichtern und nonnenhaften Kopfbedeckungen weist schon darauf hin. Es geht hier nicht ums glitzernde Leben, sondern um Lindberghs Kunst, die mit dem Schatten spielt.
Was der Zufall schafft
Und so ist es eine karge, menschenleere amerikanische Landschaft mit einem Motel-Schild und ein paar fernen Autos vor dunklem Gebüsch, die man beim Aufschlagen des Katalogs zuerst sieht. Eine Stimmung wie auf machen Gemälden Edward Hoppers oder wie bei Wim Wenders, dem Filmer, Fotografen und Freund, dessen rührende Trauerrede aus der Kirche St. Sulpice zu den wenigen Texten dieses besonderen Bilderbuchs gehört. In der Ausstellung wechseln klassisch holzgerahmte Abzüge mit Wallpapers, die Lindberghs Bilder zu riesigen Collagen zusammenfügen. Es ist, als liefe man direkt hinein in seine Bilder- und Gedankenwelt, wo er kühne Kombinationen entwickelt hat.
Nicole Kidman (unten links) und die Rätsel des Peter Lindbergh: Wallpaper im Kunstpalast.
Da sieht man das Gesicht der Schauspielerin Nicole Kidman, die mit flatterndem Haar zu fallen scheint, und darüber liegt Kristen McMenamy seitlich, mit tänzerischer Geste und straffen Gliedern, auf einem Stuhl am Meeresufer. Ob das kaum erkennbare Kleid zu einer Modestrecke gehörte, weiß man nicht. Viele Fotografien sind nebenher entstanden, zufällig, und wurden bisher nie der Öffentlichkeit vorgeführt. Wie Lindbergh in einem Interview mit Kunstpalast-Chef Felix Krämer bekannte, geschahen ihm oft „die besten Sachen als Unfälle“. So sorgte ein Kleberest auf einem Negativ mit Tina Turner am Eiffelturm für die optische Irritation, die dem Motiv den besonderen Kick gibt.
Gesichter und Geschichten
Es muss nicht alles erklärt werden. Die Ausstellung verrät zwar Namen und Orte, aber sie kann ganz intuitiv angesehen werden. Natürlich erkennt man Personen: Da ist der strenge Blick der britischen Queen-Darstellerin Helen Mirren und der leicht verstörte Ausdruck im schönen dunklen Gesicht des einstigen Supermodels Naomi Campbell. Zwischen den beiden Großformaten hängen geheimnisverliebte Motive: Herrschaften vor einem schäbigen Schiff (in Brooklyn) und ein Zettel mit handgeschriebenen Daten und Wörtern (aus dem Teatro Real Madrid).
Durchblick: Peter Lindbergh selbst entwarf den Wechsel zwischen herkömmlicher Hängung und Wallpaper.
Wer sich einlässt auf die 140 Bilder der Ausstellung, hat viel zu entdecken und zu erzählen. Ja, das ist der schöne Antonio Banderas, der da zu Boden blickt. Und da oben hängt die französische Filmgöttin Jeanne Moreau mit ihrem Antlitz der reifen Frau. Ihre Kollegin Charlotte Rampling hockt müde auf einem Hochstuhl im Studio, wahrscheinlich am Ende einer anstrengenden Session. Der nackte Körper des Kommunen-Liebchens Uschi Obermaier 1994 als End-Vierzigerin, nicht mehr so makellos wie mancher junge Akt, hängt da in poetischer Verbindung zu einem Vollblut-Pferd aus Sevilla.
Der Blick des Mörders
Gegenüber öffnet sich ein Vorhang. Dahinter läuft ein Video, das vermutlich niemand dem Modefotografen Peter Lindbergh zugeordnet hätte. 2013 ließ er einen zum Tode verurteilten Mörder in einem Gefängnis in Florida eine halbe Stunde unverwandt in einen von außen durchlässigen Spiegel gucken und filmte, in Farbe übrigens, das Gesicht von der anderen Seite. Nichts passiert, außer einem kurzen Zucken, Blinzeln, Grinsen. Trotzdem sieht man diesem harten Brocken fasziniert in die schönen braunen Augen, die sich manchmal, wahrscheinlich vor Anstrengung, mit Tränen fühlen. Eine Serie von Fotos hält die Nuancen fest.
„Testament“: Mit Porträts eines zum Tode verurteilten Mörders aus Florida entfernte sich Lindbergh 2013 radikal von der Glamourwelt.
Lindbergh hat auf Englisch einen Text dazu geschrieben, in dem er nicht verrät, welche Untat der Mann begangen hat, sondern nur fragt: „Isn’t every human born innocent into this world?“, wird nicht jeder Mensch unschuldig geboren?
„Testament“ hat Lindbergh dieses Konzeptstück genannt, und es passte den Kuratoren bisher nie in ihre schicken Ausstellungen. Jetzt hat er selbst entschieden und zeigt sich posthum als ein tief nachdenklicher, vielseitiger Künstler.
Nachdenkliche Lindbergh-Szenen mit Kate, Kara und Amanda, 1984 entstanden in Paris und Duisburg.
Was, wann und wo?
„Peter Lindbergh: Untold Stories“. Bis 1. Juni 2020 im Kunstpalast Düsseldorf, Ehrenhof 4-5. Eintritt: 10 Euro. Kombiticket auch für die Rokoko-Malerei von Angelika Kauffmann: 14 Euro. Geöffnet Di.-So. 11 bis 18 Uhr, Do. bis 21 Uhr. Hauptsponsor ist die Porsche Deutschland GmbH, weshalb zwei Autos im Fotorahmen vor der Tür stehen. Das mit doppelseitigen Abbildungen besonders schön gestaltete, dreisprachige Katalogbuch ist im Taschen Verlag erschienen und kostet 60 Euro. www.kunstpalast.de