Irrer Kriegstanz: Brechts „Mutter Courage“ im Düsseldorfer Schauspielhaus
Mit dem Theater in Corona-Zeiten ist es nicht anders als im Leben selbst: Man muss immerzu den Abstand wahren und versucht verzweifelt, sich dennoch bemerkbar zu machen. Auch die Düsseldorfer „Mutter Courage“ zappelt und schreit in ihrer Isolation. Kaum auszuhalten. Sebastian Baumgarten (51), ursprünglich Opernregisseur aus Berlin, hat Brechts Lehrstück vom Seelenfresser Krieg als quälendes Kreiselspiel inszeniert. Die Bühne im Großen Haus dreht sich ununterbrochen wie eine gigantische Spieluhr, auf der Menschen unter Getöse wie irre Automaten agieren.
Henning Flüsloh, Rosa Enskat, Jonas Friedrich Leonhardi, Cathleen Baumann und Wolfgang Michalek
Wir sollen sie gefälligst vergessen, all die wunderbaren Charakterweiber, die als Marketenderin Anna Fierling, genannt Mutter Courage, ihren Karren über die deutschen Bühnen gezogen haben – Therese Giehse, Helene Weigel, Gisela May, bei Stroux in Düsseldorf Heidemarie Hatheyer, vor ein paar Jahren in München Cornelia Froboess. Die harten Heldinnen zeigten mehr Herz, als Brecht ursprünglich beabsichtigt hatte. Die Courage sollte eine üble Kleinkapitalistin sein. Aber gerade nach dem Zweiten Weltkrieg verstand das Publikum, was es heißt, sich und die Kinder in gnadenlosen Zeiten durchzubringen. Und es liebte die Courage. Regisseur Baumgarten will die Sympathien endgültig killen. Wir sind hier im Epischen Vorzeige-Theater. Kritische Distanz ist oberstes Gebot.
Ab durch den Kunstschnee
Damit man es kapiert, wird in der corona-bedingten zweistündigen Kompaktversion ziemlich viel Zeit durch eine stocksteife Vorstellung verschwendet. „Das ist eine Bühne. Das ist eine Projektion. Das ist eine Schauspielerin“, belehrt uns Lea Ruckpaul, die nachher Courages stumme Tochter Kattrin gibt, und stellt alle strammstehenden Kollegen auf der Drehscheibe mit Namen, Rollennamen und Kostüm vor: „Er trägt einen grünen Mantel.“ Danke, das sehen wir selbst. Die herb-blonde Rosa Enskat gibt die Courage mit Gummistiefeln und wasserabweisendem Kittelkleid – praktisch, denn es muss die ganze Zeit durch matschigen Kunstschnee geplantscht werden. Heißt es doch: „Das Frühjahr kommt. Wach auf, du Christ! Der Schnee schmilzt weg. Die Toten ruhn. Und was noch nicht gestorben ist, das macht sich auf die Socken nun.“
Rosa Enskat, Wolfang Michalek und Jonas Friedrich Leonhardi
Jeder kennt dieses berühmte Lied, auf das man wartet, weil es mit der strengen Melodie von Paul Dessau so furchtbar schön ist: „Ihr Hauptleut, lasst die Trommel ruhen und lasst euer Fußvolk halten an“, so singt auch die Courage namens Rosa Enskat, aber nicht mit rauchigem Brecht-Timbre, sondern so laut und hallend über Mikrophon, dass man den Text kaum verstehen kann. Eine ununterbrochene dahinswingende und dudelnde Musik macht auch im Weiteren die Konzentration ungeheuer schwierig.
Im Schatten der Kanonen
Aber so soll es eben sein in Baumgartens Theater-Krieg: Rastlosigkeit bei gleichzeitigem Gefangensein im Kreislauf der Ereignisse, die im Irgend- und Nirgendwo spielen. Dass es sich um den lang vergangenen Dreißigjährigen Krieg handelt, hatte schon bei Brecht zu Anfang des Zweiten Weltkriegs nur eine beispielhafte Funktion. Eine Projektionswand (Bühnenbild: Alexander Wolf) zeigt öde und/oder zerstörte Ansiedlungen in steinigen Landschaften, eine Art leeren Supermarktplatz, Schatten von Soldaten und Kanonen, Tricks mit Münzen und Geldscheinen. Am Courage-Karren blinkt das Zeichen „Zoom Zoom“, alle tragen zeltartige Plastikklamotten und metallisch geschminkte Gesichter – der Mammon und der Krieg sind vereint zu allen Zeiten. Das weiß jedes Schulkind.
Jonas Friedrich Leonhardi, Lea Ruckpaul auf Rollschuhen und Henning Flüsloh
Nicht vereint sind die Menschen. Selbst, wenn die Courage mit dem fiesen Feldkoch poussiert, wird eine corona-gerechte Trennscheibe dazwischen gesteckt und beschleckt. Und dann wird weiter getanzt, gerannt, gehampelt. Wenn Baumgarten eins erreicht hat, dann, dass man kein Mitleid empfindet, sondern einfach nur froh ist, dass mal kurz Stille herrscht, nachdem die Söhne der Courage mit Kawumm totgeschossen werden. Albernerweise schweben sie nach dem Ableben als Engel im Bodysuit am Karabinerhaken vom Bühnenhimmel und flattern mit den Ärmchen. Unten braut sich das Finale zusammen, und wer kann, muss zu dröhnender Disco-Musik mit Glitzerrollschuhen rumfahren. Der Applaus belohnt den tapferen Einsatz des Ensembles.
Information
Die nächsten Vorstellungen von Brechts „Mutter Courage und ihre Kinder“ in der Regie von Sebastian Baumgarten sind ausverkauft bis zum 19. November. Restkarten gibt es eventuell an der Abendkasse des Düsseldorfer Schauspielhauses. www.dhaus.de
Fotos: Sandra Then