Seelenkunst im K21 Düsseldorf: Bracha Lichtenberg Ettinger
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Die Bilder in der zweiten Etage des K21 sind klein, die Motive unkenntlich, die Farben und Figuren verwischt. Ein zarter Eindruck ergibt sich, flüchtig, so ganz anders als im Basement, wo die monumentalen Fotoarbeiten von Katharina Sieverding die Betrachter auf den ersten Blick betören. Aber die Bedeutung des optisch dezenten Werks der israelischen Malerin und Psychoanalytikerin Bracha Lichtenberg Ettinger hat eine solche Wucht, dass man sich fürchtet, eine unsensible Reaktion zu zeigen.
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Das K21 zeigt die erste deutsche Einzelausstellung der Israelin Bracha Lichtenberg Ettinger, kurz BRACHA (Mitte). Sie wird flankiert von den Kuratoren Karen Archey und Kolja Reichert. Foto: bikö
Es geht, wie Kurator Kolja Reichert sagt, um „Verlust, Tod und Gewalt“. Zugleich aber auch, ergänzt die Amerikanerin Karen Archey, neue Leiterin der Kuratorischen Abteilung, um „healing, spirituality“, Heilung, Spiritualität. Die Künstlerin nennt sich in Israel nur BRACHA, was im Hebräischen Segen und Lobpreis bedeutet. Ihre Großmutter, die in Auschwitz starb, trug diesen Vornamen. Die meisten Verwandten wurden Opfer des Holocaust, weshalb Bracha den Täterstaat Deutschland lange mied. Ihre Eltern konnten einst aus Polen nach Palästina fliehen und eine neue Heimat in Tel Aviv finden, wo die Tochter 1948 zur Welt kam, wenige Wochen vor der offiziellen Gründung des Staates Israel.
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Nachdenken, nachfühlen: Zwei von drei Räumen der Bracha-Ausstellung sind abgedunkelt. Foto: bikö
Mit Engelsgeduld
Im März wird Bracha 77 Jahre alt. Doch sie sieht nicht aus wie eine alte Frau, eher wie eine der Zeit trotzende Fee mit sehr feinen Gliedern, glattem Antlitz und langem Haar. Die Schönheit ist ihr wichtig. Auch ihre Bilder sind schön. Sie bedeckt das Schreckliche unter Schichten von Farbe, die sie in monate-, manchmal jahrelangen Prozessen aufträgt. Die wütende Welt braucht Engelsgeduld. Deshalb beschwört Bracha einen „Angel of Carriance“, das ist ein Wortgemisch aus „care“ (sorgen) und „carry“ (tragen). Die Kuratoren haben „carriance“ mit „Fürtragen“ übersetzt. Sogar der Katalog heißt so: „Engel des Fürtragens“.
Das klingt verschroben. Leicht macht es Bracha weder dem Publikum noch sich selbst. Die tiefen Gefühle interessieren sie, die unterbewussten Schwingungen, weshalb sie Klinische Psychologie studierte und als Professorin zu Themen wie Psychoanalyse und Ästhetik forschte und lehrte. Als Künstlerin ist sie Autodidaktin. Ihre frühesten Werke entstanden vor vier Jahrzehnten in Paris. Es waren abstrakte Zeichnungen mit suchenden Linien und eine selbst entwickelte Mischform: Sie legte Abbildungen in den Kopierer, zog das Papier vor Abschluss des Kopierens heraus und übermalte es mit Tusche und Asche.
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Verschwommene Figuren, die Ahnung eines Gesichts: zwei Bilder aus der Serie “Eurydice”. Foto: bikö
Für die Geister
Aus Schwarz und Grau wuchsen ihre Farben: Abstufungen von Violett und Rot. Sie malt heute in Öl, „sehr langsam“. Es sind immer wieder die gleichen Motive, die sie verarbeitet: alte Familienbilder und Zeugnisse des Grauens. Grundlage der Serie „Eurydice“ ist eine Fotografie, die 1942 in der Ukraine entstand und eine Gruppe entkleideter Frauen und Kinder zeigt, die im nächsten Moment von SS-Truppen erschossen werden.
Ein Horror. Doch Bracha deckt die Szene mit zärtlicher Geste zu. Die Personen verflüssigen sich zu geisterhaften Schwingungen, nur hier und da erkennt man eine Kontur, ein verschwommenes Gesicht, ein paar Augen. „Nie sind die Abgebildeten der Figuration ausgeliefert“, sagt Kurator Reichert. Aber sie verschwinden auch nicht vollkommen in der Abstraktion. Man sucht sie in abgedunkelten Räumen zwischen den Pinselstrichen und ahnt ihre Präsenz auch in den Notizbüchern voller Skizzen, die auf glänzendem Stoff in Vitrinen liegen. Vielleicht ist der Engel ja vorbeigekommen, und die Welt wird ein bisschen besser durch Brachas Kunst.
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In Notizbüchern der letzten Jahre reagierte die Künstlerin Bracha auf den Terror der Hamas und den Gaza-Krieg. Foto: bikö
Was, wann und wo?
„Bracha Lichtenberg Ettinger“: bis 31. August in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, K21, Ständehausstr. 1, zweite Etage. Di.-So. 11 bis 18 Uhr. Eintritt: 14 Euro. Der Katalog „Engel des Fürtragens“ ist im Distanz Verlag erscheinen und enthält auch einen Essay der Künstlerin: 29,90 Euro. www.kunstsammlung.de