Im Vorübergehen: Helga Meister über Düsseldorfer Kunst im Freien
Alles dicht. Was sollte der kulturell interessierte Mensch im Lockdown machen? Spazieren, Flanieren. Und neu wahrnehmen, was da eigentlich im öffentlichen Raum steht. Eine Stadt ist ja immer auch ein Freilichtmuseum, sehr gemischt. Helga Meister, altgediente Kunstkritikerin und unermüdlich mit dem Rad unterwegs, hat genauer hingesehen und der Pandemie ein naheliegendes Werk abgetrotzt. Ihr informatives und unterhaltsames Buch „Düsseldorf – Kunst im Freien“ würdigt 125 Skulpturen von 90 Bildhauern, war sofort vergriffen und ist jetzt zum zweiten Mal aufgelegt worden.
Die Ausschmückung eines Stadtbildes mit Kunst ist immer eine Frage des Geschmacks. Die einen sehen lieber einen röhrenden Hirsch, die anderen mögen es abstrakt. Dazu kommen die Launen des Zeitgeistes. Während der 125 Jahre alte, lorbeerbekränzte „Vater Rhein“ und seine koketten „Töchter“ in patriarchalischer Herrlichkeit dem Kaiser Wilhelm und Preußens Gloria huldigen, soll das „Seltsam klassische Denkmal“ von Claus Richter, das jüngst am Rhein neben dem Apollo-Varieté aufgestellt wurde, die neue diverse Gesellschaft mit ihren bunten Geschlechterrollen feiern. Dass der Stil der Figuren mit ihren hochgeregten Fäusten und Victory-Zeichen eher an Propagandakunst erinnert, ist nicht zu übersehen. Helga Meister bleibt diplomatisch. Sie erwähnt das umstrittene Werk zwar kurz im Vorwort, würdigt es aber nicht weiter.
Die heikle Vergangenheit
Was sie interessiert, das bekommt seinen Platz. Die Auswahl ist subjektiv, aber streng alphabetisch nach den Namen der Künstler (*innen gibt es kaum) geordnet. Das reicht von A wie Alviani, Getulio, dessen „Kreis + Quadrat = Volumen“ 1967 die nüchterne Klarheit der Moderne markierte, bis Z wie Zschorsch, Alfred, dessen artiger „Radschlägerbrunnen“ 1954 von den Düsseldorfer Jonges für den Burgplatz spendiert wurde. Helga Meister erzählt liebevoll von den „Pänz“, die nach dem Radschlagen um „eene Penning“ bitten, verschweigt aber nicht, dass der Künstler Zschorsch auch bei den Nazis wohlgelitten war und, als Mitglied der NSDAP, 1938 den Gaukulturpreis für Plastik bekam.
Andere prominente Düsseldorfer wie der Ehrenhof-Architekt Wilhelm Kreis oder der spätere Nachkriegsstadtplaner Friedrich Tamms kamen sogar auf Hitlers „Gottbegnadetenliste“ – ein heikles Feld, das Helga Meister beherzt betritt. Nicht alles, was den Nazis gefiel, muss heute als schlechte Kunst bezeichnet werden. Hitlers späterer Lieblings-Bildhauer Arno Breker schuf als junger Mann 1925 die liegende „Aurora“ auf dem Belvedere des Kunstpalasts, als er sich noch als Mitglied der Avantgarde verstand. Sein Idol war der Franzose Aristide Maillol (1861-1944), dessen sanfter Frauenakt „Harmonie“ 1951 auf Brekers Vermittlung vom Industriellen Hugo Henkel für den Düsseldorfer Kunstverein gestiftet und auf dem Napoleonsberg im Hofgarten aufgestellt wurde.
Die Geschichte von Dina
Das Modell für die sinnlich-schöne Figur war übrigens eine junge jüdische Französin namens Dina Vierny, die, wie Helga Meister erzählt, den alten Maillol mitten im Krieg beflügelte: „Der Senior muss hingerissen gewesen sein.“ Als sie 1943 von der Gestapo verhaftet wurde, bat Maillol den Kollegen Breker um Hilfe – und tatsächlich ließ der Düsseldorfer „seine Verbindungen zu höchsten NS-Chargen spielen“ und rettete das junge Mädchen, die sich ewig dankbar zeigte und 1977 das Maillol-Museum in Paris eröffnete. Auch solche Geschichten findet man im Nachschlagewerk von Helga Meister.
Es macht Spaß, darin zu lesen, Neues zu lernen, Kenntnisse aufzufrischen. Und Altbekanntes noch einmal genauer anzusehen. Zum Beispiel den allseits beliebten, häufig geflickten „Tritonenbrunnen“, den Karl Janssens Meisterschüler Fritz Coubillier um 1900 in den Kö-Graben setzte. Jeder kennt den muskulösen Meeresgott mit dem Fischschwanz, der da zwischen puttenartigen Knaben die Harpune schwingt und dem wasserspuckenden Delphin das Maul aufreißt. „Das ist weder wilhelminisches Neobarock noch Klassizismus, sondern dadaeske Phantasie“, findet die Autorin.
Der Mann ohne Kopf
Und so geht es weiter – zum 4,75 Meter großen „Kouros“ zum Beispiel, der, antik wirkt, aber nur der Abguss einer altgriechischen Statue ist, 1997 vom Konzeptkünstler Stefan Demary (1958-2011) erdacht. „Bruch und Distanz“ war sein Thema, weshalb er den Kopf des Jünglings vom Körper trennte und separat präsentierte. Heute sieht man das nicht mehr gut, denn der Leib steht an der Danziger Straße, der Kopf wurde unter eine Brückenrampe geschoben: „Damit ist das Konzept des Künstlers nicht mehr nachvollziehbar, dass der Autofahrer aus den Sichtbeziehungen zwischen beiden Teilen selbst die Einheit in seinem Kopf herstellen soll“.
Also: Viel Stoff zum Nachdenken. Und zum Diskutieren. Wie findet man selbst eine Skulptur? Was hält man von den zwei schrägen Edelstahlrohren mit Aussparung („Penetration“), die Peter Schwickerath 1978 an den Fuß der Oberkasseler Brücke setzte? Amüsiert man sich über die lebensechten „Säulenheiligen“, die Christoph Pöggeler auf Litfaßsäulen gesetzt hat? Oder bevorzugt man den kühlen Glanz der Moderne wie bei Macks „Segelbrunnen“ an der Berliner Allee? Und: Wie gut kümmert sich die Stadt um ihre Kunstwerke? Karl Bobeks eiserne „Mutter“ steht nur deshalb allein in der Mühlengasse, weil die dazugehörige Familie, Vater und Tochter, von einem Rettungswagen und einem LKW umgefahren und demoliert wurden. Seit 2018 heißt es, dass die 1988 aufgestellten Figuren neu gegossen werden sollen. „Man darf gespannt sein“, bemerkt Helga Meister süffisant. Und das gilt auch für ihre Leser*innen.
Neu aufgelegt
Helga Meister: „Düsseldorf – Kunst im Freien. 90 Bildhauer, 125 Skulpturen“. Verlag Peter Tedden, 232 Seiten mit zahlreichen Abbildungen. Zweite Auflage jetzt im Buchhandel erhältlich. 28 Euro.