Schöner Schrecken: Bilderflut beim Düsseldorfer Photo Weekend
So was nennt man wohl Waffenstillstand. Alain Bieber, Direktor des NRW-Forums, und Clara Sels, bewährte Meisterin des „Duesseldorf Photo Weekend“, saßen nach vorjähriger Entzweiung zur Pressekonferenz an einem Tisch und versicherten, dass sie sich „sehr freuen, wieder gemeinsame Sache zu machen“. Dabei ist nichts geklärt. Die Galeristin Sels will, wie sie sagt, nach „sehr viel Hürdenspringen“ künftig nur noch „im Hintergrund aktiv sein“ und sucht „nach Unterstützung“. Der Oberbürgermeister wird leider alles neu sortieren. Wie es auch kommen mag, das Publikum möchte einfach Fotos sehen.
Es ist Photo Weekend: am Ehrenhof und, wie das Plakat zeigt, auch in Galerien. Bei Beck & Eggeling (Bilker Str. 4-6) sind „Sceneries“ von Thomas Wrede zu sehen.
Und Fotos gibt es wieder mehr als genug in diesem Festivalprogramm. Eine Bilderflut mit Tausenden Exponaten, die man beim besten Willen nicht an einem Wochenende verkraften kann. In Museen, Galerien und – ganz cool – „Off-Räumen“ werden über 50 Shows mit historischer und zeitgenössischer Fotografie gezeigt. Studenten parken ihren „Fotobus“ auf dem Schadowplatz und beschwören „Identity. Courage. Love“. Im Raum Rudolph am Worringer Platz präsentieren Fotografen aus osteuropäischen Ländern unter dem sperrigen Titel „PL CZE HUN SVK BIH“ das Thema „Neighbourhood“ (Nachbarschaft). Da schwirrt uns der Kopf.
Imaginäre und echte Persönlichkeiten
Aber zum Glück sind die meisten Ausstellungen länger geöffnet, ein bisschen wird auch mit alten Programmen gepfuscht. „Bauhaus und die Fotografie“ läuft schon seit letztem Jahr im NRW-Forum (siehe Bericht vom 6. Dezember) und passt nun zufällig. Neu fürs Wochenende ist in der ersten Etage nur eine kleine Porträt-Schau der Gruppe „Uncertain States Scandinavia“, deren teilweise skurrile Konzepte man auch in einer kostenlosen Zeitschrift studieren kann. Tonje Bøe Birkeland zum Beispiel tritt in einsamen Landschaften selbst als imaginäre Entdeckerin auf und lässt ihre Mutter auf den Auslöser drücken.
Stippvisite aus Skandinavien: Kurator Charlie Fjätström zwischen Bildern von und mit Tonje Bøe Birkeland.
Eine viel wichtigere und ernsthaftere Ausstellung wird allerdings nebenan im Kunstpalast gezeigt. Direktor Felix Krämer, dessen Vater, der Fotograf Volker Krämer, bei einem Einsatz im Kosovo 1999 erschossen wurde, gibt den Frauen an der Front großzügigen Raum. Denn die Gefahr zieht nicht nur Männer an. Zwei der acht Kriegsfotografinnen, deren bedrückendes Werk an grauen Wänden im Dämmerlicht gezeigt wird, kamen bei der Arbeit ums Leben.
Idealismus und Abenteuerlust
Die jüdische Emigrantin Gerda Taro, 1910 in Leipzig geboren, zog mit ihrem Kollegen Robert Capa in den Spanischen Bürgerkrieg, fotografierte Soldaten, Bombenopfer, Kinder zwischen Ruinen und wurde selbst mit 27 Jahren tödlich verletzt. Die Associated-Press-Reporterin und Pulitzerpreisträgerin Anja Niedringhaus, 1965 geboren, fotografierte die Kriege im Irak, in Gaza und Libyen, bevor sie 2014 in Afghanistan von einem durchgeknallten Polizisten erschossen wurde.
Nur scheinbar heiter: Susan Meidelas fotografierte das Elend und die Farben im revolutionären Nicaragua von 1978/79.
Warum, um Himmels Willen, gehen die Frauen ein solches Risiko ein? Was fasziniert sie an der Aufgabe? Kuratorin Anne-Marie Beckmann spricht von „Abenteuerlust, Neugier, Wagemut, Sehnsucht nach starken Gefühlen“. Zugleich wollen die Kämpferinnen mit der Kamera der Welt die müden Augen öffnen. „Wenn ich es nicht fotografiere, wird es nicht bekannt“, hat Anja Niedringhaus einmal gesagt.
Die unheimlichen Handabdrücke
Es gibt grauenvolle Bilder in dieser Ausstellung: verweste Leichen, blutende Verwundete. Aber die meisten Fotografien der Frauen zeigen die Schrecken des Krieges auf eine andere, stillere Art. Die mondäne Lee Miller (1907-77), unterwegs für die amerikanische „Vogue“, zeigte Französinnen, die nach 1945 wegen des Verkehrs mit deutschen Soldaten verfolgt und kahlgeschoren wurden – Zeichen von Unversöhnlichkeit. Sie zeigte befreite Überlebende des KZ Dachau, die in einem Müllhaufen nach verwertbaren Dingen suchen. Sie zeigte den Kölner Dom inmitten von Trümmern.
Der Krieg im Frauenblick: Christine Spengler fotografierte 1973 in Vietnam (links) und 1976 in der Westsahara.
Oft kommt der Schrecken mit der Schönheit. Die Französin Christine Spengler fotografierte 1976 eine madonnengleiche Frau aus der Volksfront Polisario, die ihr Kind auf Arm und eine Flinte über der Schulter trägt. Die kindlichen weißen Handabdrücke auf einer roten Tür in El Salvador sind nicht etwa Zeichen eines übermütigen Spiels, sondern Symbole der Todesschwadronen, hinterlassen nach dem Mord an einem Bauernführer, entdeckt 1980 von Susan Meidelas.
Wir leben hier immer noch in Frieden. Aber das Bedrohliche ist uns bewusst, und leichte Gefühle gibt es nicht beim diesjährigen Photo Weekend. Es geht, so heißt es etwas vage, um „gesellschaftliche Diskurse“.
Nachdenken über ein Riesenreich
Zu den großen Themen der Zeit gehört auch die wachsende Bedeutung der Großmacht China für die globale Politik und Wirtschaft. Seltsam muten da die historischen Aufnahmen von Eva Siao (1911-2001) an. Die in Breslau geborene Fotografin heiratete einen Chinesen, erlebte mit ihm 1949 die Gründung der Volksrepublik und verbreitete als Korrespondentin friedliche Szenen, die im Haus der Universität zu sehen sind. Eva Siaos Glauben an das gute China wurde nicht einmal erschüttert, als man sie und ihren Mann wegen Spionageverdachts verhaftete und jahrelang einsperrte. „Ich gehöre hierher mit meinem ganzen Herzen“, sagte sie.
Kritischer Blick auf die Heimat: Der Chinese Du Zi vor einem Bild seiner „Scar“-Serie: „Removing Mountain for City“. Das Baugrundstück für die Massensiedlung wurde kurzerhand in ein Gebirge gesprengt.
Auch der chinesische Fotograf Du Zi bleibt seiner Heimat treu. Aber er sieht den wirtschaftlichen Boom kritisch. Seine monumentalen Bilder in der neuen Oberkasseler Location OK25 zeigen in brillanter Klarheit Landschaften, die vom menschlichen Fortschritt gezeichnet sind. Man sieht künstlich aufgeschüttete Küstenregionen, Tagebaugruben, Befestigungen in der Wüste, Massenbehausungen in unwirtlicher Umgebung. Du Zi betrachtet solche Phänomene als „scars”, Narben in der Oberfläche der Erde. „Scar” nennt er deshalb seine Werkreihe. Um die optimale Perspektive zu erreichen, kombiniert er eigene Fotografien mit Satellitenbildern von Google Earth. Eine Position, für die sich der Weg über den Rhein lohnt.
Zwiegespräch: Die Fotografinnen Christine Spengler (mit rotem Schal) und Carolyn Cole (rechts) sind zu Gast im Kunstpalast.
Ein paar Orte und Termine:
Das „Duesseldorf Photo Weekend” dauert nur ein Wochenende und ist am Sonntag offiziell schon wieder zu Ende. Etliche Ausstellungen aber bleiben. Ein paar Beispiele:
„Fotografinnen an der Front“: bis 10. Juni im Kunstpalast, Ehrenhof 4-5. Geöffnet Di.-So. 11 bis 18 Uhr, Do. bis 21 Uhr. Der Katalog mit den Bildern der Ausstellung ist im Prestel-Verlag erschienen und kostet im Museum 29,80 Euro.
„Eva Siao: Mein China“: bis 30. April im Haus der Universität, Schadowplatz 14. Nach dem Photo Weekend geöffnet Mo.-Fr. 10 bis 18 Uhr.
„Scar – Die Narben der Erde“: bis 17. März bei OK25, Kaiser-Wilhelm-Ring 25, Eröffnung Fr. 18-21 Uhr, Sa. 12 bis 20 Uhr, So. 12 bis 18 Uhr. Nach dem Weekend tägl. 14 bis 18 Uhr.
Überblick auf www.duesseldorfphotoweekend.de