Mime im Museum: K21 Düsseldorf zeigt die Fotokunst von Lars Eidinger
Er war der verrückteste „Hamlet“ aller Zeiten. Sein „Peer Gynt“ gab er als gruseligen Clown, zum herrlichen Fürchten war sein „Richard III.“, das königliche Monster, hemmungslos tobte er als „Jedermann“ in Salzburg. Fernsehen, Netflix, großes Kino: Lars Eidinger kann’s. Französische Filmstars schwärmen für ihn, das Feuilleton verneigt sich immerzu. Wer ist der Mann? Ein Berserker? Och, nö. Er kann auch ganz anders. Höflich, eloquent und nur ein bisschen ungeduldig („Das ist jetzt genug.“) präsentierte er im Düsseldorfer K21 eine andere Art von Kreativität: seine treffsichere Fotokunst. Titel: „O Mensch“, um mit Nietzsche zu seufzen.
Eine übergroße Nähe zum Showgeschäft kann man Susanne Gaensheimer, der eher strengen Chefin der Kunstsammlung NRW, nicht attestieren. Dass sie einem Berliner Schauspieler, der zwischendurch Fotos und Videos von skurrilen Stadtszenen macht, eine monografische Ausstellung in der Düsseldorfer Landesgalerie der Moderne einräumt, ist eine Überraschung. Und irgendwie mutig. Eidinger weiß das auch. Er sitzt ganz artig neben der Professorin Gaensheimer am Podium der Pressekonferenz, lächelt manchmal spitzbübisch und betont dann, wie glücklich er mit dem Team sei, „das so offen und vorbehaltlos war“.
Power und Poesie
Seit Sonntag hat er mit der erfahrenen Kuratorin Doris Krystof „von früh bis spät“ an der Hängung gearbeitet, und, so Krystof, „es war toll“. Jetzt tanzt in der Mitte der Säle in der Bel Étage ein riesiges rotes Ballon-Männchen, ein sogenannter Skydancer (Himmelstänzer), gedacht für die Outdoor-Werbung, und wedelt mit den Armen. Lars Eidinger hat ihn, genau wie einen Starbucks-Becher mit reingedrücktem Heiligenbildchen, zur Ergänzung ausgesucht, als „Objet trouvé“, gefundenes Objekt. Ist originell, aber gar nicht nötig. Seine Fotos haben auch so Power genug. Und Poesie in Form von Haiku, die die japanische Dichterin Yoko Tawada mit sehr zarter Hand an die Wand schrieb.
„Gelenkig bleiben / Und im Märchenhaus leben / Noch viele Jahre“ steht neben einem Bild, das er 2013 in Peking aufnahm. Ein Mädchen kauert an einer roten Kinderspielhütte auf einem Hocker, beugt sich weit nach vorne und lässt den Kopf hängen, wahrscheinlich, um sich zu entspannen. Aber wer weiß das schon? Die Rätselhaftigkeit des Alltags ist, was Eidinger uns zeigt. Dabei legt er Wert darauf, dass er weder „die Welt erklären“ noch Sozialkritik üben will. Nur zeigen, was ihm auffiel, und fragen: „Wer sind wir?“ Figuren jedenfalls in einer erschöpften Gesellschaft, fern aller Idyllen.
Der schnelle Blick
Die meisten Fotos macht Eidinger heute ganz spontan mit dem Smartphone, obwohl er es „gar nicht smart“ findet, sondern für „ein Instrument zur Volksverdummung“ hält. Erschreckend, wie die Menschen „in den Geräten verschwinden“ und kaum noch hochsehen. Er, Eidinger, nutzt das Ding als Telefon und als Fotoapparat. Er kann damit impulsiver arbeiten als mit der Spiegelreflexkamera, die er für Großformate immer noch benutzt. Soso. Mit dem Handy fotografieren? Kleine Filmchen machen, die das Motiv in Bewegung setzen? Kann doch jeder. Okay. Aber nicht jeder sieht die richtigen Motive und schafft daraus eine Erzählung vom Leben in den Städten. „Die Bildsprache lässt mehr zu als das gesprochene Wort“, sagt ausgerechnet der Schauspieler und Großmeister der Texte.
Ganz still zeigt er uns einen Totenschädel auf einem Handtuch. Requisit wahrscheinlich aus einer „Hamlet“-Vorstellung, abgelegt in der Garderobe. Wie auch immer. „Sein oder nicht sein, das ist hier die Frage“, die jeden Betrachter beschleicht. Nicht weit davon hängt das nüchterne Foto einer Betonarchitektur mit leeren Balkonen und einem Schild: DISCO. Wo soll die sein in dieser Ödnis? Eine Antwort gibt es nicht. Aber ein Haiku der japanischen Dichterin: „Verblasst sind ferne / Jahre, da hast du getanzt / ohne Zuschauer“.
Absurdes sehen
So geht es weiter mit den Eindrücken, die Lars Eidinger mit seinem Publikum teilt, ohne selbst dazu mehr zu sagen als: „Ich fühle mich frei.“ Er hält fest, was ihn auf Spaziergängen reizt: das Seltsame, Absurde, Witzige, Triste. Zerdrückte Stahlbügel an einem Baum, zwei gleich angezogene Leute in weißen Daunenjacken, zwei Schaufensterpuppen in inniger Umarmung, einen Mann, der in einem Einkaufswagen kauert, eine Cowboy-Reklamefigur auf einem Dach im Qualm eines Schornsteins. „Seine Rolle ist / Sein Sarg im blauen Himmel / flammt ein Cowboy auf“, bemerkt dazu die Wandschrift der Lyrikerin, so dünn, dass man sie kaum entziffern kann.
Die schwebenden Worte, so ganz anders als die üblichen Expertentexte, wecken eigene Assoziationen. Und Gefühle. Nach Einsamkeit sieht sie aus, die hermetische Glasfassade in New York, wo nur ein einziges Fenster auf Kippe gestellt ist. Ganz schön traurig ist Micky Maus, ein maskierter Mann, der beim Sonnenuntergang am Genfer See die Kinder belustigen soll. Auch traurig, aber auf eine romantische Art, wirkt der schwarze Schwan, den Eidinger auf einem Londoner Gewässer entdeckte und mit der echten Kamera fotografierte, aus einem Impuls heraus. Er interpretiert das nicht: „Ich nehme, was es gibt.“
Was, wann und wo?
„Lars Eidinger. O Mensch“: Eröffnung am Freitag, 30. August, 19 Uhr, im K21, Düsseldorf, Ständehausstr. 1. Zuvor, von 16 bis 17.30 Uhr, gibt es eine Preview für Schüler und Studenten (mit Ausweis). Ab 22 Uhr große Rave-Party mit dem Künstler Lars Eidinger und Techno-DJ Hell. Eintritt frei. Mit großem Andrang und begrenztem Platz ist zu rechnen. Am Samstag, 31. August, signiert Lars Eidinger von 14 bis 15 Uhr sein Fotobuch „O Mensch“ (Hatje Cantz, 40 Euro). Die Ausstellung ist bis 26. Januar 2025 zu sehen. Di.-So. 11 bis 18 Uhr. www.kunstsammlung.de