Altes Grauen, neue Angst: Stücke über NS-Terror im Schauspiel Düsseldorf

Es wird viel erinnert an Hitlers Reich, den Staatsterror, den Holocaust, die Verheerungen des Zweiten Weltkriegs. Und doch scheint die Menschheit nichts daraus gelernt zu haben. Neuer Fanatismus schwillt an, Diktatoren triumphieren, Machtspiele enden in Waffengewalt. Man kann die Freiheit, in der wir leben, nur nutzen, um weiter mahnend von der Vergangenheit zu erzählen. Für eine sinnvolle Zukunft. In der Hoffnung präsentiert das Schauspielhaus Düsseldorf zwei neue Produktionen: „Jeder stirbt für sich allein“ nach Falladas Roman und „Blindekuh mit dem Tod“ nach einer Graphic Novel über jüdische Kinder in der NS-Zeit.
Hans Fallada (1893-1947), sozialkritischer Schriftsteller und Journalist („Kleiner Mann was nun?“) blieb nach 1933 in Deutschland, floh in den Suff und lavierte sich durch die gefährlichen Jahre. Nach dem Krieg war er ein Wrack, alkohol- und morphinsüchtig, voll unerledigter Absichten. In der Psychiatrie der Charité, kurz vor seinem Tod, schrieb er 1946 fieberhaft sein beispielhaftes Werk über den Alltag unter Hitler. „Jeder stirbt für sich allein“ handelt von einem Arbeiterpaar, das nach dem Soldatentod des Sohnes aufsässige Postkarten verteilt und dafür mit dem Leben bezahlt. Die Regisseurin Nora Schlocker und Birgit Lengers, Dramaturgin und Leiterin des Stadt:Kollektivs, haben die große, von tatsächlichen Ereignissen inspirierte Erzählung dramatisiert.
Kulisse aus Papier
Ein Vergleich mit dem Kino sollte offenbar vermieden werden (es gibt ja mehrere packende Verfilmungen). Man spielt im abstrakten Raum, wo sich eine Mauer aus Papierstapeln um sich selbst drehen lässt und, nebst leeren Prospekten, jede realistische Kulisse ersetzt. In diesem unbeschriebenen Milieu agiert das Ensemble tapfer in klobig zerknautschten Kostümen aus gewachstem Papier. Überdeutlich wird so: Es geht um Papier, in Gestapo-Akten gesammelt, zweihundertsoundsoviel Postkarten, die mutige Botschaften tragen und Schicksale besiegeln.

Unheimliche Kinder: Das Jugendensemble des Schauspielhauses marschiert auf als Hitlerjugend, bricht das Grauen am Ende mit eigenen Hoffnungen. Szene aus der Fallada-Inszenierung mit Claudius Steffens und Cathleen Baumann. Foto: Sandra Then / Düsseldorfer Schauspielhaus
Die Figuren wechseln immer wieder vom Dialog in eine Art Erzählerperspektive, beschreiben sich und die Geschehnisse. Das erzeugt ein paar Längen, der Abend dauert dreieinhalb Stunden. Einige clowneske Verrenkungen, mit denen Ingo Tomi als Tunichtgut Enno Kluge und Claudius Steffens als Gauner und Denunziant Barkhausen einen Einbruch bei der alten Frau Rosenthal („der Jüdischen“) zur Lachnummer machen, wirken eher unangemessen.
Jäger und Gejagter

Eine Mauer aus Papier ist die Kulisse in der Dramatisierung von Falladas Roman “Jeder stirbt für sich allein”. Cathleen Baumann und Florian Lange spielen das mutige Ehepaar Quangel. Foto: Sandra Then / Düsseldorfer Schauspielhaus
Zum Glück verzichten Cathleen Baumann und Florian Lange als Ehepaar Quangel auf solche Experimente. Sie zieht ihre Kraft aus der Trauer, er zeigt wenig Emotionen, aber den Willen, das Gerechte zu tun. Einige rührende Momente gelingen Friederike Wagner als zarte Frau Rosenthal. Sie wechselt mühelos in die Rolle der burschikosen Frau Häberle. Jürgen Sarkiss als Kommissar Escherich ist ein Jäger unter Druck, der zum Gejagten wird. Eine Gruppe älterer Kinder marschiert derweil zählend als Hitlerjugend umher. Am dazu gedichteten Ende darf ein ukrainisches Mädchen eine neue Welt beschwören. Das ist pädagogisch wertvoll, hat aber nichts mit Fallada zu tun.
Blindekuh mit dem Tod
Die zweite Produktion wendet sich gleich an ein Teenager-Publikum, berührt aber auch Erwachsene zutiefst. Robert Gerloff inszenierte „Blindekuh mit dem Tod“ für das Junge Schauspiel. Nur die Premiere fand im Kleinen Haus statt – in Anwesenheit des 89-jährigen Herbert Rubinstein, der als kleiner Junge im ukrainischen Czernowitz die Verfolgung überstand und seit 1956 mit seiner Frau Ruth in Düsseldorf lebt. Die Erinnerungen von Herbert und drei anderen Kindern seiner Zeit dienten als Vorlage für eine Graphic Novel, gezeichnet von der Ukrainerin Anna Tarnowezka, 2023 verlegt von Georg Aehlings Düsseldorfer Edition Virgines – und nun der Stoff, aus dem Stefan Fischer-Fels das kurze dichte Stück schuf.
Auf der Bühne spielen, begleitet vom Pianisten Yaromyr Bozhenko, nur zwei Personen: Natalie Hanslik und Leon Wieferich, junge Leute, die sich unaufwändig und präzise in Kinder, Eltern, Retter, Bösewichte verwandeln. Die Rahmenhandlung ist die 2018 tatsächlich passierte Wiederbegegnung von Herbert Rubinstein und seiner alten Freundin Mimi, die ihn ermutigt, das Furchtbare nicht weiter zu verdrängen, sondern an das Licht der Erkenntnis zu holen: „Wir haben die Hölle überlebt.“

Zwei Personen machen die Erinnerung lebendig: Natalie Hanslik und Leon Wieferich spielen “Blindekuh mit dem Tod”. Foto: David Baltzer / Düsseldorfer Schauspielhaus
Herzzerreißend
Und so erzählen sie: vom Ghetto, von Verstecken, von Todesmärschen, von Deportationen in das von rumänischen Nazis beherrschte Transnistrien, wo die Leichen erfrorener Menschen aufgestapelt wurden. Sie erzählen von Stiefeln, Schreien, Schüssen und bissigen Hunden. Aber auch von Befreiung, Flucht und Neubeginn. Mimi, Herbert und die zwei Josyfs haben es geschafft. Selma Meerbaum, eine hochbegabte junge Lyrikerin, Cousine von Paul Celan, starb 1942 in einem Zwangsarbeiterlager entkräftet an Fleckfieber. Ihre herzzerreißenden Gedichte werden im Stück zu Chansons, von Natalie Hanslik interpretiert, unvergesslich: „Ich möchte leben. / Ich möchte lachen und Lasten heben. / Und möchte kämpfen und lieben und hassen / Und möchte den Himmel mit Händen fassen / Und möchte frei sein und atmen und schrein. / Ich will nicht sterben. Nein!“
Weitere Vorstellungen
„Jeder stirbt für sich allein“ nach dem Roman von Hans Fallada wird im Großen Haus auf der großen Bühne des Düsseldorfer Schauspielhauses am Gründgens-Platz gespielt. Auf dem Programm am 13. April, 7. Mai und 24. Juni. Die Produktion „Blindekuh mit dem Tod – Kindheitserinnerungen von Holocaust-Überlebenden“ (ab 14 Jahren) wird im Jungen Schauspiel an der Münsterstr. 446 gespielt. Die Vorstellungen am 26. und 29. April sowie am 5. und 7. Mai (größtenteils ausverkauft, evt. Restkarten). www.dhaus.de