Göttliche Show: Schauspiel Düsseldorf feiert „Das Rheingold“ im Freien
Die Götter beliebten zu scherzen. Zur Open-Air-Premiere der neuen Show über „Das Rheingold“ am Düsseldorfer Schauspielhaus schickten sie Schauer und lausig kalte Winde über den Gründgens-Platz. Was soll’s? Irgendwie passten die Wolken zum dunklen wilden Drama, das Feridun Zaimoglu und Günter Senkel aus dem Schatz von Mythen und Oper erschaffen haben. Oberbürgermeister Stephan Keller ward zwar nach der Pause nicht mehr gesehen, aber die übrigen 200 Zuschauer trotzten den Elementen drei Stunden lang, hockten auf den knallharten Sitzstufen des „Raumlabor Berlin“ und genossen das von Roger Vontobel inszenierte Spektakel. Ein weia-waga-woge-wagnerhaftes Erlebnis, nur mit Rockmusik und cool.
„Wenn Sie nicht da sind, gibt es uns nicht“: Schauspielintendant Wilfried Schulz (rechts) begrüßt das Premierenpublikum. Hinten wartet die Band auf den Beginn, Foto: Birgit Kölgen
So ein leerer Platz will erst mal eingenommen werden, um die Ödnis zu besiegen. Also wird Dampf gemacht, die Bodenbrünnlein fließen, zwei Bildschirme ziehen schaurige Gesichter, und Bühnenbildner Ansgar Prüwer hat Flugzeugwrackteile als Abenteuerspielpodeste verteilt. Ähnlichkeiten mit postapokalyptischen Videogame-Szenarien sind durchaus beabsichtigt, man darf auch ans Kino denken und den „Herrn der Ringe“. Die flinken Skater, die als lebendiges Rheingold über den Asphalt sausen, erinnern zudem ans Musical vom „Starlight Express“. Und obwohl uns ein Programmheft voll tieferer Bedeutung geliefert wird, ist das Rheingold vor allem eins: Theaterfreude, live und leibhaftig.
Vor der Show: Tapfer suchen die Zuschauer ihren Platz auf den feucht-kalten Stufen des Open-Air-Theaters, Foto: Birgit Kölgen
Toll im Kopf und bös im Herzen
Die Story ist ganz offenherzig bei Wagner geklaut. Wie in der Oper wird einer der Nibelungen, der Arbeiterzwerg Alberich (Florian Lange als finster verschmierter Geselle), von den zickigen Rheintöchtern becirct und verhöhnt. Die Schickimicki-Ladys Woglinde, Wellgunde und Floßhilde, silbern glitzernd, herrlich singend (Florentine Kühne, Marie Jensen, Sarah Wilken), spreizen sich in ihren Paillettenkleidern und reizen den armseligen Verehrer, bis er der Liebe abschwört und dadurch fähig wird, das Rheingold aus den Tiefen des Stroms zu heben. Sein Bruder Mime (Kilian Ponert) schmiedet ihm einen Ring der Macht daraus und einen Tarnhelm, doch der verfluchte Schatz wird den Alberich verderben, er wird zum Tyrannen, „toll im Kopf und bös im Herzen“.
Sie locken, singen und stürzen Männer ins Verderben: die Rheintöchter (Florentine Kühne, Marie Jensen, Sarah Wilken), Foto: Thomas Rabsch.
Das Gold hat auf ewig seine Reinheit verloren, die Wasser werden braun. „Der Rhein ist verseucht“, ruft Erda und meint damit die ganze Welt. Manuela Alphons spielt diese Mutter Erde mit heiligem Zorn und Kriegsgesang, sie richtet die oberflächlichen Rheintöchter und damit alle Düsseldorfer Party-People: „Verdammt sei eure hohle Plauderei!“ Grandioser Auftritt!
Lebendiges Rheingold: Eine Gruppe junger Skater (am Ende ohne Rollschuhe) stellt den Schatz dar, Foto: Thomas Rabsch.
Das Theater wird zur Walhalla
Im Campmobil fahren derweil die Götter vor. Auf dem Dach steht hochblond die Chefin Fricka (Judith Bohle) in ihrer goldenen Robe. Auch der eitel frisierte Gatte Wotan (Florian Claudius Steffens) erwacht, denn das neue Eigenheim ist fertig: eine Burg für die Erhabenen, erschaffen von den Riesen Fasolt und Fafner (Thomas Wittmann, Andreas Grothgar). Das weiß schimmernde Schauspielhaus selbst dient als überwältigende Kulisse, wird zur Walhalla. Auf seinen Dächern stehen die groben Baumeister, um ihren Lohn einzufordern: die Jungfrau Freia (Cennet Rüya Voß), Hüterin des Zaubergartens, wo die Äpfel der ewigen Jugend wachsen, an denen die Götterfamilie unentwegt knabbert, dem Schönheitswahn frönend wie die hiesige Botox-Society.
Finsterer Geselle: Alberich (Florian Lange) entsagt der Liebe, um das Rheingold zu besitzen, Foto: Thomas Rabsch.
Die Angst vor dem Alter, dem Verfall, dem Tod ist vielleicht das mächtigste Gefühl in diesem Spiel und sowieso. Größer noch ist sie als die Gier nach dem Gold, das die Götter dem unglücklichen Alberich abluchsen, um es bei den tumben Riesen einzutauschen gegen ihre kostbare Beauty-Magierin Freia. Meister der Machenschaften ist der listige Loge, den André Kaczmarczyk zum Besten gibt – voll gemeiner Lust und mit schaurig-roten Kontaktlinsen. Man ist gebannt von den Ereignissen und mitgerissen von den Klängen und Gesängen, mit denen die Band das Drama vorwärtstreibt (Musik: Matthias Hermann und Keith O’Brien). Gegen Ende zieht sich die Moral von der Geschicht’ ein wenig – kleine Kürzungen würden der Sache nicht schaden. Aber in einer lauen Frühsommernacht denkt man vielleicht anders darüber.
Der listige Loge ist der Chefunterhändler der Götter: André Kaczmarczyk in einer Paraderolle, Foto: Thomas Rabsch.
Es sind noch Plätze frei
„Das Rheingold. Eine andere Geschichte“ von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel wird am 28., 29., 30. Mai sowie am 3., 4., 5. und 6. Juni auf dem Gründgens-Platz gespielt (jeweils 19 bis 22 Uhr). Besuch bisher nur möglich mit negativem Corona-Test und FFP2-Maske. Aufgrund fallenden Inzidenzwerte und der neuen Coronaschutzverordnung ist jedoch für alle bereits ausverkauften Vorstellungen ein zusätzliches Kartenkontingent freigegeben worden. Einfach mal versuchen unter Tel. 0211 / 369911 oder online: www.dhaus.de