Galerien in Düsseldorf: Von Häusern und Menschen
Die eine behauptet sich im krassen Flingern, zwischen Trödelladen und Barbershop, wo die Kunst jung ist. Die andere residiert, wo Düsseldorfs altes Herz schlägt, im historischen Atelierhaus an der Poststraße. Die Galeristinnen Linn Lühn und Clara Maria Sels sind so unterschiedlich wie ihre Geschäfte. Aber zurzeit zeigen beide Werke von wunderbaren alten Damen aus der Zeit, als die Fotografie noch keine digitalen Tricks kannte. Bei Linn Lühn geht es um die 1937 in Düsseldorf geborene Irmel Kamp, bei Clara Maria Sels um die heute 91-jährige Eva Rubinstein. Die Themen: Straßen, Häuser, Spuren der Menschen. Natürlich in Schwarz-Weiß.
Galerie Linn Lühn
Irmel Kamp
Linn Lühn gehört nicht zu den Galeristen, die genauso gut Autos verkaufen könnten. Die gebürtige Norwegerin ist selbst Künstlerin, hat in London, Karlsruhe und Düsseldorf studiert, war Meisterschülerin von Jan Dibbets an der hiesigen Akademie. Mit gestalterischem Anspruch gründete sie 2006 ihre Galerie, reüssierte zunächst in Köln, zog aber 2011 mit wehenden Fahnen nach Düsseldorf um. Denn hier, sagt sie, wird die Kunst viel mehr geliebt und gefördert: „Ein Eiland der Glücklichen“ für die Branche. Das hört man gerne. An der Birkenstraße, neben der Sammlung Philara, fand Linn Lühn den Laden der Möglichkeiten: einen aufgegebenen Kiosk mit großem Getränkelager. Heute eine helllichte kleine Kunsthalle – erweitert um zwei weitere Läden, einen ehemaligen Friseur und eine Änderungsschneiderei.
Obgleich Fotografie nicht ihr Spezialgebiet ist, war die Galeristin gleich fasziniert von Irmel Kamps Architekturfotografie. Wie das legendäre Düsseldorfer Duo Hilla und Bernd Becher nahm Kamp serienweise Gebäude einer halb versunkenen Moderne auf. Aber anders als die industriefixierten Bechers interessierte sich die Autodidaktin zum Ende des vorigen Jahrhunderts besonders für ehemals avantgardistische Wohnhäuser, mit all ihren Rissen und Brüchen und Geschichten. Irmel Kamps Bilder von 30er-Jahre-Architekturen aus Tel Aviv und Brüssel, auf warmem Barytpapier, zeigen Beton, aber sie erzählen vom Leben. Mit Palmen, Mülltonnen, unzähligen Antennen, Kabeln, Drähten und manchmal mit zufällig anwesenden Passanten.
Blinde Fenster
Das „House Levy“ steht auf einer Anhöhe in Tel Aviv. Schmal wie ein Schiff, mit geschwungenen Terrassen an der Spitze in eine imaginäre Ferne weisend. Ein kühnes, skulpturales Bauwerk, das in der salzig-feuchten Luft der Stadt schwer gelitten hat. Man sieht es bröckeln. Und doch behauptet es sich, genau wie das Haus Gavrilovitch, dessen runde Balkone trotzig nach vorne in die Sonne ragen, während Austritte daneben in tiefem Schatten liegen. Verschlossene Türen, blinde Fenster an einem Eckgebäude, das vielleicht mal ein Kino war, ein Lokal, ein Geschäft.
Die klassisch-modernen Villen in Brüssel sind besser in Schuss. Feine Adressen. Aber das schickste Haus, frisch getüncht, war ursprünglich, wie die Galeristin weiß, nur das Vorgebäude eines repräsentativen Anwesens. Und der Klotz der alten Brasserie und Brauerei Wielemans steht seltsam verloren zwischen einer Eisenbahnbrücke und einem beklebten Jägerzaun, umgarnt von Hochspannungsleitungen, umgeben von Ampeln, Schildern, Gleisen und abgetretenen Zebrastreifen. Typisch Stadt: Der Mensch verhunzt die Ästhetik. Die Fotografin zeigt das mit liebevoller Nüchternheit.
Galerie Clara Maria Sels
Eva Rubinstein
Die Galeristin Clara Maria Sels hat eine ganz persönliche Verbindung zu Eva Rubinstein. Erst kürzlich besuchte sie die immer noch blitzwache Fotokünstlerin beim Klavierfestival im polnischen Lódz, Heimatort von Evas Vater Artur Rubinstein, dem weltberühmten Pianisten (1887-1982). Während einer Konzerttournee wurde die Tochter 1933 eher zufällig in Buenos Aires geboren und verbrachte ihre ersten Jahre in Paris, bevor die Familie 1939 vor den Nazis und dem Krieg in die USA fliehen musste. Dort begann die zierliche junge Frau eine Karriere als Ballerina und Schauspielerin – ihre Anmut glich der von Audrey Hepburn, wie alte Porträts zeigen.
Doch in ihren späten 30er-Jahren wechselte Eva Rubinstein die Position. Sie begab sich hinter die Kamera. Wie ein Geist erscheint sie 1972 in einer verschatteten Zimmerecke auf einem „Self Portrait in Shadows“. Flankiert von zwei Fenstern mit zarten Gardinen, die zu Schleiern werden wie die Nebel, die sie 1984 in einem Warschauer Park fotografierte. Eva Rubinstein interessiert sich nicht für Attraktionen. Sie folgt ihrer Melancholie und sucht die Schönheit des Unbeachteten.
Die Abwesenheit
Ihr genügt als Motiv der Lichtschein, der in einem Schulschlafsaal aus einem Bogenfenster auf einen Heizkörper fällt. Ein offenes Törchen vor einer Säule in Jerusalem. Der mit einer Folie zugedeckte Flügel in Chopins Geburtshaus. Das Hochzeitsbild an der Wand einer polnischen Bauernküche. Der wehende Vorhang neben dem Bett im ehemaligen Zimmer ihrer Mutter. Einige Bilder zeigen Betten, Kissen, verknautschte Laken, Faltenwürfe, die vom Leben und Lieben zeugen. Doch Betten stehen auch für Geburt und Tod. Das spürt man beim Anblick dieser stillen Fotografien.
Eva Rubinstein zeigt nie etwas Drastisches. Ein frühes Foto eines nackten Mädchens, das sich wie ein Embryo in einem herrschaftlichen Sessel zusammenrollt, Schutz suchend, ist schon der Gipfel des Dramas („Nude in Chair“, 1968). In den 1980er-Jahren fand die Künstlerin ihren Ausdruck in verlassenen Dingen. „Restaurant“ nennt sie lapidar das Bild eines Esstischs mit neun Stühlen für Personen, die bereits gegangen sind. Davon zeugen die fast leere Weinflasche, eine Neige in den Gläsern, zwei Espresso-Tassen, Dessertbecher, zerknüllte Servietten. Feier der Abwesenheit.
Was, wann und wo?
Galerie Linn Lühn: „Irmel Kamp“. Bis 15. März. Birkenstraße 43. Geöffnet Do./Fr. 13 bis 18 Uhr, Sa. 12 bis 16 Uhr und nach Vereinbarung. Tel. 0151 / 22 37 39 74. www.linnluehn.com
Galerie Clara Maria Sels: „Eva Rubinstein: Brief Encounters“. Vintage-Prints und Editionen. Bis 25. Februar verlängert. Poststr. 3 (nahe Maxkirche). Geöffnet Di.-Fr. 15 bis 18.30 Uhr, Sa. 12 bis 15 Uhr. Tel. 0211 / 328 020. www.galerie-claramariasels.de