Theater der Welt in Düsseldorf: Was der Sand erzählt – „Pistes“
Ganz allein steht die junge Frau da oben im Großen Haus: eine Afrikanerin in Jeans, unterwegs mit Rollkoffer auf einer vollkommen leeren Bühne, die nur mit Worten und inneren Bildern gefüllt wird. Anderthalb Stunden lang nimmt die aus dem Tschad stammende Schauspielerin Nanyadji Ka-gara das Publikum mit auf eine Reise durch das Leben und das Land Namibia, worüber die schwarze französische Dramatikerin Penda Diouf einen bewegenden autobiografischen Monolog geschrieben hat. Das Theater der Welt braucht in „Pistes“ nur eine einzige Stimme.
Eine Reisende, allein: Nanyadji Ka-gara spielt die Heldin in Panda Dioufs Einfrauenstück „Pistes“ beim Theater der Welt. Foto: Melanie Zanin
Sie spricht ein wunderbares, poetisch schwingendes Französisch: „Te souviens tu des dunes de Namibie?“ Erinnerst du dich an die Dünen von Namibia? Wo die modernen Touristen sich amüsieren, singen die Sandkörner ein Klagelied. „Nur das Gestein erinnert sich“ – an die Massaker, die hier geschahen, vor über 100 Jahren, als Deutschland noch Kolonialmacht in Südwestafrika war und nach der Niederschlagung eines Aufstands ab 1904 die meisten Angehörigen des Herero-Volks, etwa 60 000 Menschen, sowie etwa 10 000 Nama erschießen und verdursten ließ. Ein Völkermord, erst 2015 vom Auswärtigen Amt als solcher anerkannt.
Keine Chance auf Verdrängung
Tatsächlich hat es auch Konzentrationslager im Kolonialreich gegeben und obskure Rassenforschungen, für die Hunderte von Schädeln, die von Überlebenden gesäubert werden mussten, nach Berlin geschickt wurden. Das war ein Vorspiel nur, um zwischendurch mal mit Heinrich Heine zu sprechen. „Die Shoah hat ihre Wurzeln in Südwestafrika“, stellt Penda Diouf in ihrem Ein-Personen-Drama fest. Ja, das müssen wir uns anhören. Wir Deutschen mit unserer unseligen Geschichte. Der Zuschauersaal ist hell erleuchtet. Keine Chance auf Verdrängung.
Aber Penda Diouf hat keinen Vortrag geschrieben. Sie offenbart eine Menschengeschichte von heute, erzählt vom Schicksal ihrer Familie in Frankreich, dessen Gesellschaft nicht-weiße Mitbürger immer noch subtil ausgrenzt. Geboren in Dijon mit senegalesisch-ivorischen Wurzeln spürte die kleine Penda schon im Kindergarten, was es heißt, anders zu sein. Beim „Afrika“-Fest war sie die einzige, die nicht geschminkt und verkleidet wurde, als wäre sie von Natur aus eine Art Karnevalsfigur. Dabei wollte sie nur sein wie die anderen. Spätere Erfolge in der Leichtathletik vergrößerten nur das Gefühl der Einsamkeit.
Applaus: Nanyadji Ka-gara und ihr Regisseur Aristide Tarnagda verbeugen sich auf der Düsseldorfer Bühne. Foto: bikö
Auf der Spur von Opfern und Helden
Ein Sportler wurde allerdings zum Idol des Teenagers: Frankie Fredericks aus Namibia gewann in den 1990er-Jahren die ersten olympischen Medaillen für sein Land und lief sogar seinen starken amerikanischen Brüdern davon, mit
Stolz und mit Demut. Er begeisterte die junge Penda Diouf. Und inspirierte sie später auf ihrer großen Reise durch Namibia, die sie 2010 nach einer schweren Depression ganz alleine antrat, auf den Spuren („pistes“) von Opfern und Helden.
Die Schauspielerin Nanyadji Ka-gara wickelt ihre langen Zöpfe zum Dutt, holt ein Tuch aus dem Koffer und macht sich einen afrikanischen Kopfputz. Unter der sensiblen Regie von Aristide Tarnagda aus Burkina Faso braucht sie nicht viele Gesten, um uns mit auf die Reise zu nehmen. Sie spricht ganz ruhig, aber mit äußerster Eindringlichkeit. Blickt uns an. Erzählt nicht nur von vergangenen Gräueltaten, auch von Begegnungen, die ihr Vertrauen gaben, von den Tieren der Wildnis, die sie unter den Sternen traf. Manchmal erhebt sie die Stimme zu einem von innen klingenden Gesang, dem Gesang der Wüste. Das Schöne ist ganz nah am Schrecken.
Deutsche Übertitel werden dezent eingeblendet, aber auch mit mediokren Sprachkenntnissen muss man nicht viel hinsehen um zu verstehen, worum es geht in diesem aufwühlenden Text. Am Ende, als die einsame Frau da oben ein paar Teelichter anzündet und den Sand der Erinnerung, den sie in einem Bündel aus dem Koffer holt, durch die Finger rinnen lässt, entsteht so etwas wie Andacht. Und es gibt einen Applaus, der die herzliche Verbindung sucht. (www.theaterderwelt.de)