Düsseldorfer Blick: Helga Meister und ihr Buch über figurative Kunst
Wie alt sie ist? Also bitte, das geht uns gar nichts an. Die Düsseldorfer Kulturjournalistin und Autorin Helga Meister lässt sich jedenfalls von der blöden Zeit nicht stoppen. Länger als sämtliche Kollegen ist sie schon unterwegs im Dienst der Kunstleidenschaft, kennt sich in der rheinischen Szene aus wie keine(r), hat unzählige Ausstellungen beschrieben und manche betrieben, verpasst keinen Akademierundgang, immer auf der Suche. Für ihr neuestes, ihr 33. Buch, ist sie bis Mecklenburg-Vorpommern gereist, um die figurative deutsche Kunst der Gegenwart überregional zu untersuchen: „Der Mensch in der Skulptur“ heißt der blaue Band mit 224 Seiten, vielen Bildern und frischen Texten.
Auslöser war ein anderes Buch, Nr. 32. Während der Pandemie, als nicht nur der Kulturbetrieb ruhte, schrieb Helga Meister (Ddorf-aktuell berichtete) über die Düsseldorfer „Kunst im Freien“. Sehr naheliegend für eine Person, die nach eigener Aussage „vielleicht fünf Minuten still sitzen kann, nicht zwei Jahre“. Mit dem Rad und zu Fuß wuselte sie über die Brücke und durch die Stadt, um 125 Skulpturen genau zu betrachten und ihre Geschichten zu erzählen. Viele Menschendarstellungen waren dabei, besonders historische. Das weckte Helga Meisters Neugier: Was ist eigentlich in der Gegenwart aus der Figur geworden?
Keine Helden mehr
Sie lebt, ganz offenbar. Obwohl, wie die Autorin im Vorwort schreibt, der Körper „in den Zustand einer digitalen Verflüssigung“ gerückt ist, „können die neuen Medien die alten nicht gänzlich verdrängen“. Und die „Erfinder-Persönlichkeiten lassen sich von der Künstlichen Intelligenz nicht entmachten“. Dabei schaffen neue Bildhauer, sagt sie, „keine Heroen und feiern keine Weltgeschichte“. Sie alle wissen um die Katastrophen des Zeitalters, aber, so Helga Meister, sie „bewahren die Körperlichkeit und bisweilen auch den Humor“.
24 Beispiele hat Helga Meister herausgesucht, darunter Baselitz, Lüpertz, Thomas Schütte: „Alle Stars der Szene machen mit“, bemerkt die Autorin stolz. Sie hat sie in ihren Ateliers heimgesucht und/oder Interviews zusammengestellt, die „über Jahre entstanden“ sind. Zum Beispiel mit Stephan Balkenhol, einem ihrer Lieblinge, einem schnitzenden „Teufelskerl“, dessen farbig gefasste, oft in Bronze verewigten Mannsbilder manchen Kritikern zu gefällig sind. Wenn einer der typischen Balkenhol-Herren im Bonner Hofgarten als „Hommage an August Macke“ in eine farbige Glaskuppel mit dessen Farben guckt, ist sie hingerissen: „Was Feineres gibt’s doch gar nicht“, schwärmte sie beim Clubabend des Malkastens, wo sie ihr Buch vorstellen konnte – mit Lichtbildern.
Mann und Maus
Die körperlich schwere Arbeit der Bildhauerei wird meist männlichen Kräften zugeordnet – aber Helga Meister kennt und preist in gleicher Zahl die Frauen, ganz selbstverständlich, ohne feministische Erklärungen. So muss es sein. Oben auf der Prominenz-Skala ist Katharina Fritsch, emeritierte Düsseldorfer Akademieprofessorin, die bei der letzten Biennale in Venedig den Goldenen Löwen für einen lebensgroßen schwarzen Elefanten bekam. Ihre Skulpturen aus bemaltem Polyester erheitern und irritieren ein großes Publikum; jeder, der mal im K21 war, kennt die dunkle Riesenmaus, die auf dem Bett eines weißen Schläfers hockt. Wie das entstand (ein Alptraum) und wer Fritschs bevorzugtes Modell ist (ein junger Musiker), verrät dieser herrliche Kunstschmöker so nebenher.
Mühelos kombiniert Helga Meister in ihren prallen Texten allerlei Anekdoten und kompetente Analysen, Atelierreportagen, eigene und fremde Ansichten, sehr ernsthaft, aber so ganz anders als in den verkopften Fachpublikationen der Kunsthistorikerbranche. Die beschriebenen Künstler*innen fühlen sich verstanden und gaben ihren Segen. Darunter sind auch junge Leute wie Joscha Bender, Anfang 30, der schon 2015, als Akademiestudent, in altmeisterlicher Technik ein verschlungenes „Paar“ aus Anröchter Kalkstein hieb und schliff und schuf. Heute arbeitet Bender wie Mack in Mönchengladbach und setzt seine immer etwas rätselhaften Typen erfolgreich in die Welt.
Entdeckung im Osten
Eine Entdeckung für den westlichen Blick sind bildhauerische Werke aus der ostdeutschen Szene, die Helga Meister aufspürte in abgelegenen Ateliers und bescheidenen Verhältnissen. „Die Tollste“, so Helga Meister beim Vortrag im Malkasten, sei für sie Anna Franziska Schwarzbach (1949 geboren), die es sich wegen eines Ausreise-Antrags mit dem DDR-Regime verscherzt hatte. Sie durfte nicht Kunst, sondern nur Architektur studieren, wollte aber keine Plattenbauten entwerfen und ließ sich nichts desto trotz in den 1970er-Jahren als freie Künstlerin in Berlin nieder. Da man ihr den Bronzeguss verweigerte, benutzte sie Eisen für ihre expressiven Figuren, die niemanden kalt lassen.
Obwohl die projizierten Bilder aus der Ordnung gerieten und Helga Meister mit dem Laptop kämpfen musste, war es eine Freude, dieser vitalen Person im Düsseldorfer Malkasten zuzuhören. Herzlich begrüßt wurde sie übrigens vom neuen Vorsitzenden Christoph Westermeier (40), der die Führung des zum älteren Semester neigenden Künstlervereins vor einem Monat von Tony Cragg (75) übernommen hat – in friedlicher Absprache. Der junge Chef soll demnächst noch ausführlicher vorgestellt werden.
Information
„Helga Meister: Der Mensch in der Skulptur – Figurative Kunst der Gegenwart“. Verlag Peter Tedden. Festeinband, fadengeheftet, 224 Seiten, 138 farbige Abbildungen. 32 Euro (ISBN 978-3-911339-00-1). Die Veröffentlichung wurde möglich gemacht durch Spenden des verstorbenen Mäzens Udo van Meeteren, die Arthena Foundation (Kai 10) von Monika Schnetkamp und den Düsseldorfer Unternehmer Theo Siegert.