Fürs innere Kind: „MAMA“ im Kunstpalast Düsseldorf

Wer diese Schnulze einmal im Kopf hat, wird sie so schnell nicht mehr los: „Mama, du wirst doch nicht um deinen Jungen weinen …“ schmetterte Kinderstar Heintje gegen Ende der 1960er-Jahre – im aparten Kontrast zu den Studentenprotesten. Keiner wusste damals, dass der Superhit des bürgerlichen Familiengefühls ursprünglich ein Soldatenschlager aus dem faschistischen Italien war. „Mama“, so schallt es nun dem Publikum am Eingang der gleichnamigen Ausstellung im Düsseldorfer Kunstpalast entgegen. „Von Maria bis Merkel“ wird das Mutterbild im Wandel der Zeit untersucht. Ein emotionales Thema für das innere Kind.

Diese drei Frauen im Businessanzug haben das Mütterthema gründlich studiert. Die Kuratorinnen (von links) Linda Conze, Westrey Page und Anna Christina Schütz. Foto: bikö
Mama? Lässt niemanden gleichgültig. Denn, wie Generaldirektor Felix Krämer bemerkte, wir alle haben eine Mutter. Die überwiegende Mehrheit der Frauen ist zudem selbst Mutter geworden. In dem Kosewort Mama schwingen widersprüchliche Gefühle: Geborgenheit, Zärtlichkeit, Heimweh, aber auch Auflehnung, Abgrenzung, Frust, Groll. So bietet diese Schau mit 120 Bildern, Skulpturen und Objekten aus acht Jahrhunderten mehr als eine kunstgeschichtliche Untersuchung. Die drei Kuratorinnen Linda Conze, Westrey Page und Anna Christina Schütz verarbeiten munter auch psychologische und soziologische Aspekte.

Was fürs Herz im goldenen Rahmen: Um 1800 malte Marie-Victoire Lemoine ihre Schwester Geneviève mit Töchterchen (Ausschnitt). Foto: bikö
Die gute Mutter
Damit haben sie sich viel vorgenommen. Vielleicht zu viel. Aber die theoretische Betrachtung der Mutterschaft im Guten und Schmerzhaften kann und soll ja in einer Kunstausstellung nur angedeutet werden. Die kurzen Saaltexte sind leicht zu verstehen. Man kann die Ausstellung ernsthaft durchdenken oder vergnügt den eigenen Gefühlen und Vorlieben folgen. Wer Kinder dabei hat, sollte sich allerdings auf die eine oder andere verstörende Darstellung gefasst machen. Zwischen idyllischen Szenen geht es auch um Geburt, Sex und Tod.

„Die gute Mutter“: Das ist natürlich Maria mit dem Jesuskind. Sakrale Statuen aus der Sammlung wurden für die Ausstellung arrangiert. Links: eine Idylle von Hans Thoma, „In der Hängematte“ (1876). Foto: bikö
Es fängt ganz harmlos an, mit der „Guten Mutter“. Das ist zunächst mal die Jungfrau Maria mit dem Jesuskind, die gleich in vielfacher Ausfertigung aus der sakralen Sammlung geholt und auf kleinen Podesten vor einer azurblauen Wand schwebt. Ein milde lächelndes Vorbild an Sanftmut und Güte. Was man von einem Selbstporträt der Düsseldorfer Künstlerin Judith Samen nicht sagen kann. 1997 fotografierte sie sich selbstironisch beim ruppigen „Brotschneiden“, während sie ihr nacktes Baby unter den Arm geklemmt hat, Hintern nach vorne. Die Ähnlichkeit des Babys mit dem Brot ist eklatant.

Melancholisch expressiv: die Mutter-und-Kind-Bilder von Paula Modersohn-Becker (1902-1905). Foto: bikö
Der große Konflikt
Gleich daneben darf man Platz nehmen und einen der zahllosen Ratgeber studieren, die seit 200 Jahren das korrekte Muttersein beschreiben. Der große Druck, das mütterlich Richtige zu tun, entstand eigentlich erst in der Bürgerschicht des Biedermeiers, als die Mütter sich selbst um die Kinder zu kümmern begannen. Zuvor gab, wer es sich leisten konnte, den Nachwuchs an Profi-Ammen ab. Heute ist das Stillen auch für die berufstätige Frau eine moralisch-gesundheitliche Pflicht, weshalb grausige Geräte wie die ausgestellte Brustpumpe von 1956 in moderner Ausführung immer noch gebräuchlich sind.

Ratgeber bis unter die Decke: Mütterliteratur darf hier studiert werden. An der Wand: die Fotografie „Brotschneiden“ von Judith Samen (1997). Foto. Bikö
Jede Mutter kennt das Hin- und Hergerissensein zwischen Beruf und dem, was heute „Care-Arbeit“ heißt. Eine Skulptur der Französin Camille Henrot, die eine Frau auf milchproduzierende Brüste, allzeit bereite Hände und bequeme Jeans reduziert, bringt es auf den Punkt: „End of Me“. Karl Janssens marmorne „Steinklopferin“ von 1902 hatte keine Wahl und keinen Mutterschutz: Ihr Säugling liegt neben ihr, während sie den Hammer schwingt. Um die gleiche Zeit malte Paula Modersohn-Becker auf ihre dunkel expressive Art im ländlichen Worpswede stillende Mütter und ihre Kinder. Sie wünschte sich innig selbst ein Baby und starb 1906 tragischerweise nach einer schwierigen Geburt.

Kritik der Idylle: die Skulptur „End of Me“ von Camille Henrot vor ironischen Fotoarbeiten von Talia Chetrit. Foto: bikö
Nur kein Schmus
Gegenüber einer entzückenden Puppenküche von 1890 zeigt sich die Fotokünstlerin Katharina Bosse nackt auf der Heide mit ihrem Baby an der Brust und zwischen den Beinen. Ihre vor 20 Jahren entstandene Serie „Portrait of the Artist as a Young Mother“ macht klar: Der Mensch ist letztendlich nur ein Säugetier, weshalb manche Frauen sich entscheiden, lieber kein Kind zu bekommen. Auch ein Thema der Ausstellung, die sowieso keinen Schmus macht.

„La Mamma“ nannte der Designer Gaetano Pece 1969 seinen roten Kuschelsessel. Dahinter irritiert ein Schrift-Bild von Lara Jordan: „Hemmung: Deine Mutter anrufen und auflegen“. Foto: bikö
„Deine Mutter anrufen und auflegen“ schlägt ein plakatives Schrift-Bild von Lara Jordan vor. Fürs Herz gibt es zum Glück trotzdem genug Bilder, wie das zauberhafte Porträt, das die früh emanzipierte, alleinstehende Künstlerin Marie-Victoire Lemoine um das Jahr 1800 von ihrer Schwester Geneviève und deren rosigem Töchterchen in einer fröhlichen Umarmung malte.
Wärme und Kraft

Eine wandhohe Fotocollage der amerikanischen Künstlerin A.L. Steiner führt „Puppies & Babies“ zusammen. Foto: bikö
Den Kuratorinnen ist allerdings der letzte Ausstellungsraum wichtiger. Der wird dominiert von einer wandhohen Fotocollage der amerikanischen Konzeptkünstlerin A.L. Steiner, die „Puppies & Babies“ zusammenführt. Man sieht Schnappschüsse von Schwangeren und Kindern in intimen Situationen, gleichgeschlechtliche Paare und Leute, die mit ihren Hunden kuscheln.
Hier gehe es, so Linda Conze, nicht mehr um die Frage: „Wer ist die Mutter!“, sondern: „Wer handelt mütterlich?“ Auch Besucher, die dem Museum einen Beitrag für eine Toncollage geschickt haben, erhöhen die Mütterlichkeit zur geschlechtsneutralen Tugend und bezeichnen sie als „Wärme und Kraft, die uns als Gesellschaft tragen kann.“ Oh Mama, das ist schön!

Werbung für Vielfalt war die Benetton-Werbung von Oliviero Toscani in den 1990er-Jahren. Links: ein Familienbildnis von Anton Wilhelm Tischbein (1776). Foto: bikö
Was, wann und wo?
„MAMA. Von Maria bis Merkel“: bis 3. August im Kunstpalast Düsseldorf, Ehrenhof 4-5. Geöffnet Di.-So. 11 bis 18 Uhr, Do. bis 21 Uhr. Ticket: 16 Euro (für alle Ausstellungen und die Sammlung). Dank des Sponsors L’Oréal kostet der Eintritt am Muttertag, 12. Mai, nur fünf Euro. Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren haben immer freien Eintritt. Ein Audioguide mit der Stimme von Marie-Luise Marjan, der Mutter Beimer aus der „Lindenstraße“, kann für drei Euro ausgeliehen werden. Den sonnengelben Katalog aus dem Hirmer Verlag, den nicht nur Kunsthistorikerinnen betextet haben, gibt es für 39,80 Euro im Shop. Infos und Begleitprogramm: www.kunstpalast.de