Ronya Othmanns erhält den Literaturpreis der Kunst- und Kulturstiftung der Stadtsparkasse Düsseldorf
Mit dem Heine-Zitat „Von allen Welten, die der Mensch erschaffen hat, ist die der Bücher die Gewaltigste“ leitete Literaturkritiker und Jurymitglied Tobias Lehmkuhl die Verleihung des Literaturpreises der Kunst- und Kulturstiftung der Stadtsparkasse Düsseldorf am Mittwoch (16.10.) ein. Er würdigte die Tradition der Stiftung, die seit dem Jahr 2002 Autor*innen auszeichnet, deren deutschsprachiges literarisches Werk formal oder inhaltlich Bezug auf andere Künste, beispielsweise bildende und darstellende Kunst, Musik oder Medien, nimmt. Der Preis ist mit 20.000 Euro dotiert und wurde in diesem Jahr an Ronya Othmann verliehen.
Zur siebenköpfigen Jury gehörten die Literaturkritiker Dr. Maike Albath, Tobias Lehmkuhl, Dr. Hubert Winkels, die Direktorin des Heinrich-Heine-Instituts, Dr. Sabine Brenner Wilczek, der Leiter des Literaturbüros NRW, Michael Serrer, die Geschäftsführerin der Sparkassen-Kulturstiftung Rheinland, Dorothée Coßmann und der Inhaber der Literaturhandlung Müller & Böhm im Heinehaus, Rudolf Müller. In ihrer Begründung führte die Jury aus: „In ihrem dokumentarischen Roman „Vierundsiebzig“ erzählt Ronya Othmann auf so eindrucksvolle wie erschütternde Weise vom Völkermord an den Jesiden durch den Islamischen Staat. Die Tochter einer deutschen Mutter und eines aus Nordsyrien stammenden jesidischen Vaters geht ihrer eigenen Herkunftsgeschichte nach, rekonstruiert den Hergang des Genozids in der Shingal-Region, berichtet von jenen, die vertrieben oder in die Sklaverei gezwungen wurden und reist auf den Spuren jenes titelgebenden „74. Ferman“, des 74. Massakers an ihrem Volk selbst in die Türkei und in den Nordirak. Der Kultur der Jesiden, die nicht auf Schrift gründet, hat sie damit ein einzigartiges literarisches Dokument geschenkt. Im Bewusstsein einer jahrhundertelangen Geschichte der Verfolgung verschränkt Othmann die Identitätssuche der Erzählerin mit historischen Berichten, zeitgenössischen Zeugnissen und intensiven Beschreibungen jener Landschaft, die für das kleine Volk der Jesiden Heimat bedeutet. Das eigene Schreiben selbst ständig hinterfragend steht „Vierundsiebzig“ zudem exemplarisch für den Versuch, einen Genozid und seine Folgen im 21. Jahrhundert in Worte zu fassen.“
Die Laudatio hielt Tobias Lehmkuhl, der auf viele Details des Buchs und der Geschichte der Jesiden einging. Er beschrieb die „Dokumentationswut“ der Autorin, die auch in ihrem Debütroman „Die Sommer“ begründet ist. Obwohl „Roman“ auf dem Umschlag von „Vierundsiebzig“ steht, sei es eher ein Reisebericht, eine Autobiographie, eine Reportage, ein Essay. Denn es ginge nicht um erfundene Figuren und fiktive Handlungen, so Lehmkuhl. Ronya Othmann beschreibt die wahre Geschichte ihrer Familie, ihres Volkes und den Genozid von 2014.
Für die rund 200 Gäste las Ronya Othmann im Forum der Stadtsparkasse an der Berliner Allee aus ihrem Buch „Vierundsiebzig“, das im Rowohlt Verlag erschienen ist. Den musikalischen Rahmen gestalteten Studierende der Robert Schumann Hochschule.