Party vorbei: Claudia Schiffer erinnert im Düsseldorfer Kunstpalast an die 90er-Jahre
Ach, Darlings, was für eine Enttäuschung für die Glitzerbranche und ihre von der Pandemie frustrierten Paparazzi! Claudia Schiffer, Deutschlands einziges wahres Supermodel, kam nun doch nicht aus England nach Düsseldorf, um im Kunstpalast ihre Ausstellung „Captivate! Modefotografie der 90er“ mit diesem hellblonden Lächeln zu eröffnen. Maskenpflicht und Quarantäne-Blues könnten ja den ganzen Glamour verderben. Aber die inzwischen 51-jährige Beauty hat im Londoner Home-Office fleißig an dem Projekt gearbeitet. Und Museumschef Felix Krämer präsentiert dem Publikum nun eine Schau, die an die Zeit erinnert, als das Leben noch eine große Party war.
Abstands- und Hygieneregeln? So etwas gab es natürlich nicht im Getümmel der guten Laune gegen Ende des 20. Jahrhunderts. Nach dem Mauerfall feierte der Westen unbefangen den Erfolg eines übermütigen Kapitalismus. Schließlich musste man damals noch keine Hasstiraden aus den sogenannten Social Media ertragen. Instagram, der virtuelle Jahrmarkt von jedermanns Eitelkeiten, war noch nicht erfunden. Sogar jene Mannequins, die man Supermodels nannte, weil man ihre Namen kannte, hatten noch eine Art Rückzugsgebiet, ihr Privatleben.
Die Lady blieb makellos
In einer Düsseldorfer Disco, dem „Checkers“, war die 17-jährige Claudia Schiffer aus Rheinberg 1987 von einem Model-Agenten angesprochen worden. Der Typ machte keine leeren Versprechungen. Dank seiner Aufmerksamkeit zog die frische Blondine aus Germany nach Paris und gehörte bald zur Clique der internationalen Fashion-Stars. Und sie ist offenbar mit viel Fun und Disziplin unbeschadet durch die strapaziöse Karriere gekommen. In ihrer Videobotschaft für die Düsseldorfer sitzt sie makellos im Plisseekleid neben fein arrangierten Hortensien auf einer Marmorstufe und erklärt, sie wollte mit ikonischen Bildern „das typische 90er-Jahre-Gefühl vermitteln“. Und deshalb hätte sie nach „einer bestimmten Energie“ gesucht.
Und die gibt’s reichlich in der schick arrangierten Show, die ihren Titel „Captivate!“ (bestechen, bezaubern) zu Recht trägt. Gleich vorne strahlen und kuscheln fünf der berühmten Mädels in blitzweißen Shorts und bauchfreien roten Ringelpullis auf einem überlebensgroß plakatierten Foto, das Herb Ritts 1993 für die amerikanische Vogue schoss. Claudia liegt da vor Helena Christensen, Stephanie Seymour, Christy Turlington und Naomi Campbell. Sexy sehen sie aus, zugleich aber auf eine schlanke Weise prall und gesund. „Der Geist dieses Bildes ist euphorisch, er ist optimistisch“, stellte die legendäre Vogue-Chefredakteurin Anna Wintour fest. Von Schatten (noch) keine Spur.
Wo die Girls golden glänzen
Das durfte glänzen und funkeln wie auf einem Bild von Doug Ordway, der 14 Models in goldenen Versace-Kettenhemdkleidern 1995 backstage vor goldener Stoffwand posieren ließ. Carla Bruni, die spätere Gattin eines französischen Präsidenten, ist übrigens auch dabei. Der Fotograf Peter Lindbergh (1944-2019), der erst im letzten Jahr vom Kunstpalast gewürdigt wurde, bevorzugte eine andere Ästhetik. Er zeigte die Girls ernster, privater, am liebsten in Schwarz-Weiß. „Wild at heart“ stehen sie da mit Schlägermützen, Lederjacken und Stiefeln in einer verregneten Straße. Doch sie tragen dabei niedliche Miniröcke und bleiben doch immer die Prinzessinnen ihrer Epoche.
Mit einer himmelblauen Robe aus einer Versace-Modenschau 1994 erinnert Madame Claudia an einen ihrer „Lieblingsmomente“. Sie lief zu einem Song von Prince über den Catwalk – und sah, dass der Popstar selbst in der ersten Reihe saß. Wow! In dem Raum „My 90s“ zeigt die Kuratorin einige ihrer zahllosen Covers aus der eigenen Sammlung. In einer Vitrine liegt eine Birthday-Zeichnung von Karl Lagerfeld, der ihr 1993 „ein wunderbares neues Lebensjahr“ wünschte und die Lady in Claudia entdeckte. Auf Fotos aus dem zentralen Jahr 1995 trägt sie eine kinnlange Wellenfrisur und zeigt ausnahmsweise nicht die Zähne, sondern einen leicht hochmütigen Gesichtsausdruck, passend zur Chanel-Kollektion.
Publikum auf dem Laufsteg
Über einen Laufsteg mit Spiegeln, Lichtern und Videos, wo die modische Haltlosigkeit der meisten Besucher peinlich offenbar wird, geht es weiter zu einem wandhohen Bild, das man heute mit gemischten Gefühlen sieht. Richard Avedon fotografierte Nadja, Christy, Claudia, Cindy und Stephanie als Lolitas, die Söckchen in ihren Pumps tragen und mit sexualisierter Kindchen-Pose ihre Versace-Minis lupfen. So etwas löst heutzutage gleich säuerliche Moraldebatten aus. Wir haben die Unbefangenheit verloren und sehen mit nostalgischem Blick auf das bunte Spiel der Freiheit in den 90ern, als Claudia Schiffer in einer Fotostrecke von Ellen von Unwerth mit steifen Ärmchen und gigantischen Haaren als Barbie-Puppe („Real Barbie“) inszeniert wurde. Alle hatten ihren Spaß daran.
Statt Smartphones gab es damals noch die Sofortkamera Polaroid – ein ganzer Raum ist mit solchen Schnappschüssen gestaltet. Gleich dahinter reckt Amber Valletta in einem roten Bikini die Arme in die Höhe und lacht fröhlich in der Sonne zwischen den Beach-Boys von Rio de Janeiro. Shooting-Reisen rund um die Welt waren natürlich noch völlig normal, nur Sonderlinge hatten ökologische Bedenken. Was trotz aller Kritik gleich blieb, ist der Konsum. Dem kann man gleich im Museumsshop frönen, wo Vintage-Modemagazine für 30 Euro und T-Shirts aus Claudia Schiffers „Super Réal“ Kollektion für 100 Euro angeboten werden. Das 90er-Jahre-Gefühl hat seinen Preis.
Das Supermodel ist museumsreif
„Captivate! Modefotografie der 90er, kuratiert von Claudia Schiffer“: bis 9. Januar 2022 im Kunstpalast Düsseldorf, Ehrenhof 4-5. Geöffnet Di.-So. 11 bis 18 Uhr, Do. bis 21 Uhr. Der Eintrittspreis von 12 Euro gilt auch für die parallele Kunstausstellung „Barock Modern“ (Bericht vom 24. August). Zu „Captivate“ ist im Prestel-Verlag ein luxuriös gestalteter, in Leinen gebundener Katalog erschienen: 55 Euro, Museumsausgabe 48 Euro. Öffentliche Führungen für 5 Euro extra: Do. 18 Uhr und Sa. 14 Uhr. Anmeldung erforderlich. Informationen und Begleitprogramm unter www.kunstpalast.de