„Düsseldorf ist die Landeshauptstadt der Altersarmut“
Die Stadt Düsseldorf ist bemüht mit Leuchtturmprojekten architektonischer Art, einem Opern-Neubau und der Ausrichtung von Sportevents von sich Reden zu machen. Nicht zu vergessen das Ziel Fahrradhauptstadt zu werden. Von dem Titel als Landeshauptstadt der Altersarmut hört man seitens der Stadtspitze oder Politik wenig. In einem Pressegespräch des „Düsseldorfer Bündnis für eine gerechte Gesellschaft – sozial und ökologisch“ wurde am Dienstag (26.11.) die Armut in Düsseldorf thematisiert.
Die Zahlen sind eindeutig und ernüchternd. Winfried Gather von der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) beschrieb den rasanten Anstieg der Altersarmut. Im Jahr 2012 lag die Armutsgefährdungsquote in der Altersgruppe ab 65 Jahren noch bei 12,2 Prozent. Im Jahr 2022 waren es bereits 17,3 Prozent der Generation Ü65 in NRW, das seien 646.000 Personen, führte er aus. Durch die Babyboomer-Generation steige die Zahl der Rentner*innen in den nächsten Jahren stark an. Eine Absenkung des Rentenniveaus, wie es in einigen Parteien angedacht ist, würde die Altersarmut noch beschleunigen, befürchtet das Bündnis.
Der Soziologe und Experte für Altersarmut, Prof. Dr. Antonio Brettschneider, wies bereits im Jahr 2014 darauf hin, dass in Düsseldorf rund 9.000 Senior*innen (7,8 Prozent) über 65 Jahren Grundsicherung im Alter beziehen. Damit sei Düsseldorf Landeshauptstadt der Altersarmut. Die Quote hat sich laut der Sozialberichterstattung NRW, Kurzanalyse aus dem Januar 2024, in den vergangenen zehn Jahren noch deutlich verschlechtert, denn die Inanspruchnahme von Grundsicherung im Alter hat zugenommen. In NRW erhielten im Jahr 2022 insgesamt 177.385 Personen im Alter von 65 und älter Grundsicherung. Seit dem Jahr 2011 steigt die Grundsicherungsquote stetig. Die höchste Quote innerhalb NRWs lag 2022 erneut in Düsseldorf mit 9,4 Prozent (IT.NRW – Statistisches Landesamt: Altersarmut in Nordrhein-Westfalen).
In den Statistiken sind nur die offiziellen Zahlen, das Dunkelfeld dürfte noch wesentlich höher sein. Das Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin hat für die Deutsche Rentenversicherung dazu Haushalte befragt. Das Ergebnis: Etwa die Hälfte der Grundsicherungsberechtigten setzt ihre Ansprüche nicht durch und verzichten im Durchschnitt auf 220 Euro monatlich. Das ist viel Geld für Menschen mit einer Minirente, die nicht mal den Sozialhilfesatz zum Leben haben. Das DIW schätzt, dass es rund zwei Milliarden Euro kosten würde, alle bisher nicht erfüllten Ansprüche auf Grundsicherung im Alter durchzusetzen. Die materielle Situation der „verdeckt armen Haushalte“ ließe sich zielgenau im Durchschnitt um 28 Prozent verbessern, so das DIW. Verbunden damit würde gleichzeitig die Ungleichheit der Einkommen unter der Bevölkerung im Rentenalter sinken.
Bereits im Jahr 2018 organisierten verschiedene Sozialverbände und Organisationen, unterstützt durch den Seniorenrat der Stadt, den Fachtag „Armut und Einsamkeit im Alter: Was brauchen wir in Düsseldorf?“ im Rathaus. Dabei wurden 26 Handlungsempfehlungen erarbeitet, die in den folgenden Jahren umgesetzt werden sollten. Hier ist das Ergebnispapier nachzulesen. Passiert ist wenig, so dass das Bündnis das Fazit zieht: „Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Handlungsproblem!“. Die grundlegenden Ursachen für Armut in der Gesellschaft werden durch die derzeitige Sozial- und Arbeitsmarktpolitik nicht beseitigt. Vielmehr ist es das Ehrenamt und das Engagement von Initiativen, die versuchen Menschen in der Armutsfälle zu unterstützen. Viele Bemühungen sind spendenbasiert und können die Not nur lindern. Einrichtungen wie Armenküche und Tafeln müssten eigentlich überflüssig sein, denn sie ersetzen keine auf Gerechtigkeit und Teilhabe zielende Sozialpolitik. „Wir haben es satt, ohne Perspektive für eine bessere Zukunft zu arbeiten und sogar als Feigenblatt für diese verfehlte und fehlerhafte Sozialpolitik herhalten zu müssen!“, kritisieren Akteure der Initiativen.
Bei einer Befragung der Sozialverbände im Jahr 2019 wurde die Situation von betroffenen verdeutlicht:
– „Mehr Geld zu haben, wäre schön. Aber Grundsicherung zu beantragen, das kommt für mich nicht infrage.“ (m, 75 Jahre)
– „Ich würde gerne wieder mehr gebraucht werden:“ (m, 60 Jahre, langzeitarbeitslos)
– „Ich weiß dass ich Grundsicherung bekommen könnte, möchte aber anderen nicht zur Last fallen.“ (m, 75 Jahre)
– „Es ist beschämend, dass ich Hilfe in Anspruch nehmen muss, obwohl ich mein ganzes Leben lang gearbeitet habe.“ (w, 69 Jahre)
– „Ich würde mich gerne irgendwo engagieren können und dafür ein bisschen Geld bekommen. Dafür würde ich auch gerne eine Schulung machen, denn dann hätte ich auch ein bisschen mehr Abwechslung im Leben.“ (m, 79 Jahre)
Um die Situation in Düsseldorf zu verbessern, fordert das Bündnis
- bezahlbaren Wohnraum erhalten und ausbauen
- Mehr städtische Notunterkünfte in gutem, barrierefreien Standard
- mehr Tagesaufenthalte für arme Menschen, an denen nicht Vertreibung droht
- mehr Plätze in Drogen-Konsumräumen – auch im Hinblick auf neue Drogen und Crack.
- Beratungs- und Schlichtungsstelle für Menschen, die sich Enbergie und Strom nicht mehr leisten können
- ausreichende Personalaussstattung in Jobcenter und Amt für Integration, die lt. SGB I §14 zu Beratung verpflichtet sind und Aufbau einer aufsuchenden Beratung
- für arme Menschen finanzierbare Mobilität im ÖPNV
- Versorgungsangebote für Menschen ohne Krankenversicherung, verhindern von Verelendung
Zahlen für Düsseldorf
- Armut betrifft 20 Prozent der Düsseldorfer Bevölkerung; rund 125.000 Personen. Bundesweit liegt die Armutsquote bei 16,8%.
- Die Zahl arbeitsloser Menschen in Düsseldorf lag im Oktober 2024 bei 7,7%; das sind 27.500 Personen. Bundesweit lag die Arbeitslosenquote bei 6% (10/2024). Für 2023 betrugen die entsprechenden Zahlen 7% (Düsseldorf) und 5,7% (Bund).
- 71.000 sozialleistungsbeziehende Personen (Leistungen nach SGB II, SGB XII und AsylbLG) leben in Düsseldorf. Im Dezember 2022 lag die Quote der Haushalte insgesamt 8,8 Prozent, in Himmelgeist bei 0,9 Prozent, in Stadtmitte 18,1 Prozent und in Flingern-Süd 21,7 Prozent (Quelle: Landeshauptsdtadt Düsseldorf, Amt für Soziales).
- Bei der letzten Nachtzählung im Oktober 2023 wurden 729 obdachlose Menschen ermittelt. Davon wurden 240 obdachlose Personen in Notschlafstellen, 45 in Krankenhäusern und 7 im Polizeigewahrsam angetroffen. 437 Personen übernachteten auf der Straße. Bei der Nachtzählung 2021 wurden mit gleicher Methode insgesamt 459 Personen gezählt, damit ergibt sich ein Anstieg um 58,7 Prozent.
- Zum Stichtag 1.1.2024 waren rund 4500 Düsseldorfer*innen und rund 5000 geflüchtete Menschen in kommunalen Unterkünften untergebracht und benötigen kurzfristig eigenen Wohnraum.
Mitglieder des Düsseldorfer Bündnis für eine gerechte Gesellschaft – sozial und ökologisch
Altstadt-Armenküche e.V., Attac Düsseldorf, AWO Kreisverband Düsseldorf e.V., Der Paritätische Düsseldorf, Deutscher Gewerkschaftsbund Stadtverband Düsseldorf, DGB-Jugend Region Düsseldorf Bergisch Land, Düsseldorfer Bündnisses für mehr Personal im Krankenhaus, Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, Gewerkschaft der Polizei, Kreisgruppe Düsseldorf, GEW Düsseldorf, Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt, Bezirksverband Düsseldorf, IG BCE Bezirk Düsseldorf, IG Metall Geschäftsstelle Düsseldorf-Neuss, KAB-Stadtverband Düsseldorf, Katholischer Gemeindeverband Düsseldorf (Gast), Mieterverein Düsseldorf e.V., NaturFreunde Düsseldorf e.V., NGG Region Düsseldorf-Wuppertal, Sozialverband Deutschland – Landesverband Nordrhein-Westfalen e.V. – Kreisverband Düsseldorf, Students For Future Düsseldorf, ver.di Bezirk Düssel-Rhein-Wupper. Weitere Informationen gibt es hier.