Mekka für Beuys-Fans: Stiftung öffnet sein Haus in Düsseldorf-Oberkassel
Es war eine spärliche Geste, als Oberbürgermeister Stephan Keller im 100. Geburtsjahr von Joseph Beuys eine Gedenktafel am einstigen Domizil des rheinischen Kunstgurus enthüllte. Gewiss, 2021 tobte die Pandemie. Ausstellungen blieben ungesehen, die Welt hatte andere Sorgen als mangelndes Kulturverständnis. Vielleicht gab es deshalb keinen Sturm der Entrüstung über die Tatsache, dass weder Stadt noch Land willens waren, das auf dem freien Markt befindliche Atelierhaus für die Öffentlichkeit zu erwerben. Die Brunhilde Moll Stiftung hat sich jetzt darum gekümmert. Sie kaufte das Haus am Oberkasseler Drakeplatz und öffnet es an diesem Wochenende mit einer exquisiten Ausstellung. Thema: Beuys. Was sonst?
Viel Aufhebens wurde bisher nicht um das Projekt gemacht. Ganz diskret unterschrieb man Anfang letzten Jahres der Vertrag. Wie es heißt, war der Vorbesitzer, Werbefotograf Reinhold Schroers, recht froh, dass er die kunsthistorisch relevante Immobilie nun doch nicht an die meistbietenden Luxuskunden verkaufen musste. Letzte Beuys-Spuren wie das kunstvolle Loch seines Ofenrohrs im Erdgeschoss, den alten Rosenstrauch hinterm Haus, einen aus Pflastersteinen gebastelten Gartentisch und das knallrosa gekachelte Badezimmer hatte Schroers wohlweislich bewahrt.
Kunst und Gehirn
Über den verlangten Preis wird vornehm geschwiegen. Die Moll Stiftung, geführt von Kölner Juristen, konnte bei der Verhandlung jedenfalls mithalten. Und engagierte ein Expertenteam. Architekt Elmar Joeressen sorgte für eine behutsame Sanierung mit barrierefreiem Zugang, um Fragen der Kunst kümmern sich Gerhard Finckh, der pensionierte Direktor des renommierten Wuppertaler Von-der-Heydt-Museums, und Christian Krausch, Geschäftsführer des Mönchengladbacher Museumsvereins Abteiberg. Die künstlerische Leitung der Stiftung hat eine Kulturmanagerin: Elza Czarnowski, die nun in einem kleinen Büro neben dem knallrosa Bad der Familie Beuys arbeitet.
Stifterin Brunhilde Moll, die heute 87-jährige Tochter des Düsseldorfer Autohaus-Gründers Adelbert Moll, hatte eigentlich keine besondere Beziehung zur modernen Kunst im Allgemeinen und zu Beuys im Besonderen. Aber zu Ehren ihrer 2018 verstorbenen Tochter, der Malerin Vera Laros, teilte sie den Zweck ihrer erbschweren Stiftung 2020 zwischen der Förderung von Hirnforschung und der Kunst. Und sie ließ sich überzeugen, dass das Beuys-Haus der ideale Sitz für ihre Stiftung ist. Es gibt dort Platz genug, um oben über den kleinen feinen Erdgeschoss-Ausstellungen künftig junge Stipendiat*innen wohnen und arbeiten zu lassen. Bett und Wanne auf der Empore des Werkraums sind schon bereit.
Kunst und Politik
So wird der Drakeplatz Nr. 4 wieder zu dem Atelierhaus, das der Bildhauer Albert Pehle zwischen 1902 und 1908 von Thilo Schneider bauen ließ. Schon vor Beuys, der 1961 mit seiner Frau Eva hier einzog, lebten mindestens 20 verschiedene Künstler hier. In einem Büchlein führt Gerhard Finckh sie auf – von dem österreichischen Tiermaler Albert Reibmayr (1911/12) und dem Expressionisten Walter Ophey (vor dem Ersten Weltkrieg) bis hin zum Abstraktionsmeister Gotthard Graubner, der seinem Freund Beuys das Atelier vermittelte. Hier wohnte Beuys 14 Jahre, bevor er mit der Familie in das Haus um die Ecke zog, behielt den Drakeplatz 4 aber zeitlebens als Domizil für Kunst und politische Absichten.
Seine Witwe Eva und die 1964 geborene Tochter Jessyka leben immer noch nebenan. Es gibt aber keine Verbindung. Wie man weiß, ist Eva Beuys auf Abwehr gebürstet. Eine Charme-Offensive in Form eines Briefes von Gerhard Finckh blieb gänzlich unbeantwortet. Man ist vorsichtig. Um Streitigkeiten über Urheberfragen zu vermeiden, darf in der Ausstellung nicht fotografiert werden. Also: Handys weg und hinschauen! Etwa 60 Zeichnungen und Objekte, Leihgaben vorerst, zeigen den sensiblen Beuys.
Kunst und Natur
Das beginnt mit einer ganz frühen Skizze des Kunststudenten Jupp Beuys von 1949, die etwas Verschachteltes, Unkenntliches zeigt. Erst die Zeit und die Entwicklung des Kunstmarkts haben das Stück Papier aus der Sammlung der Galerie Klüser zu etwas Besonderem gemacht – genau wie Notizzettel aus den frühen 1970er-Jahren, als Professor Beuys wegen Überfüllung seiner Klasse aus der Akademie entlassen worden war und die Idee der Sozialen Plastik propagierte. Jedes Wort, das er in seiner krakeligen Handschrift zwischen freien Schwüngen mit dem Bleistift schrieb – Kreativität, Gleichheit, Volksvermögen – ist eine Zeichnung.
Und jedes Ding, womit er künstlerisch spielte, ist eine Skulptur – wie das „Telephon S—–E“ aus zwei Blechbüchsen und einem Bindfaden oder das berühmte Multiple „Capri-Batterie“ aus einer gelben Glühbirne mit Stecker auf einer auswechselbaren Zitrone. Beuys’ Hinweis darauf, dass alle Energie letztendlich aus der Natur kommt. Wie die Stiftung weiter damit umgeht, wie oft die Ausstellungen wechseln und ob sie selber eine Sammlung anlegt, wird man in der Zukunft sehen. Bei Beuys am Drakeplatz.
Was, wann und wo?
Das ehemalige Wohn- und Atelierhaus von Joseph Beuys (1921-1986) am Drakeplatz 4 in Düsseldorf-Oberkassel ist jetzt Sitz der Brunhilde Moll Stiftung und wird für das Publikum geöffnet. Eine Ausstellung mit 60 Arbeiten von Beuys, außerdem Fotografien aus seinem Leben von Michael Ruetz und Erika Kiffl kann bei freiem Eintritt besichtigt werden. Samstag/Sonntag 12 bis 16 Uhr, Dienstag 12 bis 16 Uhr, Donnerstag 14 bis 18 Uhr.