Damals in Brasilien: Das K20 Düsseldorf präsentiert Lygia Pape
Sie hat uns Braque gegönnt, und im Herbst wird es eine Schau über Mondrian geben. Man kann also nicht behaupten, dass Susanne Gaensheimer die alten weißen Meister der Moderne komplett ignorieren würde. Aber immer wieder versucht die Chefin der Kunstsammlung NRW, dem Publikum die Augen zu öffnen für das Werk von Frauen, die nicht zu den ruhmreichen Cliquen der europäischen Avantgarde gehörten. Ein „Museum global“ ist ihr Ziel. In diesem Frühjahr präsentiert sie die erste deutsche Einzelausstellung der Brasilianerin Lygia Pape (1927-2004). Titel: „The Skin of All“, die Haut von allem(n).
Lygia Pape? Soll man sich diesen Namen merken? Die spröde Schau, kunsthistorisch sicher interessant, macht die Annäherung an eine Unbekannte eher schwer. Es gibt im Eingang noch nicht einmal das übliche Porträt, lediglich nervendes Babygeschrei an einem rot gefärbten NASA-Astronautenfilm („Die neue Schöpfung“), womit sich die Künstlerin 1967 an einer Expo in Kanada beteiligte. Der Schlauch, der den Mann im All mit der Raumkapsel verbindet, soll der Nabelschnur entsprechen, lernt man aus dem bilderlosen Begleitheft. Okay …
Aus Liebe zu den Linien
Im Heft finden sich auch ein paar dürre biografische Fakten. Lygia Pape wurde in Nova Friburgo geboren, heiratete früh, zog nach Rio de Janeiro und schloss sich dort, ohne ein Studium absolviert zu haben, in den 1950er-Jahren der brasilianischen Künstlergruppe Frente an. Entsprechend den Tendenzen im fernen Europa beschäftigten sich die jungen Leute mit geometrischen Formen und Konkreter Kunst. Nach einem aus klaren Formen komponierten Ölbild „Pintura“ von 1953, das Gaensheimer bereits für die Kunstsammlung NRW gekauft hat, schuf Lygia Pape eine ganze Reihe ästhetisch einwandfreier schwarz-weißer Holzschnitte mit sichtbarer Maserung („Tecelares“). Zu sehen sind ebenfalls farbige quadratische Reliefs sowie Tintenzeichnungen („Desenhos“) mit parallel laufenden, leicht gebrochenen Linien.
Am Ende ihres Lebens, schon im 21. Jahrhundert, arbeitete Lygia Pape noch einmal mit der Faszination der feinen Linien. Aus Silberfäden spann sie zwischen Boden und Decke eines dunklen Raums schräge Stränge, die, raffiniert beleuchtet, zu schweben scheinen, fast unsichtbar, wie Spinnenweben im Nebel. Die Installation „Ttéia 1C“ (ein Wortspiel zwischen den portugiesischen Begriffen für Netz und seltsame Sache), nach Papes Konzept rekonstruiert, wirkt ohne Erklärung und ist sicher das schönste Stück der Ausstellung.
Bitte vorsichtig anfassen
Dazwischen gibt es Verspieltes, Wildes und Anstrengendes aus dem sicher bewegten, aber fremd bleibenden Künstlerleben der Lygia Pape. An einem großen Tisch darf man einige streng geschnittene Buntpapiere in die Hand nehmen und vorsichtig damit hantieren, um, unter dem strengen Blick der Aufsicht, Papes „Buch der Schöpfung“ von 1959 irgendwie haptisch nachzuvollziehen. Eine größere Herausforderung ist es, sich auf das sogenannte „Rad der Freuden“ einzulassen. Nach einem Konzept von 1967 stehen 16 Schüsseln mit gefärbtem Wasser auf dem Boden. Wie es die Künstlerin in einem wackeligen Performance-Film aus der Zeit vormacht, dürfen/sollen Mutige sich mit Pipetten die Flüssigkeiten auf die Zunge träufeln, müssen aber mit sauren, bitteren oder scharfen Aromen rechnen.
Danke, lieber nicht! Wir gucken nur – auf die „Windeier“ zum Beispiel, eine Art Kubus aus aufgeblasenen Plastikbeuteln, von innen rot beleuchtet. Lygia Pape erinnerte so 1979 an die Wände aus Sandsäcken, mit denen sich die Sandinisten im Guerilla-Kampf gegen das Somoza-Regime in Nicaragua schützten. Da Brasilien zwischen 1964 und 1985 von einer Militärdiktatur regiert wurde, gehörten Andeutungen von Widerstand zum Werk der Künstlerin. Digitalisierte Filme, projiziert oder auf Monitoren, zeugen von ihren Projekten und Performances.
Die Sache mit den Mündern
Da schlüpft Lygia Pape 1967 am Strand von Rio aus einem quadratischen Plastikei, da füllt sie Boxen mit vertrockneten Ameisen und Kakerlaken. In den 1970ern drehte sie Filme in den Favelas und auf Märkten und würdigte damit die Kreativität der armen Bevölkerung. Um die Frau in der Konsumgesellschaft ging es ihr in einem leicht ekligen Film, in dem geschminkte Münder (einer mit Bart) etwas buntes Glibberiges einsaugen und ausspucken: „Eat Me: A gula ou a luxúria?“ (Iss mich: Völlerei oder Lust?).
Einige Super-8-Filme, mit Kopfhörern zu konsumieren, zeigen krause Handlungen, in denen es irgendwie um Gesellschaftskritik und Galeristen-Gemeinheiten geht. Von der Decke hängen Fahnen mit sogenannten „Dynamischen Gedichten“, die eine vergrößerte grafische Anordnung von Wörtern sind: „bãlao lembrança infáncia“, („ballon erinnerung kindheit …“). Das alles mag für die Kulturgeschichte Südamerikas relevant sein, hat aber wenig Kraft als Kunstwerk hier und jetzt.
Was, wann und wo?
„Lygia Pape: The Skin of All“. Bis 17. Juli in der Düsseldorfer Kunstsammlung NRW, K20, Grabbeplatz 5. Geöffnet Di.-Fr. 10 bis 18 Uhr, Sa./So. 11 bis 18 Uhr. Jeden ersten Mittwoch im Monat ist Kunstabend bis 22 Uhr bei freiem Eintritt ab 16 Uhr. Ansonsten kostet das Ticket 12 Euro. www.kunstsammlung.de