Die Liebe fließt: „Identitti“ am Schauspielhaus Düsseldorf
Mithu Sanyal (50), Düsseldorfer Autorin mit indischem Vater, wollte das quälende Thema Rassismus mal anders behandeln: schräg, witzig. Für ihren Roman „Identitti“ ersann sie Saraswati, eine weiße Professorin, die sich als Inderin ausgibt, um in ihrem Fachgebiet Postkoloniale Theorie authentischer zu wirken. Als der Schwindel auffliegt, löst das bei ihren Fans eine Welle der Empörung aus. Saraswatis Lieblingsstudentin Nivedita ist fassungslos. Stoff für 432 Seiten beachtlicher Prosa. Jetzt sind daraus zwei Stunden Theater geworden. Mit Gefühl und Gesang und etlichen Albernheiten.
Eins sei gleich gesagt: Das Premierenpublikum im Kleinen Haus feierte das (bewusst divers geprägte) Ensemble mit begeistertem Applaus. Man war entschlossen, das Projekt zu mögen. Wer heutzutage noch ins Schauspiel geht, will keinesfalls auf der falschen Seite stehen wie ein reaktionärer Stinkstiefel. Offenheit, Verständnis und eine sozialliberale Grundeinstellung gehören gewissermaßen zum Abonnement. Es ist also ein Schonraum, in dem da gespielt wird. Dabei gehört zur wirklichen Wertschätzung eine kritische Auseinandersetzung. Und, sorry, die Mischung aus Dauer-Erregung und Klamauk hätte dringend eine strengere Regie als die von Kieran Joel gebraucht.
Mal ein alter weißer Mann sein
Es entsteht der Eindruck, als seien lustige Ideen aus der Probenarbeit einfach mal so übernommen worden. Auch, wenn sie keinen Sinn machen wie die Szene, in der die ständig aufgewühlte Nivedita (Cennet Rüya Voß) gefragt wird, ob sie mal ein alter weißer Mann sein will, worauf sie unter wallendem Theaternebel in den Unterboden steigt und ein alter weißer Statist kurz an ihrer Stelle erscheint. Das war, ruft Nivedita, „so richtig Scheiße“. Und man hätte es streichen können, genau wie die Nummer mit der Luftzigarette („Ich wünschte, ich würde rauchen …“) und andere überflüssige Scherze.
Auch die Optik wirkt improvisiert. Über das Bühnenbild aus Niveditas ungemachtem Bett, einer Sitzecke mit Sperrmüll-Charme und der Andeutung einer Professoren-Wohnung nebst Foto-Ausblick auf Düsseldorf flimmern ununterbrochen nervende Projektionen: die Gesichter der Mitwirkenden, Ethno-Masken, und vor allem wimmelnde Wort-Beiträge aus dem Shitstorm, der losbricht, nachdem sich die verehrte Saraswati als „fuckin’ white“ entpuppt hat. Die Community der People of Color ist entrüstet, es wird viel geschrieen, besonders von der afro-deutschen Studentin Oluchi (Fnot Taddese), die sich mit Knoten und anderer Brille bei Bedarf blitzschnell in die weiße Kommilitonin Lotte verwandelt. Ein netter Kunstgriff.
Eine Frau mit zwei Gesichtern
Im wilden Wechselspiel mit den Identitäten wurde die Rolle der Professorin mit zwei Frauen, blond und braun, besetzt. Die Wissenschaftlerin und Aktivist nennt sich Saraswati wie die Hindu-Göttin der Weisheit, heißt aber in Wirklichkeit Sarah Vera Thielmann. Friederike Wagner spielt das weiße Ich, Leila Abdullah ihr Wunsch-Alter-Ego. Gleicher Haarschnitt, gleicher Hosenanzug, indischer Schal. Sie dozieren und argumentieren etwas holprig im Duett, was die Figur allerdings noch künstlicher macht. Umso merkwürdiger ist der hochemotionale Showdown, bei dem ein riesiges Plastikherz heruntergelassen wird, und Saraswati ihrem wirklich indischen Adoptivbruder eröffnet: „Ich wollte deine Haut haben, weil ich deinen Schmerz haben wollte.“ Wie genau? Nun, für Psychologie ist keine Zeit. Der Adoptivbruder (Mehdi Moinzadeh) hat sein Brokatjäckchen ausgezogen und muss mit blanker Brust und wallendem Haar am Riesenherzen turnen.
Der intellektuelle Anspruch aus dem Roman von Dr. Mithu Sanyal äußert sich durchaus – in Seminarszenen und Sätzen wie: „Es ist vollkommen unmöglich, keine rassistischen Stereotypen verinnerlicht zu haben.“ Aber man will um keinen Preis zu akademisch werden. Und deshalb geht es auch um Liebeskummer und teeniehafte Sex-Späße unter Mädchen. Und dann ist da ja noch Kali, die vielarmige indische Gottheit, die sich Nivedita als coole Begleiterin fantasiert. Ein blau geschminkter Kerl im karnevalesken Trikot (Serkan Kaya) spielt diese Figur und kann auch Stimmungslieder singen: „Coconut Woman“ und so. Alles swingt auf Versöhnung zu. Der letzte Satz ist: „Let love flow like a river.“ Lass die Liebe fließen wie einen Fluss. Na gut.
Die nächsten Vorstellungen
Die Romandramatisierung „Identitti“ von Mitghu Sanyal wird am 16. und 26. November sowie am 1. Dezember im Kleinen Haus des Düsseldorfer Schauspielhauses gespielt. Zutritt nach jetzigem Stand nur für Geimpfte und Genesene. Bitte Covid-Pass und Ausweis mitbringen! Während der Vorstellung muss die Maske wieder aufbehalten werden. www.dhaus.de