Spur des Sprayers: Naegeli im Bilker Bunker Düsseldorf
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Ein Sprayer? Darunter stellt man sich einen krassen Typen vor, der Wände und Waggons mit Graffitis überzieht. Bunt, heftig, unverschämt. Aber so ist Harald Naegeli nie gewesen. Der „Sprayer von Zürich“, von der Justiz verfolgt, von den Fans bewundert, ist ein feiner Schweizer Herr (heute 85), der beschloss, seine Skizzen auf dem Beton der Städte zu hinterlassen, „eine Beseligung“, wie er sagte, gegen die Leblosigkeit. Er ging dafür in den Knast. Und ließ sich nicht beirren. Jetzt feiert der Bilker Bunker in seiner langjährigen Wahlheimat Düsseldorf Naegelis Zeichnungen.
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Ja, es ist ein echter Naegeli: Wandzeichnung am Durchgang des Bilker Bunkers an der Aachener Straße. Foto: bikö
Seht nur hin, das schwungvoll gesprühte Auge am Durchgang des Bunkers ist nicht irgendein Gekrakel, sondern ein Original-Naegeli! Genau wie der Flamingo im Hof, der mitsamt einem Mauerstück von einer abgerissenen Tankstelle gerettet und hier vorübergehend aufgestellt werden konnte. Ein ungewöhnlicher Vorgang, denn die meisten Werke Naegelis sind so schnell vom Erdboden verschwunden, wie sie entstanden. In seiner Heimatstadt Zürich, wo er mindestens 6000 Motive mit schwarzer Farbe versprayte, blieben lediglich 60 bis 70 erhalten. Alles andere wurde sauber abgeschrubbt und übergemalt.
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Flüchtige Erscheinungen: Spray-Werke von Harald Naegeli verschwanden oft schnell wieder. Foto: bikö
Magische Strahlung
Ach, er war so zornig auf seine eidgenössischen Mitbürger und ihren Biedersinn, der Harald Naegeli, als er 1983 quasi Asyl in Düsseldorf suchte – nachdem man ihn auf Kaution aus der Lübecker Auslieferungshaft entlassen hatte. Schon 1981 war er wegen wiederholter Sachbeschädigung in Zürich zu neun Monaten Gefängnis verurteilt worden. Man hatte ihn erwischt, als er am Tatort nach seiner verlorenen Brille suchte. „Verbiestertheit und Provinzlerei“ bescheinigte er dem Heimatland im Oktober 1983 in einem Interview mit der Neuen Rhein Zeitung. In die Stadt Düsseldorf zog ihn „die magische Strahlung von Joseph Beuys“, der sich sehr für die Freiheit des Kollegen einsetzte.
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Begegnung im Treppenhaus: ein paar plastische Figuren Naegelis, ergänzt vom Silberspray des Graffiti-Künstlers Oliver „Magic“ Räke. Foto: bikö
„Ich kann dieses Vaterland nur ablehnen“, wetterte Naegeli damals. Doch das Heimweh war stärker. Flankiert von Beuys und dem Aktionskünstler Klaus Staeck stellte er sich 1984 dem Baseler Grenzschutz – und wanderte prompt für sechs Monate in Haft. Danach zog er zurück nach Düsseldorf und lebte über 30 Jahre in Bilk. Er verteilte seine Werke an Unterführungen, irgendwo in der Nachbarschaft und an den Säulen der Rheinkniebrücke. Wer suchet, der findet heute noch kuriose Fischlein, spinnenhafte Quasi-Nixen, fliehende Strichmännchen. Und dann und wann einen pinkfarbenen Flamingo. Es gibt in der Bunker-Ausstellung sogar einen Lageplan mit QR-Code.
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Spinnige Wesen und eine untypische Nixe: Fotografien im Bunker zeigen Naegelis Spuren in den Städten. Foto: bikö
Zurück ins Nest
Aber auch das freie Rheinland kennt die Kleinkariertheit. Nachdem Naegeli das Karl-Arnold-Haus in Unterbilk besprüht hatte, wurde er von der dort ansässigen NRW-Akademie der Wissenschaften und Künste angezeigt. Und obgleich man sich nach langem Gedöns 2019 gütlich einigte (gegen eine Spende), verließ der Künstler Düsseldorf und zog in sein Züricher Elternhaus: „Ich will zurück an meinen Ursprung.“
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Verschmitzt: Harald Naegeli (hier im Video) ließ sich auch von neuerlichen Anklagen in reiferen Jahren nicht aus dem Konzept bringen. Foto: bikö
Anstrengende Reisen macht er nicht mehr. Auch die Besucher der Vernissage sahen ihn nur auf Videos seiner Aktionen und Auftritte, die malerisch auf den rauen Beton der zum Kunstzentrum umgebauten Kriegsfestung projiziert werden. Daneben erscheinen Zitate aus dem Leben Naegelis: „Jeder kann seine Tätigkeit zur Kunst erhöhen, was immer diese ist“, bemerkte er zum Beispiel 1981, sehr nah am Kunstbegriff seines Vorbilds Beuys.
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Vernissage im Bilker Bunker – mit Projektionen aus dem Leben von Harald Naegeli, dem Sprayer von Zürich. Foto: bikö
Flüchtige Wesen
Außer zahlreichen Fotografien von Spray-Figuren aus dem öffentlichen Raum hat die Ausstellung im Bunker vor allem subtilere Erscheinungen zu bieten: die Zeichnungen und Grafiken des Sprayers. Zauberhaft. So zart sind diese kleinen Bildchen auf Papier hinter spiegelndem Glas, dass sie für Instagram nicht taugen. Aber das Auge kann sich daran erfreuen: Da sind Hunde, Papageien, ein geometrisch-poetisches Wesen mit Dreieckskopf, ein Fischweiblein auf einer Tüte. Spontane Ideen nach Art von Beuys. Einige flüchtige Tiere erinnern sehr an frühe Skizzen des rheinischen Kunstschamanen. Manchmal sind es nur noch Spuren, die hinterlassen wurden, manchmal verschwindende Horizonte angedeuteter Landschaften.
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Allerlei durchsichtige Tiere gehören zu Harald Naegelis Lieblingsmotiven. Foto: bikö
Irgendwann hat Naegeli auch ganz abstrakte Kompositionen entwickelt. Und vor allem zeichnete er an einem Lebenswerk, seiner „Urwolke“. Das ist eine Serie von vier- bis fünfhundert relativ großen Federzeichnungen mit einem Gespinst aus Linien, die keine bestimmte Form annehmen und von Naegeli über Jahre hinweg ergänzt werden. Alle Änderungen notiert und datiert er auf der Rückseite, zwischen kleinen Skizzen von Köpfen, Tieren, Skeletten. Fünf Blätter aus dem Konzept hängen als Installation im Raum. Ein Opus über Zeit und Vergänglichkeit, an dem Harald Naegeli „bis ans Lebensende“ arbeiten möchte.
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Schwebende „Urwolke“: einige Blätter aus der endlosen Serie von Federzeichnungen, an denen Naegeli lebenslang arbeiten möchte. Foto: bikö
Was, wann und wo?
„Harald Naegeli – Zeichnungen eines Sprayers“: bis 2. April im Bilker Bunker Düsseldorf, Aachener Str. 39. Geöffnet Mi. und Fr. 17 bis 21 Uhr, Sa. 14 bis 21 Uhr, So. 14 bis 18 Uhr. Infos und Tickets unter www.bilkerbunker.de
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Annäherung: Es ist nicht leicht, Naegelis subtile Zeichnungen hinter spiegelndem Glas zu fotografieren. Foto: bikö