Wo die Power tanzt: Düsseldorf Festival eröffnet
Hadern nützt nichts: Die Düsseldorfer Altstadt ist zum Vergnügungspark für eine aus langweiligeren Gegenden anreisende Partyjugend geworden. Bürgerliche Düsseldorfer*innen haben kaum noch Lust auf ein Alt in der ungemütlich veränderten Umgebung. Doch in diesem September gibt es wieder einen herrlichen Grund, abends auf den Burgplatz zu gehen. Denn da steht das weiße Theaterzelt des Düsseldorf Festivals. Christiane Oxenfort und Andreas Dahmen eröffneten das Programm mit einem furiosen Rock-Tanztheater aus London, und der nicht zum Überschwang neigende Oberbürgermeister Stephan Keller stellte zur Begrüßung fest: „In der Altstadt ist Kultur möglich.“
Es war warm am Mittwochabend. Spätsommer. Keine Jacke nötig. Geimpfte, genesene und getestete Besucher tranken erst mal ein kühles Gläschen in der nostalgischen Bar und mischten die Aerosole mit gesponserten Fächern auf. Die Masken wurden mit leichtem Zögern vom Gesicht gezogen. Die optimistisch gestimmte Corona-Landesverordnung erlaubt dem GGG-Publikum plötzlich ein nahezu normales Erlebnis. Es war ein seltsames Gefühl, so dicht an dicht auf der Tribüne im Zelt zu sitzen, manche ließen den Atemschutz vorsichtshalber auf der Nase. Dabei wirbelte, stampfte und dampfte das unbändige Leben über die Bühne: „Political Mother Unplugged“ mit der Londoner Compagnie des Choreografen und Musikers Hofesh Shechter.
Wo die Geister rocken
Der gebürtige Israeli Shechter (46) reüssiert seit über zehn Jahren mit seiner „Politischen Mutter“, die er leicht verwandelt, neu aufgeheizt hat. In der Düsseldorfer Variation gibt es keine Band, der mitreißende Soundtrack rockt und röhrt aus der Retorte. Die Band erscheint in geisterhaft verzerrten Projektionen, immer wieder zerfallen Gesichter, Figuren, Instrumente zu optischem Staub. Die Bühne gehört allein den neun Tänzer*innen der Nachwuchstruppe „Shechter II“. Und die lassen die Luft erbeben.
Der Titel weist auf politische Bedeutung. Und ja, da geht es auch um das Geschrei des Tyrannen und ein irgendwie gequältes Volk. Einmal wird ein Revolver auf Köpfe gerichtet. Am Anfang markiert ein blonder Samurai eine Art Harakiri mit einem Schwert, auch später tragen die Jungs der Truppe ein paar rüstungsähnliche Teile. Aber Tanztheater, wissen wir ja seit Pina Bausch, muss nicht durchinterpretiert werden. Es lebt von der Eingebung, von Assoziationen, Emotionen, es gibt dem Unbewussten eine Gestalt – „über die Vernunft hinaus“, wie Shechter selbst sagt.
Sehr fern vom Schwanensee
Und so bewegen sich die jungen Menschen auf der Bühne sehr fern vom Schwanensee. Keine ätherische Ballerina, kein inniges Pas de Deux, keine großen Sprünge, keine Schwerelosigkeit. Man tanzt auf Strümpfen, ganz am Boden. Gleichermaßen kraftvoll wirken Frauen und Männer in weitgehend schlabbrig verknautschten Hemden und Hosen, mal blitzt ein rotes Sommerkleid. Haare flattern divers, nur einmal kurz entsteht eine Pärchen-Konstellation ohne erotische Spannung. Man ist zusammen und doch jede*r für sich. Man trippelt und trampelt, kriecht, hüpft und bebt. Man schlägt um sich, rottet sich zusammen, reckt die Arme in die Luft wie Ertrinkende und hält plötzlich inne wie mitten im Fall.
Dann verstummt der Heavy-Metal-Sound, der Himmel hängt für einen Moment voller Geigen, Gesten der Anmut werden angedeutet. Aber schon wieder wogt es weiter. Gegen Ende erscheint in der Projektion ein Satz und verschwimmt: „Where there is pressure there is folkdance“ – geklaut von einem Neonwörter-Objekt des dänischen Künstlers FOS. Wo es Zwang gibt, gibt’s also Volkstanz. Da ist was dran, wenn man an die Propaganda-Kunst totalitärer Staaten denkt. Aber zu viel denken soll man ja nicht im Tanztheater, sondern fühlen. Begeisterter Applaus!
Mehr vom Düsseldorf Festival
Bis zum 27.- September gibt es im Theaterzelt auf dem Burgplatz und in Kirchen der Altstadt ein vielfältiges, innovatives Programm mit Musik, Tanz, Theater und neuem Zirkus. Zutritt für Geimpfte, Genesene und frisch Getestete. Informationen und Tickets an der Kasse im Theaterzelt (ab 11 Uhr). Eine Übersicht über das komplette Programm gibt es hier bei Ddorf-aktuell.