Düsseldorf führt die Armutsdebatte im Klartext: Experten-Streit bei SKM
Im Rahmen der Kampagne „Der Mensch am Rand ist unsere Mitte“ hatten der Katholische Verband für soziale Dienste in Deutschland (SKM) und der Sozialdienst katholischer Frauen und Männer Düsseldorf (SKFM) am Freitag (31.3.) zum Fachtag Armut nach Düsseldorf eingeladen. Die rund 100 Teilnehmer erwartete eine spannende Debatte zwischen Caritas-Generalsekretär Georg Cremer und Armutsforscher Christoph Butterwegge, die sehr unterschiedliche Meinungen vertraten, wer wirklich arm ist und wie die Gesellschaft dies sinnvoll bekämpfen sollte.
Der SKM betrachtet das Thema Armut mit verschiedenen Veranstaltungen
Eingestimmt wurden die Teilnehmer durch Filmsequenzen der saarländischen Armutskonferenz, die Betroffene mit Kurzinterviews vorstellten und damit das breite Spektrum der Armut beschrieben. In Vorträgen von jeweils 40 Minuten erläuterten Christoph Butterwegge und Georg Cremer ihre Sicht auf das Thema Armut.
Befähigung und Solidarität
Georg Cremer hat 2016 sein Buch „Armut in Deutschland – Wer ist arm? Was läuft schief? Wie können wir handeln?“ veröffentlicht. Allein die Frage wer in Deutschland wirklich arm ist, ist seiner Meinung nach auf verschiedene Arten zu berechnen und dürfe nicht ein auf die Zahl derer bezogen werden, die Hilfen und Transferleistungen in Anspruch nehmen. Wenn im Armuts- und Reichtumsbericht einen Satz wie:“ Noch nie war die Armut so hoch wie heute“ steht, kritisiert er das in den Statistiken auch Menschen mit geringem Einkommen wie Studenten und Azubis hinzugezählt werden, der Einkommen nur vorübergehend niedrig sei.
Caritas-Generalsekretär Georg Cremer
Cremer sieht Arbeitslose, Alleinerziehende, Menschen mit geringer Qualifikation, Kinderreiche und Menschen mit Migrationshintergrund als Risikogruppe, die von Armut bedroht sind. Er fordert ein System der finanziellen Sicherung, aber auch die Hilfestellung zur Potentialentfaltung, wo dies möglich ist. Mit einer Mischung an Befähigung der Menschen und solidarischem Handeln der Gesellschaft mit finanziellen Mitteln müsse in vielen kleinen Schritten langfristig eine Veränderung herbeigeführt werden.
Bildung und Umverteilung
Auch Butterwegge hat eine Veröffentlichung „Hartz IV und die Folgen: Auf dem Weg in eine andere Republik?“ publiziert und versucht darin seine Analyse der Situation. Er kritisierte Cremer schon für seine Sichtweise der relativen Armut und des Armutsrisikos. Denn er würde sich nicht nur um die finanziellen Verhältnisse der Menschen handeln, sondern das fehlende Geld stürze viele in Krisen und Ausgrenzen. Arme in den Slums von Kalkutta wurden sich solidarisieren und gemeinsam ihre Situation ertragen. In Deutschland führe Armut zu einer Entsolidarisierung und Ausgrenzung. Wohnungslose, Gefängnisinsassen, Flüchtlinge, Pflegebedürftige und behinderte Menschen würden in Deutschland nicht in den Armutsstatistiken erfasst, obwohl sie sehr wohl dazu zu rechnen seien. Die von der Politik und den Verbänden verwendeten zahlen würden die Situation verharmlosen. Die Lösung des Problems sieht Butterwegge auch in Qualifikation, aber zusätzlich sei eine Umverteilung des Reichtums erforderlich.
Ob die Einführung von Harzt IV die Armutssituation in Deutschland beeinflusst hat, sahen beide Redner konträr. Während Cremer einen Anstieg der Armen bereits vor der Einführung von Hartz IV im Jahr 2005 verzeichnet, beschreibt Butterwegge die Verarmung der Menschen mit Hartz-IV-Regelsatz.
Ein voller Saal bei der Armutsdebatte des SKM
Betroffene diskutierten mit
SKM-Bundesvorsitzender Ludger Urbic moderierte nach den Vorträgen die Diskussion mit Frank Johannes Hensel (Caritasdirektor im Erzbistum Köln und ehemalige Vorsitzenden der nationalen Armutskonferenz), Dominikanerpater Wolfgang Sieffert (Vorsitzender der Altstadt Armenküche) und Erhard Beckers (Mitglied der Nationalen Armutskonferenz). Teilnehmer aus dem Plenum mahnten die Herren auf dem Podium nicht nur zu reden und dabei die reale Situation der von Armut betroffenen zu übersehen. Wer mit der Grundsicherung nicht auskäme und nur durch Erfindungsreichtum das tägliche Überleben sichern könne, kämpfe um seine Würde. Theoretische Wortgefechte über den Armutsbegriff seien da wenig hilfreich. In der Verfassung sei die Würde des Menschen als Grundrecht verankert, aber die Realität sähe anders aus.
SKM
Der 1912 gegründete SKM-Bundesverband unterstützt mit seinen 125 Mitgliedsvereinen Menschen in materieller und psychosozialer Not. Die Hilfe richtet sich insbesondere an gefährdete Jugendliche, wohnungslos und straffällig gewordene Menschen mit ihren Angehörigen. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Unterstützung und ggf. rechtlichen Vertretung von Menschen, die ihre Anliegen nicht selbstständig erledigen können.