Düsseldorf: 1.500 Menschen mit grünen Mützen simulieren Gedränge im Auftrag der Forschung
Seit Freitag (8.10.) hat sich die Mitsubishi Electric Halle in eine Art Forschungslabor verwandelt. Forscher*innen des Forschungszentrums Jülich, der Bergischen Universität Wuppertal und der Ruhr-Universität Bochum arbeiten gemeinsam am Projekt CroMa ( Crowd-Management in Verkehrsinfrastrukturen). Dafür werden an vier Tagen jeweils rund 370 Menschen Situationen simulieren, die auf Bahnsteigen oder beim Einlass zu Veranstaltungen entstehen können. Ziel der Experimente ist es, Konzepte für überfüllte Bahnhöfe zu entwickeln. Denn um die Klimaziele zu erreichen, soll der ÖPNV gesteigert werden, doch mehr Fahrgäste führen auch zu mehr Gedränge, das es gilt zu optimieren.
Insgesamt werden rund 1.500 Freiwillige verschiedene in der Halle aufgebaute Parcours durchlaufen, um die Abläufe auf vollen und übervollen Bahnsteigen nachzustellen. Täglich nutzen rund 36 Millionen Fahrgäste in Deutschland den öffentlichen Personennahverkehr. Besonders zu Stoßzeiten oder nach Großveranstaltungen wird es eng auf den Bahnsteigen und in den Waggons. Entstehendes Gedränge nah am Gleis oder an Treppenabgängen kann schnell gefährlich werden. Viele Bahnhöfe stammen noch aus einer Zeit, als die Fahrgastzahlen deutlich geringen waren und scheinen kaum die jetzige Zahl an Reisenden zu verkraften. Doch mit der Zielsetzung die CO2-Emissionen zu reduzieren, müssen die Kapazitäten nicht nur bei der Zahl der Bahnen steigen, auch Bahnsteige und Bahnhöfe müssen darauf ausgerichtet werden. Um Bahnreisen sicherer, effizienter und nutzerfreundlicher zu gestalten, soll das Projekt CroMa Erkenntnisse bringen, wo es Ansatzpunkte gibt. Haben etwa Durchsagen, Anzeigeschilder oder die Gestaltung der Bahnsteige Einfluss auf das Verhalten der Reisenden?
Das Forscherteam um Prof. Armin Seyfried vom Forschungszentrum Jülich und der Bergischen Universität Wuppertal, Dr. Maik Boltes und Dr. Anna Sieben haben in verschiedenen Feldstudien bereits die Abreisen der Besucher*innen aus der Arena nach einer Sportveranstaltung oder einem Konzert beobachtet. Oder auch wie Menschen sich vor dem Einlass zu einem Konzert verhalten.
Daraus ergaben sich Fragestellungen, die nun in dem Experiment in drei Versuchsaufbauten erforscht werden: Wie verhalten sich Menschen im Gedränge? Welche Auswirkungen hat es, wenn viele Fahrgäste mit Gepäck unterwegs sind? Wie reagieren Menschen, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen, etwa wenn sich jemand vordrängeln möchte.
Für das Experiment trugen alle Teilnehmer*innen grüne Mützen, auf denen ein individueller Code aufgedruckt ist. Damit können die Kameras an der Hallendecke Bewegungsprofile erstellen, die sich dann mit persönlichen Merkmalen wie Körpergröße, Geschlecht und Alter in Verbindung bringen lassen. Einige Probanden tragen Motion-Capture-Anzüge, mit denen die Bewegungen des gesamten Körpers erfasst werden und über Drucksensoren Kräfte im Gedränge gemessen werden. Über Sensoren die Herzschlag und Hautleitfähigkeit messen liefern manche Versuchspersonen auch physiologische Daten, die Aufschluss über Stress und Motivation geben.
Neben den wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen sind an allen vier Tagen auch Studierende der drei Universitäten im Einsatz, die durch ihr Engagement die Chance erhalten wichtige Leistungspunkte oder Credit Points für ihr Studium zu sammeln.
Ziel der Forschung ist es, Mithilfe von neuen Informations- und Raumnutzungskonzepten die Funktion und Leistungsfähigkeit von Verkehrsinfrastrukturen im Nah- und Fernverkehr auch bei Belastungsspitzen und unter besonderen Bedingungen aufrechtzuerhalten. Für den Fall einer Überlastung werden Maßnahmen entwickelt, die in Bahnhöfen anwendbar sind. Wichtig ist es dabei die Sicherheits- und Krisenmanagementsysteme verschiedener Beteiligter zu vernetzen und gegenseitige Abhängigkeiten zu berücksichtigen. So müssen beispielsweise Bahn, Polizei, Rettungskräfte und Veranstalter nach dem gleichen Konzept vorgehen, um sich nicht gegenseitig zu behindern.
„Eigentlich kann man nur an Details arbeiten“, erklärt Prof. Armin Seyfried vom Forschungszentrum Jülich und der Bergischen Universität Wuppertal. „Das testen wir bei den Experimenten in Düsseldorf mit Probanden in verschiedenen Szenarien. Simuliert wird beispielsweise, wie sich wartende Menschen auf einem Bahnsteig und vor einem Einlass verteilen, oder es werden verschiedene Situationen beim Ein- und Aussteigen an Zugtüren nachgestellt. Ein gewisses Potenzial besteht darin, die gesamte Länge des Bahnsteigs besser auszunutzen“, konstatiert Armin Seyfried.
Bisherige Forschungen zum Design von Anlagen für den Fußverkehr, der Dynamik in großen Menschenmengen sowie des Crowd-Managements erfolgten aus natur- und ingenieurwissenschaftlicher Sicht. Neu an dem Experiment in Düsseldorf ist der interdisziplinäre Aufbau. Der Mensch wird als Faktor einbezogen, der Einfluss sozialer Normen und seine Selbstorganisation. Die Verknüpfung dieser sozio-psychologischen Faktoren mit Aspekten der Leistungsfähigkeit von Fußverkehrsanlagen der Wege ist eine der wichtigsten Innovationen im Projekt CroMa.
Geplant war das Experiment bereits für März 2020, doch Corona zwang zur Verschiebung. Auch jetzt war 3G Zugangsvoraussetzung für alle Teilnehmenden und zusätzlich ein Schnelltest vor Betreten der Halle.
Das CroMa-Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Programms „Forschung für die zivile Sicherheit“ von August 2018 bis Juli 2022 mit rund 3,3 Millionen Euro gefördert.