Kunstvolle Düsseldorfer Erinnerungen: So war’s damals bei Schmela
Distanz kann ein guter Lehrmeister sein. Lena Brüning kennt ihren Großvater Alfred Schmela nur aus Erzählungen. Sie wurde 1980 geboren, im Todesjahr des legendären Düsseldorfer Galeristen. Umso besser kann die Wahl-Berlinerin jetzt die Position einer unabhängigen Wissenschaftlerin einnehmen und zugleich persönliche Beziehungen nutzen. Sie arbeitet an einer Doktorarbeit über die Galerie Schmela – und sie hat im Auftrag der Kunstsammlung NRW im historischen Domizil an der Mutter-Ey-Straße die Ausstellung zum 100. Geburtstag von Alfred Schmela eingerichtet. Das war, sagt sie, „wie eine Zeitreise“.
Distanz und Nähe: Schmelas Enkelin Lena Brüning, Mutter seiner sieben Monate jungen Urenkelin Marta, hat selbst bis 2013 eine Galerie in Berlin betrieben. Sie ist die Kuratorin der Schmela-Ausstellung. Im Hintergrund: Gerhard Richters Porträt „Schmela III“ von 1964.
Für viele Besucher ist es eine Reise in die eigene Jugend, in eine ungestümere Epoche. Schon bei der Vorbesichtigung für geladene Gäste bemerkte Kunstsammlungschefin Susanne Gaensheimer, dass es „wie ein Familientreffen“ war. Nicht nur Robert Rademacher, Vorsitzender der Gesellschaft der Freunde der Kunstsammlung, hat einst bei Schmela erste Sammlerstücke abgestottert. Viele erinnern sich noch an Begegnungen mit dem bulligen Mann, der nach Krieg und Kriegsgefangenschaft selbst Maler werden wollte und sich in den 1950er-Jahren auch als solcher versuchte, bis er eine radikale Entscheidung traf. „Wenn ich nicht der beste Künstler bin, will ich der beste Galerist sein!“ Der Satz ist verbrieft.
Gruppenbild mit historischen Sesseln. Das Magazinfoto aus dem Jahr 1968 zeigt Alfred Schmela (hinter dem Tisch) im Kreis von zahlreichen Künstlern und ihren Frauen.
Zuerst ging es um das große Blau
Und es gab ja wirklich genug Neues und Aufregendes zu verkaufen für einen Kerl wie Schmela, der sich nicht um die Meinung von Spießbürgern kümmerte. Er und seine Frau Monika mieteten ein Ladenlokal mit zehn Quadratmetern Grundfläche, mitten in der Altstadt an der Hunsrückenstraße, wo auch schon das Kabarett Kom(m)ödchen den Geist der neuen Freiheit verbreitete. Die erste Schau drehte sich ums große Blau: Schmela präsentierte im Mai 1957 die „Propositions Monochromes“ des Franzosen Yves Klein. Eins der in Ultramarin leuchtenden Stücke schwebte im Schaufenster und erregte viel öffentlichen Unmut. Denn nicht zu vergessen: Was heute hoch gehandelt und von Kulturbürgern vergöttert wird, war damals verpönt, verrücktes Zeug.
Das Private und das Öffentliche gingen ineinander über: In der Ausstellung sind zahlreiche Schnappschüsse und Dokumente zu entdecken. Der Mann mit dem Bart ist Alfred Schmela.
Auch Heinz Mack und Otto Piene, die in einer Kneipe an der Hunsrückenstraße die Gruppe Zero erfanden und die längst mitsamt ihrem Kumpel Günther Uecker im Olymp der Moderne thronen, gehörten Ende der 1950er-Jahre keineswegs zum kulturellen Establishment. „Das waren junge Leute“, bemerkt Susanne Gaensheimer. Große Geschäfte machte Schmela in den Anfangsjahren sicher nicht. Aber er blieb mit rheinischer Kontaktfreude bei der Sache. „Dat Bild ist jut“, so wird er gern zitiert. Die Show war auch gut – oder zumindest aufregend. Viele wissen noch, wie Joseph Beuys 1965 bei Schmela im Schaufenster saß, ohne Hut, den Kopf mit Blattgold bedeckt, und zeigte, „Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“.
Der Galerist war kein Sammler
Dass solche Aktionen ihren Platz in der Kunstgeschichte haben würden, konnte man noch gar nicht wissen. Schmela hatte einfach einen untrüglichen Instinkt. Und er präsentierte nicht nur die Düsseldorfer, die später weltberühmt wurden. Er holte auch die amerikanische Avantgarde an den Rhein. Bei einer New-York-Reise des Kunstvereins 1963 entdeckte er bei Castelli ein Pop-Art-Bild von Roy Lichtenstein, spannte es ab, rollte es zusammen, nahm es im Flugzeug mit nach Hause und verkaufte es an die rheinische Sammlerin Fänn Schniewind. Schmela selbst hortete keine Kunst, er setzte sie in die Welt. 1967 gehörte er zu den Gründern des Kölner Kunstmarkts, der später zur Art Cologne wurde. Ein Jahr später schied er allerdings schon wieder aus. Er wollte keine Vereinsarbeit, er wollte frei sein.
Unkonventionelle Cliquen
Und er wollte unter Künstlern leben, war ja schließlich selbst mal einer von ihnen – genau wie sein Galeristen Kollege Konrad Fischer, der bis 1967 als Maler noch Konrad Lueg hieß und unter anderem bei Schmela ausgestellt hatte. Ja, es herrschte in der Tat eine herrlich unkonventionelle Cliquenwirtschaft damals in Düsseldorf. Etliche Fotografien in der Ausstellung zeugen von offensichtlich heiteren Geselligkeiten. Man sieht den vollbärtigen Schmela im Kreise seiner Freunde, rauchend, plaudernd, Kaffee trinkend, Späße machend. Mit nacktem, bemaltem Oberkörper gab er 1961 seine Nummer „Die deutsche Eiche beim Ketten sprengen“. Zu Hause am Luegplatz feierte man eine Zero-Party.
Durchblick: Auf den Spuren Schmelas ist das Publikum in allen Etagen des Hauses willkommen.
Ein gastfreundliches Haus
Die geräumige und gastfreundliche Oberkasseler Wohnung der Schmelas diente ab 1967 ein paar Jahre lang auch als Behelfsgalerie. Leute wie Lucio Fontana und Antoni Tàpies stellten bei Schmela zu Hause aus – sie wurden mit Monikas Eintopf und leckerem Blechkuchen bewirtet. Man musste improvisieren, denn der Mietvertrag für den Laden in der Altstadt war abgelaufen, und der geplante Neubau eines eigenen Galeriehauses zog sich hin. Erst im September 1971 konnte Eröffnung gefeiert werden – mit Installationen von Joseph Beuys.
Kompromisslose Moderne: Auch der Wohnbereich im 1971 eröffneten Schmela-Haus wurde von Aldo van Eyck mit grauen Bimsbetonsteinen gestaltet.
Das Haus, heute denkmalgeschützter Teil der Kunstsammlung NRW, stand damals noch allein und markant zwischen Brachgrundstücken. Der holländische Architekt Aldo van Eyck hatte es gebaut – aus rohem Beton und nacktem Mauerwerk, in einer Ästhetik, die einem heute moderner vorkommt als so manches Gegenwärtige. Es ist rau und doch sensibel, gerade wie das große, doppelte Nagelobjekt von Günther Uecker, „Hell und Dunkel“, das im Untergeschoss hängt. Das Stück entstand 1983, nach Schmelas Tod, als die Galerie von seiner Witwe Monika und seiner älteren Tochter Ulrike weitergeführt wurde. Nach dem Tod der Mutter verkaufte Ulrike Schmela-Brüning das Düsseldorfer Haus an das Land NRW und zog 2008 nach Berlin.
Drei Jahre nach Schmelas Tod inszenierte Joseph Beuys in der Galerie „Das Ende des 20. Jahrhunderts“ (1983).
Der Geist der Zeit ist erhalten
Man ist gerührt in dieser Ausstellung, amüsiert, inspiriert. Im Treppenhaus schmunzelt ein verwischtes Schwarz-Weiß-Porträt, das Gerhard Richter 1964 vom Galeristen gemacht hat: „Schmela III“. Der Geist der Zeit ist erhalten, auch wenn der Aufzug nicht mehr funktioniert. Über die schmale Treppe steigt man hoch in die erste Etage, wo ein Schwammrelief von Yves Klein, eine „Zerstörte Violine“ von Arman und ein graues Schlitzbild von Lucio Fontana die Experimentierfreude der 1960er-Jahre beschwören. In der zweiten Etage verweisen eine ungenutzte Küche, ein runder Esstisch, eine schlichte Schreibplatte auf Schmelas Absicht, im Galeriehaus auch zu wohnen. Das war der Familie allerdings zu eng. Die Schmelas zogen 1975 stattdessen nach Lohausen ins Lantzsche Palais und richteten im Park vor der Tür einen Skulpturengarten ein. Man war in der Gesellschaft angekommen, die heute die Erinnerung feiert.
Wann, wie und wo
„Alfred Schmela zum 100. Geburtstag“: bis 20. Januar im Schmela-Haus, Mutter-Ey-Straße 3 (hinter der Kunsthalle). Di.-Fr. 10 bis 18 Uhr, Sa./So. 11 bis 18 Uhr. Eintritt frei. Die 80-seitige, deutsch-englische Publikation zur Ausstellung mit vielen Kunst- und Erinnerungsfotos ist im Kerber-Verlag erschienen und kostet 18 Euro.
www.kunstsammlung.de/entdecken/alfred-schmela