Düsseldorf: Beratungsstellen veröffentlichen Bilanz über Rechte Gewalttaten in NRW
Die Beratungsstellen für Betroffene extrem rechter, rassistischer, antisemitischer und anderer menschenfeindlich motivierter (kurz: rechter) Gewalt, Opferberatung Rheinland (OBR) und BackUp, haben in ihrer Jahresstatistik dargelegt, dass im vergangenen Jahr mehr Menschen von rechter Gewalt betroffen waren. Sie veröffentlichten zum zweiten Mal ein unabhängiges Monitoring rechter Gewalt.
Mindestens 65 Betroffene sind weiblich (ca. 30 Prozent) und 154 männlich (70 Prozent)
Weniger Taten aber mehr Opfer
2019 registrierten die Bewertungsstellen gegenüber dem Vorjahr eine Zunahme der direkt von rechter Gewalt betroffenen Menschen, bei gleichzeitiger Abnahme der Gewalttaten. Das bedeutet, das vermehrt Menschen angegriffen, verletzt oder massiv bedroht wurden, die zu zweit oder in größeren Gruppen unterwegs waren. 14 Prozent der Betroffenen waren unter 18 Jahre alt.
Kinder sind immer häufiger das Ziel rechter und rassistischer Gewalt
Motiv Rassismus
Bei den Tatmotiven liegt Rassismus unverändert an oberster Stelle. 67 Prozent aller 2019 registrierten Gewalttaten waren rassistisch motiviert, mindestens 239 Menschen wurden wegen ihrer vermeintlichen Herkunft oder Religionszugehörigkeit angegriffen und zum Teil erheblich verletzt. Dabei zählten zu den Betroffenen Menschen, die seit Jahrzehnten ihren Lebensmittelpunkt in NRW haben oder in Deutschland geboren wurden: Schwarze Menschen, Muslim*innen, Rom*nija und Geflüchtete.
Beide Beratungsstellen erfahren bei ihrer Arbeit seit Jahren vom großen Ausmaß rassistischer Gewalt, die betroffener Menschen und Gruppen zunehmend verunsichert. Die Opferberatung Rheinland (OBR) und BackUp unterstützen Angegriffene und Geschädigte: „In NRW könnte die Einrichtung einer oder eines Landesbeauftragten gegen Rassismus eine wichtige Maßnahme sein, um die Notwendigkeit gesamtgesellschaftlicher Solidarität in Politik und Öffentlichkeit bewusster zu machen“, so Birgit Rheims von der OBR.
Das häufigste Tatmotiv ist Rassismus. Es ist davon auszugehen, dass es mehr Angriffe gab, aber die Dunkelziffer groß ist
"Politische Gegner"
Angriffe auf sogenannte „politische Gegner*innen“ haben 2019 gegenüber den Vorjahren erneut zugenommen (2019: 46, 2018: 43, 2017: 34). Rund 23 Prozent aller 2019 registrierten Gewalttaten richteten sich gegen Menschen, die sich politisch und zivilgesellschaftlich gegen Rechtsextremismus und Rassismus einsetzen oder für Demokratie, Pluralität und Geflüchtete engagierten.
Im Gegensatz zu rassistisch motivierten Angriffen handelt es sich bei den Täter*innen häufig um Mitglieder und Sympathisant*innen der mehr oder weniger organisierten rechten Szene in NRW. Überdurchschnittlich viele dieser Angriffe gegen politische Gegner*innen fanden in den Großstädten NRWs statt.
Im Dezember wurde der ehemalige Sprecher des Bündnisses „Essen stellt sich quer“ nach einem Treffen direkt vor den Räumen des Bündnisses angegriffen: Ein jüngerer vermummter Mann stürmte auf den 63-Jährigen zu und schlug ihm unvermittelt mit geballter Faust ins Gesicht. Das Bündnis engagiert sich gegen eine rechte sogenannte „Bürgerwehr“ im Stadtteil Steele. Bereits im August war es zu einem Angriff auf ein junges Paar gekommen, das zufällig in dem Szenelokal der rechten Gruppierung war.
Zielgruppen rechter Gewalt
Angriffe in Städten
In ihrer Jahresbilanz für 2019 dokumentieren der OBR und BackUp auch versuchte Tötungen (6 Prozent der Angriffe), einfache und gefährliche Körperverletzungen (79 Prozent), Brandstiftungen (knapp 3 Prozent) sowie einige Bedrohungen und Sachbeschädigungen (9 Prozent), die aufgrund ihrer massiven Folgen für die Geschädigten als Gewalttat gewertet werden.
Die meisten Angriffe sind mit 74 Prozent in Großstädten zu verorten. Allen voran Köln (16), Düsseldorf (16), Dortmund (15), Essen (12), Duisburg (12) und Bottrop (10).
Eine besonders erschreckende Gewalttat ereignete sich zum Jahreswechsel 2018/2019 in Bottrop und Essen. Dort was ein Mann aus rassistischen Motiven mehrmals gezielt mit seinem Auto in feiernde Menschengruppen gefahren und hatte dabei 60 Menschen getroffen. In zwölf Fällen musste er sich vor dem Landgericht Essen wegen Mordversuchs verantworten, wurde aber wegen psychischer Erkrankung für schuldunfähig eingestuft.
Jahresbericht und Monitoring von OBR und BackUp
Die Opferberatung Rheinland (OBR) und BackUp stehen für ein unabhängiges Monitoring, das auf gemeinsamen Qualitätsstandards basiert. Die Erfassungskriterien orientieren sich an dem bundeseinheitlichen polizeilichen Definitionssystem der „politisch motivierten Kriminalität rechts“ (PMK-rechts) und berücksichtigen die Tatmotive: Rassismus (darunter antimuslimischer Rassismus, antischwarzer Rassismus, Antiziganismus/Antiromaismus, Gewalt gegen Geflüchtete), Antisemitismus, LSBTIQ*feindliche Gewalt, Sozialdarwinismus, Ableismus, Gewalt gegen Nicht-Rechte oder Alternative sowie Gewalt gegen politische Gegner*innen (darunter z. B. auch gegen Journalist*innen und politische Verantwortungsträger*innen).
Den Beratungsstellen sind überdies viele „Verdachtsfälle“ bekannt geworden, die aufgrund unzureichender Informationen zum Tathergang oder zur Tatmotivation aber nicht im Monitoring aufgeführt werden können.
Grafiken: OBR und BackUp