Überschäumend: „Die Gischt der Tage“ im Schauspiel Düsseldorf
Ganz Paris träumt von dieser irren Romanze: „Die Gischt der Tage“, besser bekannt als „Der Schaum der Tage“, ein 1946 publizierter Roman des Surrealisten, Journalisten und Jazz-Trompeters Boris Vian, hebt die Logik auf und verwandelt die Dinge wie im Traum. Das Buch ist Kult, wurde vertont und verfilmt. Im letzten Kinostück, das Michel Gondry 2013 drehte, glänzen die französischen Superstars Audrey Tautou, Romain Duris und Omar Sy. Nicht leicht, neue Bilder zu schaffen. Bernadette Sonnenbichler und der Videokünstler Stefano Di Buduo haben das im Düsseldorfer Schauspielhaus geschafft – mit einer überschäumenden Inszenierung.
Vielleicht ist das ja eine Frage des Alters. Die jüngere Künstlergeneration sucht selten nach der strengen Form für einen schwierigen Text. Reizüberflutung wird vom Homo Digitalis als normal empfunden. Und so gibt es keinen Moment der Ruhe in der zweistündigen, pausenlosen Vorstellung. Auf Leinwänden und Kulissen lässt Di Buduo elegante Figuren schweben und verschwimmen, Wellen brechen, träumerische Blumen aufblühen, bis sie zu Tentakeln werden – Hinweis auf die Geschichte. Denn in der Brust der schönen Chloé wächst eine Lotosblüte und nimmt ihr die Luft zum Atmen. Das geht nicht gut aus.
Lotos in der Lunge
Lotos? In früheren Übersetzungen war es die Seerose: ein poetisches Bild für Tuberkulose, Krebs oder ein Lungenödem, an dem der Autor Boris Vian tragischerweise selbst mit 39 Jahren sterben musste. In seiner lyrischen Prosa hatte er das Leben der Pariser Bohème mit märchenhaften Vorstellungen entfesselt. Der Hauptheld Colin (Sebastian Tessenow), wohlhabend, verspielt, erfindet ein Cocktailpiano – in der neuen, superkorrekten Übersetzung von Frank Heibert heißt das etwas sperrig „Drinklavier“ (nur ein k) – und zaubert mit Tönen köstliche Getränke.
Das ist nicht ungewöhnlich in einer Welt, wo zwei Sonnen scheinen und eine sprechende Maus den Boden putzt. In der Düsseldorfer Version ist die Maus außerdem ein Jazztrompeter (brillant: Richard Koch), der mit seinem Sound das ganze Stück begleitet. Des Weiteren spuken herum: Colins kreativer Koch Nicolas (Jürgen Sarkiss), der einen kecken Aal aus dem Wasserhahn zieht und zu Pastete verarbeitet, und Colins Freund Chick (Jonas Friedrich Leonhardi), der sein ganzes Geld für die Bücher von Jean-Sol Partre (ja, Jean-Paul Sartre war gemeint) ausgibt.
Clowns der Liebe
Das gefällt Chicks Liebchen nicht. Alise (Fnot Taddese mit bauschigen Röcken und großer Spielfreude) verwandelt sich mit Hilfe eines Kissenbauchs auch mal in den Arzt, der viel kassiert, aber nichts ausrichten kann gegen den Lotos in Chloés Lunge. Slapstick, auch mit Sprühsahne, gehört hier zur Show wie groteske Tänze und Verrenkungen. Die Regisseurin schickt die Figuren als getriebene Clowns auf die Bühne. Lediglich Sophie Stockinger in der Rolle der Chloé, die zur großen Liebe und Ehefrau von Colin wird, spielt von Anfang an auf einer anderen, entrückten Ebene, als sähe sie schon den Tod, der ihr droht.
Mit dem unheimlichen Lotos wächst ein Unbehagen in der Clique. Colin verliert sein Geld und sucht Arbeit in absurden Branchen, wo man zum Beispiel mit Körperwärme Waffen in die Erde wachsen lässt. Alise wird zur Brandstifterin und ermordet Jean-Sol Partre mit einem „Herzausreißer“. Als dunkler und enger werden die Räume beschrieben, die Jazz-Maus legt freiwillig den Kopf in den Rachen einer Katze. Das ist furchtbar, aber zum Glück nicht realistisch. Es wallt viel Theaternebel, der Jazz gibt den Takt vor, und das Premierenpublikum fühlt sich offenbar gut unterhalten.
Weitere Vorstellungen:
„Die Gischt der Tage“ nach dem Roman von Boris Vian wurde von Bernadette Sonnenbichler inszeniert. Bühnenbildner ist der Videokünstler Stefano Di Buduo. Die nächsten Vorstellungen des Stücks im Kleinen Haus des Düsseldorfer Schauspielhauses: 23. Januar und 9. Februar, jeweils 20 Uhr. www.dhaus.de