Mode ist Morgen, niemals gestern: Pierre Cardin, der Fashion Futurist ist tot
Seine Mode kommt ins Museum aber niemals aus der Mode: Noch zu Jahresbeginn konnte man Pierre Cardins avantgardistischen Entwürfe in Düsseldorf bewundern und sich dabei verblüfft fragen, ob der Blick in die Vergangenheit der Modeschöpfung der 1960-er und 1970-er Jahre nicht doch eine Vision zukünftiger Trends darstellt: Spacige, kastenförmige Modelle aus Vinyl und Plastik, Kopfbedeckungen wie Raumfahrer-Helme. Der Romantik eine Schleife verlieh Pierre Cardin höchstens in seiner Abendmode. Nun ist er im Alter von 98 Jahren in Paris gestorben, der in Italien geborene französische „Fashion Futurist“, so der Titel der Moden-Schau im Kunstpalast.
Pierre Cardin war seiner Zeit immer voraus. Keiner hat länger Mode gemacht als er. Bereits den 50-er Jahren half er Christian Dior bei der Entwicklung des legendären New Look, bevor er seinen eigenen entwickelte. Seine Mode war schon zu seinen Lebzeiten museumsreif – und machte Schule. Auch in der Düsseldorfer Akademie Mode und Design gehörte ein Projekt mit der Marke Pierre Cardin zum Lehrplan. Es lohnte sich allemal, den Meister der Mode und ihrer Vermarktung zu studieren.
Der Modeschöpfer verstand es frühzeitig wie kein Anderer, vom elitären Thron der Haute Couture herab seine Talente bis in die Niederungen der weltweiten Modelandschaft zu verstreuen und zu vermarkten. Als Geber und Gewinner von Lizenzen war er dabei sogar seinem erst kürzlich verstorbenen Kollegen Karl Lagerfeld überlegen.
Als vielfach ausgezeichneter Vertreter seiner glamourösen Branche war Cardin auch der erste Couturier, der 1966 in der Samt- und Seidenstadt Krefeld mit dem „Goldenen Spinnrad“ ausgezeichnet wurde. Zum 50-jährigen des Deutschen Mode-Oscars zeigte das Haus der Seidenkultur am Niederrhein noch einmal eine Reihe seiner schönsten Entwürfe, die immer noch so frisch und futuristisch wirkten wie zu ihrer Entstehungszeit.
Bereits Anfang des 21. Jahrhunderts war Cardin Herr über 800 Firmen und nicht weniger Lizenzen. Daneben kaufte er sich mal eben das Pariser Nobel-Restaurant Maxim und eröffnete Filialen in mehreren Weltstädten. Sein Motto: „Ich demokratisiere, die anderen banalisieren.“ Was von Cardin sollte sich praktisch Jeder und Jede leisten können, nicht nur Jackie Kennedy oder die Beatles.
Wenn in den 90-er Jahren bei Strauss in der Düsseldorfer Altstadt reduzierte Restposten mit dem begehrten französischen Logo im Angebot waren, eilten die Dandys der damaligen Künstler- und Gastro-Szene in den Laden um die Ecke. Ziel waren es, einen der scharf geschnittenen „Pitter Kardeng“-Anzüge zum Schnäppchenpreis zu ergattern. Darin wollte man eine gute Figur beim Schaulaufen in der Modestadt am Rhein machen.
Pierre Cardin entwarf bereits in den 50-er Jahren in Paris seine eigene markante Männermode. Noch ein halbes Jahrhundert später entlockten seine filmreifen Entwürfe während einer Retropektive auf der wichtigen Männermodemesse Pitti Uomo in Florenz der internationalen Fachpresse wehmütige Seufzer und großen Applaus. Wo der Fashion Futurist auftrat, wurde er gefeiert.
Strauss gibt es nicht mehr, die Marke Pierre Cardin lebt. Nach wie vor in allen Preislagen. Im Online Shop von Breuninger bekommt man eine Jeans mit dem hohen eingerollten C bereits für unter 100 Euro und Unterwäsche mit dem begehrten Logo bei Lidl. In einer der letzten Woolworth-Filialen am Dreieck in Derendorf liegt billige Bettwäsche mit dem Schriftzug auf den Labelfarben schwarz-rot im Regal, und dünne Socken der vermeintlichen Nobelmarke stapeln sich im Grabbelkorb. Wahrscheinlich Made in China.
Im Reich der Mitte war Pierre Cardin seinerzeit auch als Erster seiner Zunft angekommen, 1978 auf der Chinesischen Mauer, 1979 inszenierte er als erster westlicher Designer eine Modenschau in Peking. 2009 verkaufte er seine Markenrechte an zwei chinesische Unternehmen, aber nur für den chinesischen Markt, die weltweiten behielt er – bis zuletzt. Als einziger seiner Luxus-Branche war er immer sein eigener Herr. Er habe nie Schulden gemacht, betonte er. Als er 2017 einmal gefragt wurde, was Mode ist, antwortete der damals 95-jährige: „Morgen. Niemals gestern.“