Geist trifft Geister: Kandinsky und Hilma af Klint im K20 Düsseldorf
Sie kannten sich nicht, trafen sich nie, hatten keinerlei Verbindung: Wassily Kandinsky (1862-1944), Blauer Reiter, russischer Weltbürger, großer Zauberer der frühen Abstraktion, Bauhaus-Meister, und die schwedische Malerin Hilma af Klint (1866-1944), esoterisch heftig bewegt. Ob diese beiden eine gemeinsame Ausstellung in Erwägung gezogen hätten, darf bezweifelt werden. Aber Susanne Gaensheimer, Direktorin der Kunstsammlung NRW, ist entschlossen, den umschwärmten Herren der klassischen Moderne mit weiblichen Entdeckungen zu trotzen. Ob das passt, kann nun in einer kühnen Doppelausstellung des Düsseldorfer K20 diskutiert werden: 120 Werke von Kandinsky und Hilma af Klint.
Immerhin: Beide wurden akademisch ausgebildet, sie, Tochter eines Marineadmirals, in Stockholm, er, Ex-Jurist aus Moskau, in München. Sie lösten ihre Malerei später vom Gegenstand, auf der Suche nach dem, was Kandinsky „Das Geistige in der Kunst“ nannte. Nur, dass Hilma af Klint eher die Geister meinte, die sie in Séancen mit gleichgesinnten Freundinnen aufspürte. Einmal, um 1927, erwähnt sie den berühmten Kandinsky in einem kleinen Notizbuch, schreibt den Namen aber falsch: „Kadinsky, reine Farben, Flächen“, entziffert man da auf Deutsch. Es könnte sein, dass sie Jahre zuvor, 1916, schon mal von ihm gehört hatte, als er kurz in Stockholm lebte und mit seinen Abstraktionen für Aufsehen sorgte. Man weiß es nicht …
Traum der Zukunft
Sehr mager sind die Bezugspunkte, das streiten die Kuratoren nicht ab: Julia Voss, kundige Biografin der schwedischen Künstlerin, und Daniel Birnbaum, früherer Direktor des Stockholmer Moderna Museet. Gemeinsam schrieben sie zur Ausstellung ein ungewöhnlich spannend zu lesendes, erzählendes Buch: „Hilma af Klint und Wassily Kandinsky träumen von der Zukunft“. Das kann man auf jeden Fall so sagen. Denn beide waren, voneinander unabhängig, Avantgarde in ihrer Zeit. Nun werden sie von einem der bedeutendsten Museen der Moderne als Gleichberechtigte zusammengerückt. Und zum Einklang erscheint das Porträt der Hilma af Klint sicher absichtlich ein kleines Stück höher als das von Wassily Kandinsky.
Die Fotos sind gut aussucht: Beide sitzen am Arbeitstisch und blicken mit dem gleichen Ernst in die Kamera, ein bisschen herausfordernd. Die nicht mehr ganz junge Hilma hatte damals, zu Anfang des 20. Jahrhunderts, ihr Auskommen mit Landschaften, Porträts und Auftragszeichnungen. Eine brave Rheinansicht und botanische Studien mit Mohnblüten zeugen davon. Ihre Leidenschaft aber gehörte den geisterhaften Praktiken, die auch in bürgerlichen Salons in Mode gekommen waren. Mit Freundinnen hatte sie die spirituelle Kunstgruppe der „Fünf“ gegründet und sich der Theosophischen Gesellschaft angeschlossen, um ein kosmisches Bewusstsein weiterzuentwickeln.
Höhere Wesen
Als glühende Anhängerin von Rudolf Steiner, dessen Vorlesungen sie 1908 in Stockholm gehört hatte, glaubte Hilma af Klint an eine tiefe Verbindung zur Natur einerseits und zu „höheren Wesen“ andererseits, von denen sie sich als Künstlerin geleitet fühlte. So beschwingt, malte sie ganze Bilderreihen, auf denen Tauben hier und Engel da und auch der heilige Drachentöter Georg in ansonsten abstrakten Kompositionen zu erkennen sind. 1915 entstand die Serie „Der Schwan“, in deren Verlauf sich ein Vogelpaar sehr schön zunächst in schwingende Formen und dann in geometrische Kreiskompositionen verwandelt. Schon 1906 hatte die Malerin das „Urchaos“ mit Schnecken, fliegenden Linien und gezeichneten Wörtern beschworen. „Wir gleichen den Kräften und Mächten, die von einer ersten Vibration freigesetzt werden“, schrieb sie 1914.
Klein denken, das lag ihr nicht. Ihre „Zehn Größten“ sind über drei Meter hoch, mit Papier beklebt, mit pastelligen Tempera-Farben bemalt. Blüten, Schwünge, Kringel und Blubberblasen feiern da den Lauf des Lebens. Im Alter, so scheint es, werden die runden Formen zu eckigen, als erstarre die Bewegung. Signiert sind die Monumentalwerke nicht, Hilma af Klint fühlte sich ja von unsichtbaren Geistern inspiriert. Am liebsten hätte sie für die Bilder einen Tempel gebaut, der, ganz anthroposophisch, keine harten Kanten, sondern eine Spiralform haben sollte. Man kann das Modell betrachten.
Völlig losgelöst
Aus dem Tempel wurde nichts. Und eine Karriere in der gewöhnlichen, materialistisch ausgerichteten Kunstszene strebte Hilma af Klint gar nicht an. Als sie 1944 starb, hinterließ sie ihr Gesamtwerk ihrem Neffen, mit der Auflage, es 20 Jahre der schnöden Welt nicht zu zeigen. Erst in den 1980er-Jahren kam es zu einer Einzelausstellung in Helsinki, 2018 schließlich war der Zeitgeist reif. Es wurde nach vergessenen Künstlerinnen gesucht, und das New Yorker Guggenheim Museum rückte die Schwedin in das Licht der späten Berühmtheit.
Ach ja, und da sind ja auch noch die berückenden Bilder des Wassily Kandinsky, der nicht vorgestellt werden muss, und in der Ausstellung vielleicht deshalb ein bisschen liebloser behandelt wird. Könnte aber sein, dass er für das Publikum trotzdem die Nummer Eins sein wird. Ganz behutsam löste er die Dinge aus ihrer Kenntlichkeit. So wird das Gebirge 1913 zu einer abstrahierten „Landschaft mit roten Punkten“. Auch in der „Improvisation 10“ oder der zur Düsseldorfer Sammlung gehörenden „Komposition IV“ (1910/11) kann man noch beschwingte Berge und Regenbögen ahnen. Als losgelöster Ausdruck mit eigenen Farben, wie in der Musik. Die „Komposition X“ von 1939 schließlich schwebt in abstrakter Pracht über den Katastrophen der Realität. Die Freiheit, schrieb Kandinsky über das Geistige in der Kunst, dürfe so weit gehen, wie „das Gefühl des Künstlers reichen kann“.
Was, wann und wo:
Die Doppelausstellung „Hilma af Klint, Wassily Kandinsky: Träume von der Zukunft“ wird am Freitag, 14. März, um 19.30 Uhr im Düsseldorfer K20 am Grabbeplatz eröffnet (Eintritt frei). Bis 11. August. Di.-So. 11 bis 18 Uhr. Eintritt 16 Euro, für Studierende und Azubis 5 Euro. Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren haben freien Eintritt. Für Senioren gibt es nach wie vor leider keinen Rabatt, nur die Möglichkeit, die Ausstellung kostenfrei beim KPMG-Kunstabend jeden 1. Mittwoch im Monat von 18 bis 22 Uhr zu besuchen. Das begleitende Buch von Julia Voss und Daniel Birnbaum ist im S. Fischer Verlag erschienen und kostet 32 Euro. Ein Audioguide mit den Stimmen von Anna Schudt und Moritz Führmann wird kostenlos ausgeliehen. Tickets, Infos und Begleitprogramm: www.kunstsammlung.de