„Den Weg ins Helle suchen“: der neue Düsseldorfer Schauspiel-Plan
Wozu braucht der Mensch eigentlich noch Theater? Jedenfalls nicht, um Stars zu bewundern. Wilfried Schulz, der Intendant des Düsseldorfer Schauspielhauses, mag keinen Personenkult. Nur auf Drängeln verrät er, dass Showgirl Sally in „Cabaret“ –die Paraderolle für Liza Minelli im Kino 1972 und Ute Lemper in Düsseldorf und Paris 1985/6 – demnächst hier von Lou Sprenger gespielt wird. Im Haus am Gründgens-Platz geht es heutzutage um achtsame Regie und gesellschaftlich relevante Konzepte. Man darf, so drückt es Chefdramaturg Robert Koall aus, „jeden Abgrund ausloten“, aber zugleich will man „den Weg ins Helle suchen“.
Die Welt ist starr vor Angst. Wir haben immer noch Pandemie, dazu tobt ein naher Krieg, der Klimawandel mit seinen dramatischen Konsequenzen hat erst begonnen, Fanatismus und Feindseligkeit wachsen. Damit muss sich ein Theater beschäftigen, aber, so Schulz, es darf sich „nicht fesseln lassen“. Denn man brauche auch „eine innere Freiheit“, eine Gegenwelt. Das Programmbuch für die Saison 2022/23, außergewöhnlich schön, 167 Seiten dick, mit poetischen Theaterbildern von Thomas Rabsch illustriert, soll „Lust machen, Sehnsucht wecken“. Denn ohne Verbundenheit zum Publikum nützt die beste Absicht nichts.
Othello kommt aus Südafrika
Der Bildungsbürger soll nicht vergrault werden, aber schon ein bisschen zurücktreten, bitte sehr. Denn die Sparten Junges Schauspiel und Stadt:Kollektiv werden vom Intendanten als „gleichwertige Bereiche“ betrachtet. Mit der letzten Premiere, dem lustigen Zusammenspiel „Making of Shakespeare“, wurde das bereits demonstriert. Trotzdem guckt das Publikum zuerst mal auf das Große Haus. Da gibt es am 2. September einen Klassiker: Shakespeares „Othello“, inszeniert von Lara Foot, der Leiterin des Baxter Theatre Centre in Kapstadt, das mit dem faszinierenden Puppen-Menschen-Spiel „Leben und Zeit des Michael K.“ beim „Theater der Welt“ gastierte. Und natürlich spielt in der mehrsprachigen Produktion kein schwarz angemalter Weißer die Hauptrolle. Der südafrikanische Schauspieler, Tänzer und Musiker Bongile Mantsai kommt als „Artist in Residence“ nach Düsseldorf.
Weiter geht es im Oktober mit Wedekinds Schauspiel „Franziska“, einem „Mysterium“ um eine Frau, die sich faustisch versklaven lässt, um einmal als Mann den niederen Begierden frönen zu können. Das oben erwähnte Musical „Cabaret“, das im wilden Berlin vor der Machtübernahme der Nazis spielt, wird von Publikumsliebling André Kaczmarczyk inszeniert, der nach seinem Auftritt als Polizeiruf-Kommissar als festes Ensemblemitglied ausscheidet – was zu befürchten war. Das Familienstück zur Weihnachtszeit wird ein Experiment des renommierten Regisseurs David Bösch, der den „Robin Hood“ übrigens von einem Mädchen spielen lässt.
1000 Jahre eingefroren
Auch bei Schillers „Wilhelm Tell“ (im Januar) und Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ (Februar) ist sicher nicht mit konventionellen Ansätzen zu rechnen. Mina Salehpour inszeniert derweil ein biografische Fantasie über „Die fünf Leben der Irmgard Keun“ (1905-1982), der Autorin des „Kunstseidenen Mädchens“. Nach dem „Reich des Todes“ wird schließlich ein weiterer Text des gnadenlosen Autors Rainald Goetz von Stefan Bachmann dramatisiert: der Roman „Johann Holtrop“ über Aufstieg und Fall eines Spitzenmanagers.
Das Programm auf der Kleinen Bühne: „Ödipus“ nach Sophokles von Felix Krakau, Max Frischs immer noch aktuelles Drama über „Biedermann und die Brandstifter“, das erste eigene Stück der Schauspielerin Lea Ruckpaul, „My Private Jesus“, die aktuelle Erzählung „Serge“ von Yasmina Reza, Dostojewskis „Schuld und Sühne – allerdings mit anderem Text und auch anderer Melodie“ von Barbara Bürk und Clemens Sienknecht sowie ein neuer Science-Fiction von Bonn Park über eine junge Frau, die nach 1000 Jahren Eingefrorensein wieder auftaut: „Keine Gegenwart für immer“.
Halt, Trost und Orientierung
Ganz in der Gegenwart ist das von Bassam Ghazi und Birgit Lengers geleitete Stadt:Kollektiv, die ehemalige Bürgerbühne, weiter offen für ambitionierte Laien, die oft mehr vom Leben spürbar machen als die Profis. Mit Jugendlichen inszeniert Salome Dastmalchi den Teenager-Roman „Die Nacht ist so groß wie wir“ von Sarah Jäger (Premiere im Oktober). Für eine „Odyssee“ frei nach Homer (Premiere im Februar) werden noch Menschen aus der Ukraine und aus Düsseldorf gesucht – vom Kind bis ins hohe Alter. Und für eine „theatrale Busreise“ nach „Solingen 1993“, als fünf Menschen bei einem rechtsradikalen Brandanschlag zu Tode kamen, braucht Bassam Ghazi zehn Mitspieler*innen, die damals noch nicht geboren waren.
Im Jungen Schauspiel ist man Gut und Böse auf der Spur mit einem Jugendstück über Melvilles großen Walfänger-Roman „Moby-Dick“ in der Inszenierung von Robert Gerloff (September). Die Fantasie der Kleinen soll angeregt werden durch Emel Aydogdus Stück „Wenn Wolken wachsen“. Farnaz Arbabi inszeniert „Don Giovanni“ als von Mozart inspiriertes Highschool-Drama. Auch mit „K wie Kafka“ sollen sich Kinder ab zehn Jahren beschäftigen (im Februar). Für die Jüngeren startet die Saison übrigens schon im Sommer. Open Air. Am 6. August wird „Die Geschichte vom Löwen, der nicht malen konnte“ im Hofgarten gespielt. Wie der Leiter des Jungen Schauspiels, Stefan Fischer-Fels, schreibt, sollen die gespielten Geschichten gerade Kindern und jungen Leuten „auch in schwierigen Zeiten Halt, Trost, Orientierung geben“. Das wünscht sich jede*r.
Informationen und den neuen Spielplan mit Premierendaten gibt es jetzt schon unter www.dhaus.de