Kein Märchen: Aschenputtel der Rheinoper tanzt im „Ruß“
Dieses Aschenputtel lebt nicht im Märchen. Sondern zwischen Bergleuten im Kohlenpott. Der Prinz? Ein Juniorchef namens Prince. „Ruß“ ist der Titel des ersten Handlungsballetts von Bridget Breiner, der neuen Chefchoreografin der Deutschen Oper am Rhein. Allerdings hat sie es schon 2013 in Gelsenkirchen auf die Bühne gebracht und den „Faust“-Theaterpreis dafür bekommen. In Ermangelung eines aktuellen abendfüllenden Stücks zeigt sie den bewährten „Ruß“ nun auch hier – zuerst dem begeisterten Duisburger Publikum, im Frühjahr den Düsseldorfern.
Kindliche Seelen könnten den Zauber vermissen. Aber es ist ja legitim und durchaus üblich, den Cinderella-Mythos auf modernere Zeiten zu übertragen. In diesem Fall: Die Tochter eines managerhaften Vorarbeiters, Clara, bezaubert den Sohn des Industriebarons auf einem Ball (der nicht so ganz ins Milieu passt). Da die Stiefmutter ihr gutes Kleid von Papa (Nelson López Garlo mit beeindruckendem Schnauzbart) gemein zerrissen hat und kein Vöglein vom Zauberbaum sie glitzernd verwandelt, tanzt Clara im verrußten Unterrock an, barfuß. Beim Davonlaufen vergisst sie einen ihrer draußen abgeworfenen Stiefel.
Traurige Schwester
Nun macht es eigentlich keinen Sinn, dass Mr. Prince in einer so realistischen Geschichte die wahre Braut nur anhand der märchenhaften Schuh-Probe erkennt und gegen zu große Füße wie bei den Brüdern Grimm ein Messer zum Zehenabschneiden gereicht wird. Aber wir wollen mal nicht so kleinlich sein.
Weitere Komplikationen entstehen durch den Perspektivwechsel, den Bridget Breiner entwickelt hat. Ihre Heldin ist nämlich gar nicht das Aschenputtel Clara, mit koboldhaftem Charme getanzt von der entzückenden Emilia Peredo Aguirre. Es ist eine der Stiefschwestern, die melancholische Livia. Die zart-zähe Francesca Berruto gibt ihr einen herzzerreißenden Ausdruck. Dieses Mädchen, versteht man ohne Worte, fühlt sich als Außenseiterin, gegängelt von der Mutter (hocheleganter Auftritt: Norma Magalhães), stehengelassen vom hübschen Bergbau-Prinzen (Olgert Collaku), ungeliebt von der munteren Schwester Sophia (Phoebe Kilminster), die auch lieber mit Clara spielen will.
Happy End allein
Die Hochzeit von Clara und Mr. Prince ist schon erledigt, da sucht Livia ihr Happy End in der Freiheit. Sie löst sich, nach dem besten Pas de Deux des Stücks, aus den Armen eines wackeren Bergmann-Verehrers (Gustavo Carvalho) und lacht für sich allein. So sorgt die amerikanische Choreografin für eine feministisch einwandfreie Sicht der Dinge. Fragen unter Zuschauern nach der Vorstellung zeigen allerdings, dass nicht alle die Zusammenhänge so richtig verstanden werden. Who is who, und was soll das bedeuten? Es empfiehlt sich das vorherige Studium der Erläuterungen im Programmheft.
Schönes, technisch einwandfreies Ballett gibt es bei Bridget Breiner allemal – trotz der holzschnittartigen Ausstattung mit verrußten Zechenklamotten und schwebenden Kleiderkörben in der Waschkaue, die zum Ball mit Lichtlein bestückt wird. Die Musik ist eine Klangcollage aus walzerseligen „Aschenbrödel“-Ideen von Johann Strauß, amerikanischen Arbeitersongs („Hello Coal Miner“) aus der Konserve und dem berührenden Live-Spiel des Akkordeonisten Marko Kassl. Kein Märchen, aber ein solides Erzählballett, das vom Publikum mit Bravo-Rufen belohnt wird.
Premiere im Mai
Die Düsseldorfer Premiere von Bridget Breiners Aschenputtel-Ballett „Ruß“ ist erst am 9. Mai nächsten Jahres, gefolgt von einer ganzen Reihe von Vorstellungen: 11., 14., 16., 17., 21., 24., 28. Mai, 19. Juni. Tickets können frühzeitig reserviert werden. Wer nicht warten will: Im Duisburger Haus, erreichbar mit der U79, gibt es mehr „Ruß“ noch vor Weihnachten, am 14. und 22. Dezember. www.operamrhein.de