Sonderausstellung der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf betrachtet Tabuthema: Zwangssterilisation „erbkranker“ Menschen
Über 3.200 Akten aus dem Bestand des „Erbgesundheitsgerichtes“ der Jahre 1934 bis 1945 liegen im Düsseldorfer Stadtarchiv. Jede Akte steht für eine Person, manchmal auch ganze Familien, die von den Nazis als „erbkrank“ eingestuft wurden und damit der NS-Idee eines “gesunden Volkskörpers” widersprachen. Sie wurden zwangsweise sterilisiert. Erst 2011 wurden die Opfer von der Bundesregierung anerkannt und ein Entschädigungsanspruch zugestanden. Die Aufarbeitung dieser Verbrechen bis heute tabuisiert. Deshalb betrachtet die Mahn- und Gedenkstätte in Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv und dem Gesundheitsamtes dieses düstere Kapitel der „vergessenen Opfern“ der NS-Diktatur.
Zwischen 1934 und 1945 wurde alleine in Düsseldorf an über 5.000 Menschen der entwürdigende Eingriffs der „Unfruchtbarmachung“ durchgeführt. Betroffen waren Männer und Frauen, die man als angeblich „erbkrank“ und als Gefahr für die „Rassenhygiene“ einstufte. Die Untersuchung der Fälle belegt, dass Amtsärzte, Juristen, Behördenvertreter, Vormünder, Anstaltsleiter, Hausärzte und Psychiater aktiv an diesen Vorgängen mitwirkten. Vielfach waren es Wohlfahrtsämter, Heime oder Pflegeanstalten, die die als “erbkrank” stigmatisierten Menschen anzeigten. Die Maschinerie begann mit einer “Meldung” beim Gesundheitsamt und endete im OP-Saal. Betroffen waren Menschen, die von Geburt an blind oder gehörlos waren, die an nervlichen oder seelischen Erkrankungen oder an Epilepsie litten. Aber auch über Häftlinge, Sinti und Roma und die sogenannten „Rheinlandbastarde“ (Nachkommen schwarzer Soldaten der französischen Rheinlandbesetzung) gibt es Aktenaufzeichnungen. Sie alle gerieten auf der Grundlage des “Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses” in den Fokus der Behörden.
An der Mühlenstraße wurde eigens das “Erbgesundheitsgericht” eingerichtet, wo man über das weitere Leben der Betroffenen entschied. Die Zwangssterilisationen waren ein Vorläufer der vom NS-Staat durchgeführten “Krankenmorde”. Die Ausstellung ist eine Kooperation der Mahn- und Gedenkstätte, des Stadtarchiv Düsseldorf und des Gesundheitsamtes mit zahlreichen weiteren Partnerinstitutionen. Es wurden lokale und regionale Quellen untersucht, aufbereitet und im Rahmen der Sonderausstellung zusammengetragen. Großformatige Tafeln zeigen die strukturellen Bedingungen, die Mitwirkenden und deren Entscheidungsgrundlagen. Anhand der Beispiele von einzelnen Opfern wird aufgezeigt, wie zur “Aufartung des deutschen Volkskörpers” den Menschen die Möglichkeit Nachwuchs zu zeugen und ihre Würde geraubt wurde. Eine Einführung in die nationalsozialistische “Rassenhygiene” und in rassistische Körperkonzepte ergänzen die Ausstellung. Auf einer Tafel sind die Lebensläufe bekannter Düsseldorfer Täter aufgeführt, von denen die trotz ihrer Taten nach dem Krieg viele weiter praktizierten.
Die Ausstellung wurde am Montagabend (31.1.) coronabedingt im kleinen Kreis eröffnet. Grußworte gab es von Bürgermeister Josef Hinkel und Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein. Zu den Gästen gehörten die Dezernenten Christian Zaum und Hans-Georg Lohe, die kommissarische Leiterin des Gesundheitsamtes Dipl.-Psych. Andrea Melville-Drewes, und der Superintendent des evangelischen Kirchenkreises Düsseldorf, Heinrich Fucks.
Interessierte Besucher*innen können die Ausstellung noch bis zum 20. Juni 2022 in der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf, Mühlenstraße 29, sehen. Öffnungszeiten: dienstags bis freitags und sonntags von 11 bis 17 Uhr, samstags von 13 bis 17 Uhr. Der Eintritt ist frei. Es gilt die 2G-Regel. Führungen für Kleingruppen können vorab telefonisch unter 0211-89-96205 angemeldet werden.
Im März wird begleitend der neue Band der “Kleinen Schriftenreihe der Mahn- und Gedenkstätte” erscheinen. Band 11 (herausgegeben vom Förderkreis der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf e.V. und dem Evangelischen Kirchenkreis Düsseldorf). Bastian Fleermann/Benedikt Mauer: “zwangs sterilisiert. Eingriffe in die Menschenwürde in Düsseldorf 1934-1945”. Erhältlich für 7 Euro in der Gedenkstätte, im Buchhandel und im Droste-Verlag (ISBN 9-783-7700-6047-4).