Stilles Feuer: Malerei von Lynette Yiadom-Boakye im K20 Düsseldorf
Wie bitte? Eine junge schwarze Malerin aus London stellt im Düsseldorfer K20 aus? Da oben, im zweiten Stock? In den heiligen Hallen der Klassischen Moderne? Auf Augenhöhe mit Picasso, Matisse, Ernst, Klee und den anderen alten weißen Göttern aus dem Kunst-Olymp des 20. Jahrhunderts? Ja, Leute, so ist es! Und dabei geht es nicht (nur) um die politisch korrekte Balance. Lynette Yiadom-Boakye (44), Migrantenkind mit ghanesischen Wurzeln, Turner-Preisträgerin, hat die Ehre verdient. Wer ihre figurativen Ölbilder in Ruhe betrachtet, wird hingerissen sein.
Ihr einziges Motiv ist der Mensch. Der schwarze Mensch, um genau zu sein. Völlig normal für eine schwarze Malerin. Nach dem Besuch dieser Ausstellung wird man es künftig eher irritierend finden, dass die Gemäldegalerien der abendländischen Kultur so gut wie nur weiße Gesichter zeigen. Lynette Yiadom-Boakye, Absolventin der Royal Academy, hat diese Kultur sorgfältig studiert. Tatsächlich bezieht sie sich in ihrem Werk auf traditionelle westliche Malerei vom Renaissance-Porträt bis zur impressionistischen Szene. Und verzaubert ihr Publikum unter dem poetischen Titel „Fliegen im Verbund mit der Nacht“. Denn sie ist auch eine Dichterin.
Cool in der Welt stehen
So präsentiert sie uns eine Schar von Personen, die individuelle Züge haben, aber fiktiv sind, wie die Künstlerin betont. Sie machen nichts Besonderes, sie sitzen, schauen, warten, rauchen, posieren ein bisschen oder auch gar nicht in einer unbestimmten Umgebung. Nachdenklich wirken sie, manchmal amüsiert und dabei ganz entspannt oder, wie die Künstlerin selbst sagt, „von der Welt, aber nur … befasst mit dem Teil, der ihnen Leben gibt, weniger beunruhigt durch den Rest“. Trotz dieser Coolness oder gerade deshalb fesseln Lynettes Figuren das Publikum – wie gute Jazzmusik. Nicht ohne Grund zitiert Kuratorin Andrea Schlieker, die diese Schau schon in der Londoner Tate Britain betreut hat, den großen Trompeter und Bandleader Miles Davis, der freien, kontemplativen Jazz einmal als „stilles Feuer“ bezeichnete.
So etwas haben auch die Menschen, die Lynette Yiadom-Boakye mit ihren Bildern in die Welt setzt. Sie ziehen uns an und offenbaren doch nie ihr Geheimnis. Wie der Mann, der mit leichtem Grinsen im Dunkeln hockt und einen langen roten Schlafrock trägt nach Art des Modearztes der Pariser Belle Époque, „Dr. Pozzi“, auf einem berühmten Porträt von Jon Singer Sargent. „Any Number Of Preoccupations“ (etwa: „Jede Menge Voreingenommenheit“) nennt Lynette das Bild. Solche Titel sind für sie ein „zusätzlicher Pinselstrich“.
Wie aus anderen Zeiten
Es darf also gerätselt werden. Geschichten erfinden ist auch erlaubt. Wohin geht der weitaus Schreitende? Läuft er davon, oder will er eine „nicht gezahlte Prämie“ abholen? „A Bounty Left Unpaid“, raunt der Titel. „Six Birds In The Bush“ („Sechs Vögel im Gebüsch“), so heißt das stolze Dreiviertelprofil eines jungen bärtigen Mannes, der eine lila Feder am Hut trägt – fast wie ein Junker auf einem altmeisterlichen Porträt. Gleich daneben haben Kuratorin und Künstlerin ein kleineres Format platziert, auf dem eine junge Frau, die zur Seite blickt, nachdenklich den Kopf auf die Hand stützt. „Penny For Them“ heißt das Bild, was sich auf den englischen Spruch „A penny for your thoughts“ bezieht, einen Penny für deine Gedanken.
„Ich wollte über einen Dialog zwischen den Werken nachdenken“, sagt Lynette Yiadom-Boakye dazu. Zwei überdimensionale, fröhlich grinsende Mannsbilder in weißen Hemden drehen einander den Rücken zu – und wirken, als wollten sie jeden Moment aufstehen und sich mit einer munteren Drehung unters Volk mischen. Überhaupt ist immer eine Ahnung von Bewegung in der Komposition. Ein Tänzer posiert anmutig vor gelb getupftem Hintergrund und macht einen feinen Fuß wie die Ballerinen von Degas. Der Titel heißt aber maliziös „Daydreaming Of Devils“, Tagträumerei von Teufeln. Auch die vier schwarzen Jungs an der Trainingsstange („Concentration“) oder zwei verspielte kleine Mädchen am Strand („Condor And The Mole“) erinnern an den Impressionismus.
Unvergleichliche Leidenschaft
Viel älter wirkt die Seele eines Jünglings mit halbem Pierrot- oder Renaissance-Kragen, der vor Grün steht und uns aus ernsten Augen anblickt: „A Passion Like No Other“, eine unvergleichliche Leidenschaft, verheißend. Gegenüber hockt ein Knabe auf einem Felsen und träumt in eine rotbraun vernebelte Umgebung – fast romantisch. Voll geheimnisvoller Gefühle ist auch die Beziehung einiger junger Männer zu Vögeln und anderen Tieren, die sie wie scheue Liebhaber tragen und ansehen. Rot leuchtet das Gefieder eines prächtigen Papageis auf der dunkelbraunen Hand seines menschlichen Gefährten, „Accompanied To The Kindness“ (zur Güte begleitet).
Festlich gestimmt sind zwei Herren im Anzug, die sich vor gelbweißem Hintergrund im Nirgendwo mit Sektgläsern zuprosten, mit Liedern im Kopf – „Songs In The Head“. Von den jazzigen Tönen, die Lynette Yiadom-Boakye liebt, kann man sich übrigens selbst beflügeln lassen. Ein QR-Code im kostenlosen Begleitheftchen führt auf ihre Playlist bei Spotify. Mit der Musik im Ohr lässt sich später bestens ihr schräger Detektivroman „Ein Gesetzeshüter“ lesen, der hinten im Katalog statt redundanter Expertentexte abgedruckt ist. Ein Vergnügen!
Was, wo und wie lang?
„Lynette Yiadom-Boakye: Fliegen im Verbund mit der Nacht“. Bis 13. Februar in der Düsseldorfer Kunstsammlung NRW, K20, Grabbeplatz. Unten im Haus geht es, wie berichtet, um „Georges Braque, Erfinder des Kubismus“. Eintritt für beide Ausstellungen: 12 Euro. Geöffnet Di.-Fr. 10 bis 18 Uhr, Sa./So. 11 bis 18 Uhr. www.kunstsammlung.de