Hilflos: „Draußen vor der Tür“ im Schauspielhaus Düsseldorf
Das kurze Leben des Dichters war selbst eine Tragödie. Wolfgang Borchert fiel nicht im Krieg, er wurde davon zerstört. Wider Willen eingezogen, von den Nazis verhaftet, zur „Frontbewährung“ nach Russland geschickt, schwer krank geworden, aus Gefangenschaft geflohen, schleppte er sich zu Fuß nach Hause, halb verhungert. Mit neuen Texten versuchte er, wieder lebendig zu werden. Er schrieb fieberhaft und starb doch mit 26 Jahren im November 1947 an den Folgen seiner Hepatitis, am Tag vor der Uraufführung von „Draußen vor der Tür“, einem Drama, das, wie Borchert provokant schrieb, „kein Theater spielen will und kein Publikum sehen will“. Es wurde zum deutschen Antikriegsstück schlechthin und ist jetzt endlich einmal wieder am Düsseldorfer Schauspielhaus zu sehen.
Nie wieder Krieg! Lange Zeit entsprach die radikal pazifistische Position Borcherts („Sag NEIN!“) der gesellschaftlichen Grundstimmung. Das ist vorbei in einer Gegenwart, die von unvermeidbaren Kriegen spricht und sich im Namen der Vernunft schwer bewaffnet. Wie wir alle befindet sich das Theater in Gewissenskonflikten. Der 40-jährige Regisseur Adrian Figueroa, der sich gerne mit der Moral der Altvorderen auseinandersetzt und 2022 eine teuflisch genaue Inszenierung von Frischs „Biedermann und Brandstifter“ ablieferte, hat sich entschlossen, auf Gegenwartsbezüge zu verzichten. Keine Bilder aus der Ukraine oder dem Nahen Osten. Aber man sieht auch nichts von der zerbombten Stadt Hamburg, wo der zerschundene Kriegsheimkehrer Beckmann nach „tausend Nächten in der Kälte“ eine Zuflucht sucht und „draußen vor der Tür“ bleibt.
Zeitlose Hölle
Das Stück, im Großen Haus inszeniert, spielt in einer zeitlosen Hölle. Kaltes Licht durchschneidet die Finsternis im leicht vernebelten Irgendwo. Zerstörung ist nicht auszumachen. Die Menschen selbst sind das Entsetzliche. Figueroa, auch ein engagierter Filmemacher, zeigt ihre verkrallten Hände und stummfilmhaft geschminkten Gesichter in gewaltigen Vergrößerungen, die er auf dunkle, sich drehende Kuben projiziert (Bühne: Irina Schicketanz). Es gibt keine Ruinen bürgerlicher Architekturen, nichts Vertrautes, keinen festen Boden. Und die schwarzen Klötze erweisen sich als hermetische Behausungen von Untoten, zu denen Ex-Unteroffizier Beckmann vergeblich Verbindung sucht.
Der lange dünne Bayer Raphael Gehrmann, eigentlich ein gut gelaunter Bariton, hat als Beckmann keine Lieder. Er humpelt in alten Mänteln umher. Das Knie des Soldaten ist kaputt, eine groteske Gasmaskenbrille hilft ihm zu sehen, die richtige Brille ging längst verloren. Als „Gespenst aus dem Krieg, für den Frieden provisorisch repariert“ fühlt sich der Mann. Und er lamentiert: Seine Frau hat einen anderen, sein Kind starb bei einem Bombenangriff, er ist hungrig und weiß nicht wohin. Also geht er ins Wasser. Doch er darf noch nicht sterben, muss weitere Abweisungen erleben.
Keine Erlösung
Vorwärts getrieben wird er von dem „Anderen“, dem Ja-Sager, „der glaubt, der lacht, der liebt“. Figueroa lässt die surreale Figur als Beckmanns Alter Ego spielen, im gleichen Kostüm, als optimistische Version. Die kleine, topfitte Sonja Beißwenger turnt und tanzt in der Rolle umher, sie gibt nicht auf, sie kann schreien, viel lauter als Beckmann. Der wird von einem „Mädchen“ gefunden (sehr bleich: Pauline Kästner), das Mitleid zeigt, aber nur Ersatz für einen vermissten Mann sucht. Wie im Alptraum besucht Beckmann dann den Oberst (schön fies: Florian Lange), der sein Essen verschlingt und sich weigert, die Verantwortung zurückzunehmen, die er einst dem Unteroffizier Beckmann gab, bevor der seinen Trupp in den Tod führte.
Der Oberst lacht ihn aus. Weshalb Beckmann, wie Borchert selbst, versucht, beim Kabarett zu reüssieren. Doch der zirkustaugliche Direktor (Thiemo Schwarz) will von der Wahrheit nichts wissen. Als Beckmann schließlich feststellen muss, dass sich seine Altnazi-Eltern umgebracht haben und eine fremde Frau (scharfkantig: Claudia Hübbecker) in der Wohnung lebt, gibt er auf. Er will vom Tod, einem lakonischen Straßenfeger (Markus Danzeisen), geholt werden. Andere Nebenfiguren wie Gott, die Elbe und die Familie des Obersts, wurden gestrichen. Keine zwei Stunden dauert die konzentrierte Fassung. Die Aussage bleibt eher vage – wie der Ausgang des Stücks. Aber das passt durchaus zur allgemeinen Hilflosigkeit. Und so löst das Publikum die Anspannung am Ende mit Jubel und stehendem Applaus.
Die nächsten Vorstellungen
„Draußen vor der Tür“ von Wolfgang Borchert in der Inszenierung von Adrian Figueroa hatte Premiere im Großen Haus des Düsseldorfer Schauspielhauses am Gründgens-Platz. Weitere Vorstellungen am 18. und 27. Oktober, am 6. und 10. November sowie am 2. Dezember. Verschiedene Anfangszeiten. Empfohlen auch für Schüler ab der 10. Klasse. Informationen und Tickets unter www.dhaus.de