Kafka und der Körper: Stadt:Kollektiv Düsseldorf zeigt „Die Verwandlung“
Jeder kennt seinen Namen: Kafka. Gern werden absurde, ausweglose Situationen als kafkaesk beschrieben. Schüler, die Texte des Pragers lesen sollen, schätzen den surrealen Aspekt. So schön creepy, wie sich der Geschäftsreisende Gregor Samsa in einen riesigen Käfer verwandelt! Doch was passiert, wenn man dem literarischen Nachtmahr des Franz Kafka ganz persönlich nachspürt? Für das Stadt:Kollektiv, die Bürgerbühne im Schauspielhaus Düsseldorf, war die über hundert Jahre alte „Verwandlung“ eine Inspiration, das eigene Körpergefühl zu erforschen. In welcher Hülle leben wir? Wie verändert sie sich? Was macht das mit uns?
Sieben Laien spielen unter der traumsicheren Regie der jungen litauischen Musikerin und Regisseurin Kamilė Gudmonaitė. Und sie zeigen jene Kombination aus Leidenschaft und unbedingter Disziplin, die man bei den experimentierfreudigen Profis gelegentlich vermisst. Zwischen nahtlos eingeflochtenen Kafka-Sätzen darf jede*r von der eigenen Person, vom eigenen Schicksal, erzählen – aber niemals ohne strenge Form. Ein berührendes, spannendes Stück ist da entstanden.
Durch dick und dünn
Es geht um Schwächen, Krankheiten, beängstigende Zustände. Ohne Weinerlichkeit. Im Gegenteil. Gabriele, eine von Osteoporose (Knochenschwund) geplagte Dame in den späten 60ern, nimmt’s mit Humor. Sie tritt auf mit Fühlerhelm und Panzercape und meint vergnügt: „Ich wollte gern den Käfer spielen. Jetzt fühle ich mich ein bisschen overdressed.“ Und legt die Verkleidung ab. Auch Kafka wollte, wie ein Briefzitat an der Wand verrät, auf keinen Fall, dass seine Geschichte mit einem Käferbild illustriert wird. Denn die Verwandlung des Menschen in ein Ungeziefer, das sich und die Seinen erschreckt, ist ein subtilerer Vorgang.
Subtil wie die Verwandlung der anmutigen Melek, die mit einem Song auftritt: „Es war kein Traum“. Obwohl sie so gern auf die Bühne wollte, hat sie nach ihrer Migration das Tanzen aufgeben und ist mit der Zeit zu pummelig geworden fürs Ballett. Aber wieso? Ist das nicht nur ein Vorurteil? Denn sie dreht sich immer noch so leicht wie eine Ballerina. Die schöne magere Elena hingegen wirkt eckig bei der Nachahmung von Meleks Tanzpositionen. Auch sie hat Probleme mit dem Körper. Alle finden, dass sie nicht genug isst. Ihr Dünnsein fällt stets zuerst auf. Dabei ist doch so viel Anderes typisch für sie.
Fremde Gefühle
Der Körper kann eben ein Ungeziefer sein, das bestimmt, wie wir uns fühlen und, vor allem, wie wir wahrgenommen werden. Adnan misstraut, ganz im Geiste Kafkas, dem Spiegel: „Mein Gesicht ist mir fremd.“ Auch der Körper ist ihm nicht geheuer. Dabei wirkt er topfit und schwingt kopfüber in einer Schlaufenschaukel, die Bühnenbildnerin Barbora Sulniūtė in einer hautfarbenen Kulisse installieren ließ. Exakt wie in einem Tanztheater bewegt sich in dieser Körperabstraktion das Ensemble, spricht bald einzeln, bald im Chor.
Das Publikum schaut konzentriert zu. Voller Empathie. Für Len, der unter epileptischen Anfällen leidet und selbstironisch genau erklärt, was Zeugen in so einem Fall zu tun hätten. Für Theo, der als Mädchen geboren wurde und sich demnächst einer geschlechtsanpassenden Operation unterziehen wird. Für Inga, die nach zahllosen Diäten geschädigte Gelenke hat, an Krücken läuft und sich trotzdem getraut hat, zum Casting zu gehen. „Is there something wrong with me?“ fragen sie im Wechsel, ist was falsch mit mir? Nein, alles okay! Am Ende machen sie sich schön mit langen Perücken. Gabriele zeigt ein Tänzchen. Die Lage ist entspannt. Kein Ungeziefer in Sicht. Umarmender Applaus.
Weitere Vorstellungen
„Die Verwandlung“ nach Franz Kafka in einer Bearbeitung von Dorle Trachternach, Kamilė Gudmonaitė und dem Ensemble wird im Kleinen Haus des Düsseldorfer Schauspielhauses gespielt. Schon ausverkauft ist die nächste Vorstellung am 20. Dezember, 20 Uhr. Tickets gibt es noch für die nächsten beiden Termine am 24. Januar, 20 Uhr (mit anschließendem Gespräch) und am 2. Februar, 18 Uhr. www.dhaus.de