Hosen runter! Lulu-Performance im Düsseldorfer Schauspielhaus
Es ist ja nicht so, als hätte es noch nie eine hemmungslose Inszenierung von Frank Wedekinds gutem alten Skandalstück „Lulu“ gegeben. Im Gegenteil: Das seltsame, um 1900 entstandene Drama um eine triebgesteuerte Frau, die alle kirre macht, bis Jack the Ripper sie am Ende abmurkst, war ein gefundenes literarisches Fressen für das moderne Theater. Sex & Crime pur, herrlich. Berühmte Regisseure wie Neuenfels, Ciullli, Zadek, Thalheimer griffen gern zu. Lauter Kerle allerdings. Im Düsseldorfer Schauspielhaus hat sich jetzt eine junge Frau mit dem fatalen Weib auseinandergesetzt. Und eine feministisch korrekte Lösung gefunden: Bernadette Sonnenbichler verwandelt das Objekt der Begierde in eine selbstbestimmte Performance-Künstlerin.
Lulu – dargestellt durch Lieke Hoppe – als selbstbestimmte Performance-Künstlerin.
Vollkommen verrückt? Gewiss, aber keineswegs abwegig. Tatsächlich gibt es Künstlerinnen wie Marina Abramović oder Tracey Emin, die mit selbstquälerischen und exhibitionistischen Ritualen richtig Furore gemacht haben. Das entscheidende Prinzip dabei ist die Autonomie. Diese Frauen sind keine Opfer, weil sie sich selbst den extremen Erfahrungen aussetzen. Und so eine soll die Düsseldorfer Lulu sein. Die schöne und kraftvolle Lieke Hoppe spielt sie mit Mut und gewohnter Präzision. Kein Weibchen im Petticoat erscheint uns da, sondern eine beängstigend konsequente Künstlerin.
Die Männchen werden gedemütigt
Nur einmal, ganz am Anfang, reisst sich diese Lulu die Arbeitsklamotten vom Leibe, steht splitternackt an der Rampe, guckt, schweigt, feixt. Verlegen ist das Publikum, nicht sie, wir haben verstanden. Dann zieht sie sich wieder an und beginnt, sich harsch mit Farbe zu bestreichen. Lila Licht, E-Musik: Der suggestive Sound von Jacob Suske begleitet die rhythmischen Aktionen der Heldin. Für den Rest der Show werden es die Männer sein, die ihre Hosen herunterlassen müssen und gedemütigt dastehen mit ihrem schutzlos schwingenden Geschlechtsteil.
Im Atelier wird blau gemacht – Körper werden zu Farbträgern.
Lulu spielt mit ihnen in dem weißen Raum, der ihr Atelier ist. Sie dürfen ihn gewissermaßen penetrieren, indem sie durch reißende Papierwände eintreten (Bühne: Simeon Meier). Wollen sie fliehen, so müssen sie mühselig die Wände hochgehen und durch die Öffnungen zurückkriechen. Sie haben es nicht leicht, die Herren des Ensembles. Den Oberstaatsanwalt Dr. Goll (Andreas Grothgar), einen in der Reihe von Lulus Ehemännern, trifft nach kurzer Aufregung der Schlag, weil er die Gattin in flagranti mit dem Maler Schwarz ertappt (ein fast rührender Jüngling: Florian Steffens).
Oberstaatsanwalt (l.) und Jüngling zerren an Lule. Auf dem Bild (vl.): Andreas Grothgar, Lieke Hoppe, Florian Steffens.
Jack the Ripper hat keine Chance
Bei Wedekind soll Schwarz die Lulu als Dame porträtieren, hier ist er ihr williger Gehilfe beim Schmieren und Spritzen mit Unmengen blauer Farbe, die von den bekleckerten Körpern auf die Wände übertragen werden. Auch das kennt man aus der entfesselten Kunst. „So, das bin ich!“ ruft die Lulu und schüttelt ihre langen, farbbesudelten Locken. Und sie ist in der Tat nicht zu übersehen, die Königin eines lust- und qualvollen Happenings. Mit wem sie gerade verbandelt ist – egal. Mal räkelt sie sich in einem hautfarbenen Riesenstrumpf, mal mimt sie mit Masken, mal schwadroniert sie atemlos unter einer durchsichtigen Folie. Im furiosen Finale, wo die Wedekindsche Lulu, zur Hure verkommen, dem Ripper in die Killerhände fällt, übernimmt sie selbst die Rolle der Freier und des Aggressors. Sie spricht mit dunklen Männerstimmen, schlägt sich mit Fäusten und schwarzer Schmutzfarbe gegen den Unterleib, bis sie zusammenbricht, es ist kaum auszuhalten.
Joscha Baltha.
Doch dann steht Lulu wieder auf, unbeschadet, und erzählt uns eine feministisch veränderte Legende von der aufsässigen Feuerbringerin Promethea (anstelle des männlichen Titanen Prometheus). Des Weiteren wird in dieser Version die Büchse der Pandora, durch die Seuchen, Elend, Schmerz in die Welt entweichen, von einem dösigen Typen namens Pandor geöffnet. Nun ja.
Den Machismo bezwingen
Damit wären wir beim penetranten Teil dieser Produktion. Bernadette Sonnenbichler und ihre Dramaturgin Janine Ortiz haben das Wedekind-Drama so lange umgeschrieben, bis es ihnen gender-ideologisch in den Kram passte. Von Wedekind blieben eigentlich nur die Figuren, das Gerüst der Handlung und zum Verständnis notwendige Textpassagen. Die Original-Lulu ist, wie man weiß, keine reflektierte Person, sondern die „Urgestalt des Weibes“, eine „Teufelsschönheit“. Das gefiel den Theaterfrauen nicht. Aber sie wollten das Stück nicht aus den Fingern lassen, sondern den Machismo des 1918 verstorbenen Wedekind posthum mit aktuellen Worten bezwingen.
Jargon eingestreut
Deshalb streuen sie nicht nur mit Fleiß heutigen Jargon ein (krass, geil, Lifestyle), sondern sie lassen auch lange Passagen aus der, so die Dramaturgin, „tollen neuen feministischen Literatur“ vortragen, als gehörte das ganz selbstverständlich zum Drama. 70 Jahre nach dem Tod von Urhebern ist ein Werk bekanntlich nicht mehr geschützt. Und so entstand eine „Fassung“ mit deutschen und englischen Zitaten aus nicht weniger als elf einschlägigen Titeln wie „Fleischmarkt. Weibliche Körper im Kapitalismus“ der britischen Bloggerin Laurie Penny oder „Untenrum frei“ und „Die letzten Tage des Patriarchats“ von Margarete Stokowski.
Akrobatik und Belehrung
Als wäre das noch nicht genug, muss aus der lesbischen Künstlerin Gräfin Geschwitz (sowieso eine progressive Figur bei Wedekind) ein Trans-Wesen werden, denn Diversity soll am Schauspielhaus neuerdings ja auch immer eine Rolle spielen. Der anmutige Claudius Körber, zum ersten Mal in Düsseldorf engagiert, spielt die Gräfin als Kerlchen im Kleid oder was auch immer er sein soll. „A body is a battleground“, schreibt er an die Wand, ein Körper sei ein Schlachtfeld. Sein Körper ist zum Glück topfit. Mühelos klettert Körber über die Stuhlreihen hoch in den Zuschauerraum, um wehrlose Leute zu küssen. Nachher zeigt er hoch oben über der Bühne noch Vertikaltuchakrobatik, turnt schwindelerregend und proklamiert dabei ein „Kontrasexuelles Manifest“ von Paul Preciado, der mal Beatriz hieß. „Kontrasexualität braucht keinen präzisen biologischen Ort“, lernen wir da, und Genaueres, was ich hier nicht unbedingt zitieren möchte.
Der anmutige Claudius Körber ist zum ersten Mal in Düsseldorf engagiert.
Wie dem auch sei – das bürgerliche Publikum ist abgehärtet. Nacktheit regt schon seit den 1970er-Jahren keinen mehr auf. Und neu-ideologische Textmischungen werden brav ertragen, solange sie mit irrer Action einhergehen. Bei der Premiere war der Applaus für das tapfere Ensemble geradezu frenetisch, auch die Regisseurin wurde herzlich beklatscht. Manchmal wünscht man sich mehr Streitbarkeit. Aber alle wollen Friede, Freude, Schauspielhaus.
Termine und Tickets
Bernadette Sonnenbichlers Version von Frank Wedekinds „Lulu“ wird auf der großen Bühne des Düsseldorfer Schauspielhauses am Gründgens-Platz gespielt. Nächste Termine: 21. Februar, 7., 23. und 29. März. Karten und Informationen unter www.dhaus.de
Fotos: D’haus, Thomas Rabsch