Klick, es ist Kunst! Videospiele in der Stoschek Collection Düsseldorf
Es ist nicht gerade ein fettes Jubiläum, aber es wird gefeiert. Vor 15 Jahren, 2007, eröffnete Julia Stoschek, die damals knapp 32-jährige Gesellschafterin des Coburger Familienunternehmens Brose Fahrzeugteile, in Oberkassel das coolste Museum der Stadt – die Julia Stoschek Collection für medienbasierte Kunst, vulgo Videos. In den schick sanierten, schummrigen Sälen einer ehemaligen Rahmenfabrik an der Schanzenstraße in Oberkassel, von der Chefin zärtlich „die Burg“ genannt, flimmert und wummert es seither aus unwirklichen Welten. Man kann das nervig finden oder sich darauf einlassen. Und sogar mitspielen – in der Jubiläumsshow „Worldbuilding“.
„Ein bisschen emotional“ sei sie, gesteht Julia Stoschek den Old-School-Medien, ach, eher „sehr aufgeregt“. Denn die mondäne Brünette, deren Familie auf der Milliardärsliste von Forbes steht, will der kunstinteressierten Gesellschaft etwas zeigen, „was es noch nie gegeben hat“: eine Schau über „gaming and art in the digital age“. Das heißt in etwa: Videospiele können auch eine Kunst sein. Das wissen wir zwar schon aus dem technikverliebten NRW-Forum und aus dem K21, wo Teilnehmerin Ciao Fei 2018 eine Solo-Ausstellung hatte, und es ist doch nicht so neu, aber wir wollen mal nicht pingelig sein. Die 35 Künstler*innen und Teams, die bei Stoschek präsentiert werden, eröffnen ein Universum aus kreativer Software.
Spiel für den Ernstfall
Seit das Smartphone die Menschheit hypnotisiert hat, kennt jede*r die Versuchungen des allgegenwärtigen Entertainments. Das virtuelle Spielen ist schon lange nicht mehr ein Ding für ein paar Nerds, die sich mit Pizzakartons in den Keller zurückgezogen haben. Im mittleren Jahr der Corona-Pandemie, 2021, haben sich 2,8 Milliarden Menschen mit Videospielen abgelenkt. Keine Ahnung, wer das gezählt hat, aber Hans Ulrich Obrist (54), der von Julia Stoschek engagierte Schweizer Edel-Kurator und Leiter der Londoner Serpentine Galleries, stellt sicher zu Recht fest: „We have the gamification of everything“, für nahezu alles gibt es heute spieltypische Elemente und Vorgänge.
Wie man im Souterrain des Hauses sehen kann, gilt das auch für den Krieg. Harun Farocki (1944-2014) zeigte in einem Doppel-Video von 2009 ganz nüchtern, wie vier US-Marines in Kalifornien am Computer ihren Einsatz in Afghanistan trainieren. Sie steuern ein niedliches virtuelles Panzerfahrzeug durch die Wüste, während ein Ausbilder ihnen Minen und Feinde mit Bombengürtel in den Weg programmiert: „Serious Games“ sind das, ernste Spiele, aber, das wird deutlich, sie verharmlosen dennoch die Gewalt.
Bitte nicht schießen!
Völlig bedenkenlos wird die große Schießerei bekanntlich zum Spaß in zahlreichen Ballerspielen gehandhabt. Möglichst viele Monster, Zombies oder Bösewichte abzuknallen, ist das Ziel auf dem Weg der Avatare, der virtuellen Ichs. Das sehen die Künstler pflichtgemäß kritisch. Danielle Brathwaite-Shirley, eine schwarze Transfrau aus Berlin, lässt die Besucher zwar ein pinkfarbenes Gewehr erheben und auf eine große interaktive Projektion zielen, aber kaum hat man den Abzug betätigt, da erscheint „Don’t shoot“ – nicht schießen, und man trifft eine bunte Gesellschaft aus virtuellen Figuren, die verdammt nochmal am Leben bleiben wollen („damn alive“). Das wird man nicht so leicht vergessen, auch wenn man im Videospiel von Lu Yang als animierter Ritter der „Material World“ eine magische Waffe schwingt.
In einem der nächsten Räume darf man auf Strohballen Platz nehmen. Das hilft bei der sinnlichen Erfahrung des Videospiels „Pastoral“ des griechischen Amerikaners Theo Triantafyllidis. Eine Art Org stapft da, geleitet von den Klicks der Besucher, durch ein raschelndes Kornfeld und folgt dem Gezwitscher eines Vogels. Das Fantasie-Wesen hat die org-typischen Reißzähne und blaue Haare, aber ein schönes Gesicht. Es ist monstermuskulös mit männlicher Wölbung im Schritt und zugleich ein Busenwunder, das Bikini trägt. Bestimmt hätte es das Zeug zum Kampf, doch offenbar will es nur spazierengehen und vielleicht eine Art Pan treffen, der die Laute spielt.
Ewiger Sonnenuntergang
In der oberen Etage geht die Abendsonne nie unter, während ein junger, blonder, non-binärer Avatar namens LaTurbo Avedon, hinter dem sich ein unbekannter Geist verbirgt, durch einen „Permanent Sunset“ wandert. Hinter einer Glaswand sieht man schon den weißen Strand mit Lederliegen, wo die Damen des britischen Teams „Keiken“ zum Videospiel mit nixenhaften Wesen einladen, die sich durch ein meeresblaues „Metaversum“ bewegen. Nebenan kann man dann mit einem Joy-Stick die kubistisch konstruierten Kreaturen von Rebecca Allen mit einem flimmernden Busch („Bush Soul“) durch eine nebulöse Landschaft treiben. Die 1953 geborene Amerikanerin hat das Werk schon 1999 entwickelt, nachdem sie in den 1980er-Jahren den roboterhaften Auftritt der Düsseldorfer Elektro-Band „Kraftwerk“ inszenierte. Eine Pionierin der interaktiven Video-Kunst.
Vogelhaft anmutig schweben Rebecca Allens Kreaturen durch den erdachten Raum. Das Spiel hat etwas Meditatives, man mag sich gar nicht lösen. Derlei friedfertige Vorgänge werden wahre Gamer vermutlich nicht befriedigen, aber Julia Stoschek glaubt trotzdem, dass die Ästhetik der Videospiele auch ein junges Publikum anlockt, das sonst vielleicht überhaupt nie ins Museum geht. Immer wieder sonntags gibt es die Chance – dann ist das Haus bei freiem Eintritt geöffnet, anderthalb Jahre lang, aber nie langweilig, denn wie Kurator Obrist verspricht, werden die Exponate immer mal ergänzt oder ausgetauscht.
Was, wann und wo?
„Worldbuilding“, die Ausstellung zum 15-jährigen Bestehen der Julia Stoschek Collection an der Schanzenstr. 54 in Düsseldorf-Oberkassel, wird am Samstag, 14. Juni, von 12 bis 18 Uhr eröffnet. Danach ist die Schau über „Gaming and Art in the Digital Age“ bis 10. Dezember 2023 für das Publikum zugänglich, allerdings immer nur sonntags von 11 bis 18 Uhr. Der Eintritt ist frei. www.jsc.art