Formensprenger in Düsseldorf: Das K 20 würdigt den frühen Georges Braque
Georges Braque? Das ist doch dieser Kumpel von Picasso, der mit unserem allseits vergötterten Jahrhundertgenie im alten Paris gefeiert, debattiert und die malerischen Formen zerlegt hat. Man kennt den Namen, hat einige seiner Bilder gesehen, aber immer wieder im Zusammenhang mit dem heller leuchtenden Helden der Moderne. Damit macht die Düsseldorfer Kunstsammlung NRW jetzt Schluss. Eine ehrgeizige Ausstellung im K20 präsentiert Braque als „Erfinder des Kubismus“ und konzentriert sich dabei auf das Frühwerk bis 1914 unter ausführlicher Einbeziehung der historischen Zusammenhänge. Auch das Publikum muss fleißig sein. Wie sagte schon Karl Valentin? „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.“
Wie die übergründlich arbeitende Kuratorin Susanne Meyer-Büser einräumt, hat sie „noch nie so viel Text in einer Ausstellung untergebracht“. In etlichen Raumecken der kubistischen Saalarchitektur sind die Wände eng bedruckt mit lehrreichen Fakten und Analysen zu Themen aus dem Vorfeld des Ersten Weltkriegs wie „Flottenwettrüsten“, „Zweite Marokkokrise“ und „Dreyfus-Affäre“ bei gleichzeitiger Erläuterung von Kultur und Technik. Die Dynamik der Zeit mit ihren dramatischen Entwicklungen und bahnbrechenden Erfindungen, das Kintopp und das Automobil, all das ist nach Ansicht der Wissenschaftlerin entscheidend für den Wandel in der Kunst.
Auf der Suche nach Inspiration
Darüber hatte Georges Braque (1882-1963) vermutlich wenig nachgedacht. Er war kein politischer Mensch, sondern folgte dem Pfad von Kunst und Lebensart, als er im verheißungsvollen Jahr 1900, mitten in der Belle Époque, aus Le Havre nach Paris zog, wo die Bohème auf den Tischen tanzte. Nach einer Lehre als Dekorationsmaler und einem kurzen Kunststudium an der Akademie seiner Heimatstadt suchte der Normanne nach dem Neuen. Der Impressionismus war damals schon nicht mehr der letzte Schrei. 1905 sah Braque im Pariser Herbstsalon die markanteren Bilder von Henri Matisse und seinen Mitstreitern, die von dem konservativen Kunstkritiker Vauxcelles als „fauves“ (wilde Tiere) bezeichnet wurden.
So wollte der junge Braque auch malen – mit intensiven Farben und freien Konturen. Auf Reisen suchte er Motive. „La Fenêtre sur l’Escaut, Anvers“, durchglüht von Rot und Sonnengelb, ist direkt von einem Fensterbild des bewunderten Kollegen Matisse inspiriert. Einige andere, wild bewegte farbige Landschaften aus dem südfranzösischen Estaque erinnern eher an den damals längst verstorbenen Außenseiter van Gogh. Alles glüht. Selbst bei „temps gris“, grauem Wetter, gibt Braque den Felsen von „La Calanque“ 1907 ein rosa-violettes Leben.
Die Geometrisierung der Landschaft
Im selben Jahr studiert er die Bilder von Paul Cézanne und verzichtet fortan auf die Zentralperspektive mit ihrer Tiefenwirkung. „Er fing an, die Landschaft zu geometrisieren“, sagt die Kuratorin. Ein flächiges, aus Dreiecken, Vierecken und Bögen bestehendes Bild des „Viaduc à l’Estaque“ kennzeichnet kunsthistorisch den „Vorkubismus“. Nahezu abstrakt komponiert wirken fortan Bäume, Häuser und Felsen auf etlichen Bildern.
In seinem neuen Freund Pablo Picasso, den er 1907 beim Galeristen Kahnweiler kennengelernt hatte, fand Braque einen enthusiastischen Mitstreiter. Der große, sportliche Normanne, eher von ruhigem Wesen, und der kleine quirlige Spanier inspirierten einander. Sie besuchten einander fast täglich in ihren Ateliers, zogen um die Häuser und waren fasziniert von der Idee, Motive in einfache Grundformen zu zerlegen, neu zu komponieren und so dem Abbild zu entheben. Der Kubismus war erfunden. „Allein hätte Picasso das nicht hingekriegt“, glaubt Susanne Meyer-Büser.
Der Spürsinn des Gründungsdirektors
Tatsächlich waren es Bilder von Braque, die ein Kritiker 1909 als „kubische Bizzarrerien“ bezeichnete. Was als Schmähung gemeint war, wurde zum Begriff in der Kunstgeschichte. Wie die Ausstellung zeigt, blieb Braque konsequenter als sein Freund bei der Sache. Anders als Picasso war er kaum interessiert an Figuren. Selbst die „Lesende Frau“ von 1911 ist bis zur Unkenntlichkeit in geometrische Teile aufgesplittert und hat die gleiche Anmutung wie das große Stillleben „harpe et violon“ (Harfe und Violine), das Gründungsdirektor Werner Schmalenbach seinerzeit für die damalige Landesgalerie erwarb. Auch er und sein Spürsinn sollen hier nebenbei gewürdigt werden.
Die Farbe ist in jenen Jahren fast gänzlich aus Braques Werk gewichen. Alles hat die gleiche bräunlich-grau-beige Erscheinung. Warum eigentlich? Die Kuratorin glaubt an einen Einfluss der damals neuen Medien Fotografie und Film, die nur schwarz-weiße Abbildungen in die Welt setzen konnten und damit äußerst erfolgreich waren. Braque liebte das Kino. Farblos waren die Konturen der Moderne – und umso ausdrucksstärker. Um das zu zeigen, laufen einige Videos mit historischen Stummfilmen. Man sieht zum Beispiel die überblendeten Gesichter des „Fantomas“, eine Flug-Dokumentation der Brüder Wright und eine Slapstick-Nummer über einen kubistischen Maler von Georges Monca („Peintre Cubiste“, 1912).
Die Musik einer neuen Zeit
Auch Musik ist in einer Ecke zu hören, der Soundtrack der Zeit – Bartók und Ravel, Satie und Debussy. Georges Braque ging gern in Konzerte. Er war, erzählt der Saaltext, stolzer Besitzer eines Grammophons und spielte selbst Geige, Flöte, Klavier und Akkordeon. Instrumente gehören zu etlichen kubistischen Stillleben. Da zersplittern Frauen und Mandolinen, Klarinette und Rumflasche in kompositorischer Harmonie. Picasso, das große Spielkind, ließ sich von Braques Einfällen gerne mitreißen. Beide kombinierten Zeichnung und Collage in einer Serie von „papiers collés“, experimentierten mit Buchstaben und bedruckten Tapeten, mischten Sand in ihre Ölfarben.
Dass die schöne Freiheit überschattet werden könnte, kam Georges Braque nicht in den Sinn. Er erwartete keinen Krieg, kümmerte sich nicht um die Weltlage und war äußerst überrascht, als er 1914 in Südfrankreich aus der Arbeit gerissen und einberufen wurde. Seine Lebensgefährtin Marcelle und Picasso begleiten ihn zum Zug. Es ist das Ende der Unbefangenheit, der Künstlerfreundschaft – und dieser Ausstellung. Man erfährt noch, dass Braque, der die Schlachten schwer verwundet überlebte, in Frankreich zum „Patron der Moderne“ aufstieg und nach seinem Tod 1963 ein Staatsbegräbnis bekam. Aber man würde gerne die ganze Geschichte erfahren und auch die zeichenhaften Vögel sehen, die der späte Georges Braque in den Himmel der Hoffnung aufsteigen ließ.
Was, wann und wo?
Die Ausstellung „Georges Braque – Erfinder des Kubismus“ im Düsseldorfer K20, Grabbeplatz, ist ab Samstag, 25. September, für das Publikum geöffnet und bis zum 23. Januar nächsten Jahres zu sehen. Am ersten Tag ist der Eintritt frei, sonst gibt es das Ticket für 12 Euro. Öffnungszeiten: Di.-Fr. 10 bis 18 Uhr, Sa./So. 11 bis 18 Uhr. Ein zweisprachiger, sehr anspruchsvoller Katalog ist im Prestel Verlag erschienen und kostet im Museum 38 Euro. www.kunstsammlung.de