Tunnelblick: Kunst am Fluss im KIT Düsseldorf
Der Titel der Schau klingt so nett nach rheinischer Lebensart: „… and we live by the river“. Aber in dem Punksong von The Clash, woraus die Zeile stammt, heißt es leider: „London is drowning and I live by the river“. London säuft ab, und ich lebe am Fluss. Ach, Spielverderber! Noch fließt der Rhein in seinem Bett, man kann gemütlich am oder im KIT-Café sitzen und das Panorama genießen. Und der Kunsttunnel unter der Promenade ist auch schön trocken. Dort zeigen jetzt fünf städtische Förderpreisträger*innen von 2022/23 ihre Werke.
Düsseldorfs originellste Kunsthalle, entstanden als sogenannter „Restraum“ beim Bau des Rheinufertunnels, ist lang, schmal, leicht abfällig und nicht leicht zu bespielen. Er beginnt mit einer kurzen Wand unter niedriger Decke, auf die der Blick zu allererst fällt. Anne Schülke, promovierte Literaturwissenschaftlerin und Medienkünstlerin, hat den düsteren Winkel mit einer dreiteiligen Videoarbeit erleuchtet. Man sieht in einem weißen Licht schattenhafte Hände, die sich bewegen und einander umfassen und ist selber davon seltsam berührt.
Weiße Balance
Eine der Hände gehört der 51-jährigen Künstlerin selbst. Ihren ganzen Körper setzte sie für die Video-Arbeit „White Balance“ ein. Einzelbilder ihrer Rollübungen wurden auf einen 20 Meter langen weißen Stoff gedruckt, der wie ein Läufer einladend auf dem Tunnelboden liegt. Aber: Betreten soll man ihn nicht. Die Aufsicht ist schon ganz verzagt, weil das immer wieder passiert. Zarte Spuren zeugen von den Schuhen argloser Besucher, die Schülkes „Weiße Balance“ stören. Obwohl es Musik über Kopfhörer gibt, ist dies ist keine Wohlfühlausstellung.
Die Irritationen setzen sich fort vor den digital komponierten Fotoarbeiten von Johannes Bendzulla, der sich aus rätselhaften Gründen auf das Thema Zähne konzentriert hat. Beunruhigt blickt man auf Bilder, die in perfekter Klarheit allerlei schneeweiße, wahrscheinlich aus der Medizinwerbung stammende Beißerchen sowie passende Kronen und Spangen zeigen – vor dem Hintergrund von Schneegipfeln und grasenden Kühen. Eine winzige Malpalette auf vier Beinen, eine Art Markenzeichen des Künstlers, krabbelt da wie ein Floh. In einer anderen Serie hängt ein Zahnarztbohrer bedrohlich im Wohnzimmer von der Decke. Hilfe!
Bestrickende Arbeit
Sehr hübsch und beruhigend blau wirken dagegen die textilen Arbeiten von Theresa Weber. Aber nur auf den ersten Blick. Zwischen gezwirbelten Stoffen, verwoben mit Perlen, Ringen und künstlichen Nägeln, verbirgt die 1996 in Düsseldorf geborene Künstlerin ihre Hinweise auf Kolonialgeschichte. Mit Sklavenarbeit wurde einst das Indigo-Pigment gewonnen. Theresa Weber hat schon ganze Säle (zum Beispiel in der Sammlung Philara) mit ihren bestrickenden Installationen gestalten. Sie wird eine glänzende Karriere machen.
Das hat Anys Reimann, Düsseldorfer Tochter eines Westafrikaners und (wie sie selbst sagt) einer Ostpreußin, schon geschafft. Ihre kraftvoll-düsteren Malcollagen hängen in der Sammlung des K20, im Kunstpalast, in der Stuttgarter Staatsgalerie. Sie wird hoch gehandelt. Mit Ende 50 ist Anys Reimann eigentlich raus aus dem Alter für Förderpreise. Aber als Künstlerin ist sie noch jung, hat erst nach diversen beruflichen Umwegen Malerei und Bildhauerei an der Akademie studiert. Und ihren unverwechselbaren Stil gefunden.
Schwarze Nixe
Man kann die Augen nicht von Reimanns Bildern lassen, von den aus vielen Gesichtern und Leibern zusammengesetzten Frauen. Mit Schmerz im Gesicht singt da eine Figur den „Blues“. Blind scheint die Seherin „Cassandra“. Der „Nachtmahr“ in der Finsternis hat drei Augen, zwei Münder und eine Krallenhand. Einfach unwiderstehlich ist der Blick, den eine mondäne schwarze „Ondine“ über die Schulter wirft. Über einem Fischlein schwebt die Wasserfrau in dunklen Gewässern. Sie trägt einen schwarzen Handschuh, genau so einen hat die Malerin am Rhein gefunden und in Bronze gießen lassen („Rheintochter“).
Gegen solche Power hat Mira Mann in der hinteren spitzen Ecke des KIT keine Chance. Die deutsch-koreanische Meisterschülerin von Dominique Gonzales-Foerster kombinierte angebrannte Teile einer Schrankwand mit Lichtern, Lumpen und Fotografien zu einer introvertierten Installation der traurigen Erinnerung.
Was, wann und wo?
„… and we live by the river“: Werke der Förderpreisträger*innen Johannes Bendzulla, Mira Mann, Anys Reimann, Anne Schülke, Theresa Weber. Bis 10. November im KIT Düsseldorf, Mannesmannufer 1b. Geöffnet Di.-So. 11 bis 18 Uhr. Eintritt: vier Euro. Freier Eintritt für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre sowie für alle an jedem zweiten Sonntag im Monat. www.kunst-im-tunnel.de