Justiz-Skandal: Vier Jahre Warten auf Millionenprozess
Der nordrhein-westfälische Justizminister Thomas Kutschaty, SPD, lässt sich feiern: 32 neue Stellen für Richter und Staatsanwälte würden jetzt geschaffen, verkündete der Minister. NRW rüste im Kampf gegen Wirtschaftskriminelle auf. Besonders die Behörden in Düsseldorf und Köln sollen verstärkt werden. Tatsächlich sieht der Justizalltag in NRW ganz anders aus. Ein Düsseldorfer Millionenprozess muss seit vier Jahren auf einen Verhandlungstermin warten.
Die Situation ist absurd. Der Unternehmer Dieter R. soll bundesdeutsche Krankenkassen um knapp zwei Millionen Euro betrogen haben. Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf hat fleißig ermittelt und ihn auch angeklagt. Das war vor gut vier Jahren. Doch seitdem ist das Landgericht Düsseldorf nicht in der Lage, dem Unternehmer den Prozess zu machen. Ähnlichen Schlendrian gibt es landesweit. Verfahren schlummern vor sich hin, weil andere vorgezogen werden müssen. Nämlich die, bei denen der Angeklagte in Untersuchungshaft sitzt. Wenn nicht, wird auf die lange Bank geschoben. „Solche Zustände wundern mich nicht!“, sagt Christian Friehoff. Und der nordrhein-westfälische Landes-Vorsitzende des Deutschen Richterbundes ergänzt ungerührt: „wir haben seit vielen Jahren eine dauerhafte Überbelastung der Justiz, dann passiert sowas".
Verärgerte Richter
Es war Brigitte Koppenhöfer, bekannt durch ihre Leitung des spektakulären Mannesmann-Prozesses am Landgericht Düsseldorf, die bei ihrer Verabschiedung verärgert stöhnte und damit exemplarisch die Strapazen der Gerichte kritisierte: „Es ist bedauerlich, dass ein noch ausstehender Strafprozess womöglich erst beginnt, wenn der Angeklagte schon das Bundesverdienstkreuz bekommen hat!“ Gemeint war Dieter R. – einst mit Lob überhäuft. Er bekam den „Vision Award 2008“, einen begehrten Preis für „verantwortungsbewusste Unternehmer“ überreicht. Dann wurde der ehemalige Chef eines Langenfelder Dienstleistungsunternehmen auch von Hanns-Dietrich Genscher, dem Ehrenvorsitzenden der FDP und Ex-Außenminister gepriesen: „Mir imponiert der Mann“, sagte Genscher über R. „einfach, wie er an seine unternehmerische Verantwortung herangeht“. Der Langenfelder sei einer, „der Hoffnung macht“.
Es folgten Einladungen der Industrie- und Handelskammer Aachen und Frankfurt. Hier und bei internationalen Seminaren konnte R., oft angekündigt als „sozialer Unternehmer“, vor erlauchtem Publikum über seine „Unternehmensverantwortung“ und andere seiner Qualitäten berichten. Doch zu dieser Zeit waren dem gefeierten Mann bereits Finanz- und Zollfahnder auf der Spur. Die erste Strafanzeige gegen den Gründer der Stiftung „Arbeitnehmer in Not“ rief im September 2007 die Fahnder des Finanzamtes in Bayreuth auf den Plan. Kurze Zeit später wurden auch die Ermittler im Hauptzollamt Düsseldorf aktiv. Sie waren erstaunt über das, was der Unternehmer von sich selbst behauptet: „Nur weil es mich gibt, kann es anderen Menschen bessergehen!“
Knapp zwei Millionen Euro an Sozialbeiträgen nicht gezahlt
Denen verschaffe er Arbeitsplätze, so R.; er versicherte zudem: „Wir behandeln unsere Kunden, Mitarbeiter und Gemeinschaften mit Ehrlichkeit, Offenheit, Respekt und Fairness. Im Geschäftsleben messen wir uns an den höchsten ethischen Grundsätzen“. Ganz andere Maßstäbe legte Staatsanwältin Daniela Zweigle an. Sie überließ das Ermittlungsergebnis in zwei Anklageschriften dem Landgericht Düsseldorf. R. soll sich dafür verantworten, dass er der Anklage zufolge bundesdeutsche Krankenkassen in 499 Fällen um insgesamt 1 899 323, 34 Euro an Sozialbeiträgen von Beschäftigten geprellt hat. Seine Verteidigerin Caroline Boxleitner hält dagegen: „Herr R. hat Sub-Unternehmer beschäftigt und die haben andere Leute arbeiten lassen." Das ist aber meinem Mandanten nicht zuzurechnen. Seine Unschuld werde ich beweisen!“ Nur: Wann soll das sein?
Schlendrian hinter der glatten Justiz-Fassade.
Eine Klärung ist knifflig – selbst und gerade für den Landgerichtspräsidenten. „Es bedarf“, so versuchte sich kürzlich Bernd Scheiff um eine deutliche Antwort herum zu drücken „zur Herbeiführung einer nachhaltigen Änderung grundlegender struktureller Maßnahmen.“ Im Klartext: Es herrscht Wirr-Warr. Das „erst mit der Jahresgeschäftsverteilung für das Jahr 2015“ beseitigt werden soll.
Verzögerte Terminierungen in Strafsachen sind (nicht nur) aus Sicht der Staatsanwaltschaft problematisch. Durch den Zeitablauf verschlechtert sich oft die Beweislage, weil das Erinnerungsvermögen von Zeugen nachlässt. Eine besonders lange Verfahrensdauer kann auch dazu führen, dass ein Teil der Strafe als vollstreckt zu gelten hat. Mit der Folge, dass der Täter nicht mehr die eigentlich tat- und schuldangemessene Strafe verbüßen muss.
Inzwischen hat der Landgerichtspräsident reagiert. Es werde in diesem Jahr „eine ganze Reihe struktureller Änderungen“ geben. Im Strafbereich werden zwei zusätzliche Wirtschaftsstrafkammern das Landgericht Düsseldorf verstärken. Sechs weitere Richter sollen bei den Wirtschaftsstrafkammern eingesetzt werden. Damit, so Bernd Scheiff, wird es in der Landeshauptstadt des bevölkerungsreichsten Bundeslandes vier große Wirtschaftsstrafkammern geben, die Straftaten nach dem Aktiengesetz und nach dem GmbH-Gesetz sowie Straftaten im Bereich des Wirtschaftslebens verhandeln.
Wirtschaftsstraftaten werden immer komplexer
Voraussetzung ist, dass die angeklagten Taten von besonderer Bedeutung sind oder eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als vier Jahren erwartet wird. Notwendig geworden ist diese Maßnahme, weil die Wirtschaftsstraftaten nicht nur zugenommen haben, sondern auch immer komplexer geworden sind. In Kapitalanlagesachen werden nicht selten bis zu zehn Täter angeklagt.
Die Anzahl der geschädigten Anleger, so räumt der Präsident ein, kann in die hunderte oder tausende gehen bei Schäden von zig Millionen Euro. Aufzuklären sind häufig Schneeballsysteme, in denen Treuhandgesellschaften Gelder von Zypern über die Cayman Islands bis nach Hongkong transferieren.
Eigene Kammer für Berufungsverfahren
Im Strafbereich wird zudem eine dritte kleine Strafkammer beim Landgericht Düsseldorf für die Berufungen gegen die Urteile der Amtsgerichte eingerichtet. Auch damit sollen die großen Strafkammern entlastet werden, die in der Vergangenheit zusätzlich zu den erstinstanzlichen Strafverfahren eine Vielzahl von Berufungen verhandelt haben. Insgesamt wird es nach diesen Neuerungen am Landgericht Düsseldorf elf große und drei kleine Strafkammern mit insgesamt 36 Richtern geben.
Auch im Zivilbereich, so der Präsident, stelle sich das Landgericht Düsseldorf „den Anforderungen des modernen Rechtslebens“. Jetzt, zu Jahresbeginn, werden Spezialkammern für Maklerrecht, Erbstreitigkeiten und Insolvenz- und Gläubigeranfechtungen neu eingerichtet. Alle Spezialkammern werden nunmehr auch für die Berufungen gegen die Urteile der Amtsgerichte in den jeweiligen Spezialgebieten zuständig sein. „Mit diesen Strukturänderungen wollen wir unsere vielfältigen und verantwortungsvollen Aufgaben noch besser und zügiger erfüllen“, verkündet Präsident Bernd Scheiff.
Noch besser? Noch zügiger? Das ist die beschönigende Steigerung von gut und zügig. Einem normalen Zustand also. Dass wenigstens der nun endlich kommen soll, begrüßt die Staatsanwaltschaft Düsseldorf. „Wir freuen uns sehr“, so sagt es Behördensprecher Ralf Möllmann „über die erheblichen Verbesserungen“. (pbd)
Foto: Justizministerium