Im Schauspiel Düsseldorf wird wieder debattiert: Schirachs „Gott“
Die Rechtsfrage ist geklärt: Gemäß einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020 dürfen Ärzte auch in Deutschland ungestraft Beihilfe zum Suizid leisten. Theoretisch. Praktisch gibt es immer noch erhebliche moralische Bedenken. Die werden in „Gott“, dem neuen Debattier-Drama des Juristen und Erfolgsautors Ferdinand von Schirach, ausführlich verhandelt. Wie in seinem ersten Stück „Terror“ soll das Publikum am Ende abstimmen. Das sorgt für einen kleinen Spannungskick in der weitgehend stocksteifen Uraufführung am Düsseldorfer Schauspielhaus.
Judith Bohle, Hanna Werth und Andreas Grothgar
Viel Spielraum haben der junge Regisseur Robert Gerloff und sein Ensemble nicht. War es bei „Terror“ noch ein Prozess, so liefert Schirach hier eine fiktive Sitzung des Deutschen Ethikrats. Zehn Stühle, sieben Experten, die weitgehend stillsitzen, nur zum Vortrag aufstehen. Selbst die beiden jungen Stars Hanna Werth und Judith Bohle, höchst lebendig in der Heine-Show, vertrocknen hier in professoraler Attitüde. Zwei Stunden lang Rede, Gegenrede, höfliche Floskeln: Danke, vielen Dank, meine sehr verehrten Damen und Herren, aber da wird trotz des brisanten Themas die Zeit ziemlich lang.
Einfach in Ruhe sterben
Es geht konkret um den Fall eines 78-jährigen ehemaligen Architekten, der drei Jahre nach dem qualvollen Krebstod der geliebten Ehefrau die Lust am Leben verloren hat. Obgleich er vollkommen gesund ist, nette Kinder und Enkel hat, empfindet er partout keine Freude mehr an Reisen, Kultur, Begegnungen. Ohne seine Elisabeth erscheint Richard Gärtner alles sinnlos, er will nur noch eins: „In Ruhe sterben“, bevor er gebrechlich, krank, womöglich dement wird. Doch das sichere Gift Natrium-Pentobarbital, das er beim Bundesinstitut für Arzneimittel beantragt hat, wird ihm verweigert. Zu Recht? Zu Unrecht?
udith Bohle, Wolfgang Reinbacher, Hanna Werth und Cathleen Baumann
Das ist hier die Frage. Die Rechtssachverständige gibt grünes Licht, der Sprecher der Ärztekammer (Andreas Grothgar) verweist auf den alten Mediziner-Eid des Hippokrates, wonach das Leben unbedingt zu schützen sei, der Vorsitzende der Bischofskonferenz (Thomas Wittmann) beschwört den Willen Gottes und die christliche Durchhaltepflicht: „Leben heißt Leiden.“
Der vitale Lebensmüde
Während die Sachverständigen sich gegenseitig ihre Lehrsätze und Statistiken vorhalten (20 Prozent aller Palliativ-Patienten wollen sich töten), wird die Macht des Schicksals nicht spürbar. Nur ein paar Videoprojektionen zwischendurch sorgen mit Klängen und flüsternden Stimmen für etwas Atmosphäre. Im Video-Talk, übergroß, erscheint auch der Proband, Richard Gärtner. Wolfgang Reinbacher, der alte Profi, gibt der eher trocken formulierten Bilanz des lebensmüden Mannes so viel Profil wie möglich, zeigt seinen Überdruss und auch seine Wut über die Arroganz der Ärzte, die dem Patienten ihren Willen aufzwingen. Dabei wirkt er allerdings so vital und eloquent, dass man den Todeswunsch nicht nachvollziehen kann. Das Stück ist eben kein menschliches Drama, sondern eine Erörterung. Es appelliert an das Denken, nicht an das Fühlen. Und es lässt den Zuschauer kalt.
Thomas Wittmann als Vorsitzender der Bischofskonferenz
Information:
Ferdinand von Schirachs neues Stück „Gott“ wurde im Kleinen Haus des Düsseldorfer Schauspielhauses uraufgeführt. Wegen der coronabedingten Beschränkung der Platz-Zahl sind die Vorstellungen im September/Oktober bereits ausverkauft. Restkarten gibt es eventuell an der Abendkasse. www.dhaus.de
Fotos: Sandra Then